Mittwoch, 21. November 2007

Der Stein des Anstoßes

Die Russland-Politik entzweit auch weiterhin die deutsche Politikerlandschaft. Nachdem sich die beiden Altkanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder gegen eine künstliche Entfremdung gegenüber Russland aussprachen, schlugen in der sogenannten freien Presse die transatlantisch-politkorrekten Wellen ziemlich hoch. Erst hatte Helmut Schmidt zur differenzierteren Beurteilung von Vladimir Putin aufgerufen und die USA heute als gefährlicher für den Weltfrieden als Russland bezeichnet. Anschließend kritisierte Gerhard Schröder seine Nachfolgerin Angela Merkel und gewisse CDU-Kreise für eine Distanzierungspolitik gegenüber Russland.

Es folgten emotionale Brandreden von Amerika-Fans und wütende Reaktionen von konservativen Außenpolitikern. Die Unbeliebtheit ihrer dienerhaften US-Orientierung beim Volk spürend, brennt den Transatlantikern das Thema Russland und USA derzeigt regelrecht auf den Nägeln und verursacht erhöhten Rechtfertigungs- und Angriffsbedarf. Gabor Steingart (erster Link oben) überrascht mit einer selten simplifizistischen Darstellung, in der der Hinweis darauf, dass die USA "die älteste Demokratie der Welt" seien, bereits als das fast hinreichende Argument für Amerikas Ungefährlichkeit und Liebenswürdigkeit hingestellt wird. Das Wort "Demokratie" ist für manche Kommentatoren anscheinend eine heilige Kuh, mit der axiomatisch kein Militarismus und keine Aggressivität verbunden sein können. Putin gegenüber schallt von Steingart die bisher eindeutig nicht belegbare Kritik, er kenne keine Einschränkungen durch die Verfassung und das Volk. Im Großen und Ganzen propagiert Steingart wieder das Bild vom heldenhaften und gütigen Amerika, das einem dunklen und bedrohlichen Russland gegenübersteht.

Ein Bild aus dem Kalten Krieg, das die meisten Bundesbürger schon als überholt hinter sich ließen. Denn es ist bemerkenswert, zu beobachten, wie weit die Schere zwischen offiziellen Medien und der Meinung einfacher Menschen in außenpolitischen Fragen mittlerweile ist. Nach der berühmten Rede Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 ergab beispielsweise eine Umfrage von EMNID, dass beinahe 70% der Bundesbürger die Thesen dieser Rede (Amerikas Streben nach einer monopolaren Welt) unterstützen. Derartige Proportionen konnte man dem weitgehend empörten offiziellen Medienchor unmittelbar nach der Rede nicht entnehmen. Ebenso zeigten Umfragen eine Diskrepanz zwischen der Meinung der Menschen zu dem geplanten amerikanischen Raketenschild in Europa und den Angaben der offiziellen Medien, die meistens Amerikas mündliche Beteuerungen nachsprechen, der Raketenschild richte sich nicht gegen Russland. Wie weit entfernt sich die transatlantischen Führungskasten in Europa von den Wünschen und Sorgen der Bevölkerung mittlerweile bewegen, zeigt auch ihre Ignoranz der weitgehenden Ablehnung für US-Militärinstallationen bei osteuropäischen Bevölkerungen.

Ein besonders beliebtes Angriffsziel der transatlantischen Presse- und Politikersymbionten in Deutschland ist jedoch der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Henryk M. Broder wirft ihm beispielsweise den Verrat deutscher Interessen zugunster russischer und privater Interessen vor. So, als ob dies die deutschen Interessen automatisch ausschließen würde. Wenn jemandem die deutsch-russische Zusammenarbeit in der Energiesphäre mißfallen könnte, dann wären das höchstens die USA, denn die dadurch geförderte Stärkung und vor allem die wachsenden Verbindungen der beiden Pole Europa und Russland können geopolitisch nur auf Kosten der USA gehen. Wer also gegen die Tätigkeit Schröders wettert, sollte sich fragen, ob er nicht vor allem selbst gegen die deutschen Interessen eintritt.

Schröders Schuss gegen Merkel ist mehr als berechtigt: die Außenpolitik Merkels ist bisher fast ausschließlich von wachsweichem politkorrektem Geblubbere und so gut wie keinen handfesten Ergebnissen zum Wohle Deutschlands geprägt. Den Vorschlag Putins, Deutschland zu einem gesamteuropäischen Distributions-Knotenpunkt für russisches Erdgas zu machen, schlug Merkel mit Rücksicht auf Washington aus. Stattdessen betreibt sie eine künstliche Distanzierung von Russland und schmälert damit das reichlich vorhandene Kooperationspotenzial. Ihre "wertegebundene Politik" (klingt toll, hat aber ein an den Haaren herbeigezogenes Fundament) lässt sie lieber mit kapriziösen und komplexbeladenen Ländern wie Polen liebäugeln, die Deutschland ungeachtet dessen weiterhin als Feind wahrnehmen.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach erklärt die Kritik Schröders an Merkel mit dessen "grandiosem Versagen" in der Innenpolitik und dem jetzt eintretenden Neid. Solche Statement verursachen mehr als Verwunderung. Seit zwei Jahren hat Angela Merkel kaum etwas gemacht, außer sich in den Langzeit-Effekten der Reformpolitik Schröders (z.B. Agenda 2010) zu sonnen. Schröder war im Gegensatz zu ihr jemand, der in schwierigen Zeiten anpacken konnte, auch wenn die politischen Dividenden nun andere absahnen. Deswegen kann man dem aktuellen Treiben der ihn verhöhnenden Meute nur verachtend entgegenblicken.

1 Kommentar:

Cebote9907 hat gesagt…

Dieser Artikel trifft wie immer den Stein der Wahrheit. Leider basiert die 'Demokratie' auf Interessen der Reichen und wie schon gesagt wurde, ist das Bild vom 'bösen' Russland und 'netten' USA ziemlich verdreht.