Donnerstag, 8. November 2007

Verwelkte Rosen folgen vergammelten Orangen

Ausnahmezustand in Georgien. Nach massiven Protesten von über 100.000 Menschen (in Relation zur kleinen Bevölkerung eine gigantische Zahl), die den Rücktritt des immer diktatorischer herrschenden Präsident Saakaschwili forderten, platzten dem letzteren die Nerven. Gewaltsam ließ er die von den Amerikanern ausgerüstete Polizei die Demonstranten mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen auseinander treiben, von Hunderten von Verletzten ist die Rede. Der Oppositionsführer Chaindrawa wurde verhaftet.

Die ganze Entwicklung scheint System zu haben. Ausgerechnet die drei Länder mit den "bunten Revolutionen" - Georgien, Ukraine und Kirgisien - kann man heute getrost als die instabilsten im postsowjetischen Raum bezeichnen. Die über westliche NGO-Netzwerke materiell und taktisch unterstützten und an die Macht gebrachten Machthaber bekamen bereits kurze Zeit später allesamt große Probleme. Die umfangreichen Versprechen der hellen Zukunft durch Korruptionsbekämpfung und Anlehnung an den Westen konnten nicht eingehalten werden und je höher die Wolken waren, in die sich die naiven armen Massen durch eine solche Rhetorik versetzen ließen, desto tiefer musste aus ihnen der Fall angesichts der darauf folgenden Realitäten erfolgen. Die Unfähigkeit, wenn nicht der Unwille, die alten Zustände ernsthaft zu verändern, ist indes kaum überraschend, unterscheiden sich doch die neuen Eliten in ihren Methoden und ihrer Sozialisierung kaum von den alten. Was sie gelernt hatten, ist lediglich, dass sich mit vordergründigen demokratischen Parolen das Volk prima um den Finger wickeln lässt. Danach fand lediglich eine Umverteilung der Macht statt und die gewohnte hastige Selbstbereicherung, solange die Möglichkeit dazu besteht.

Dazu muss ich sagen, dass mir die Georgier weniger leid tun, als die Ukrainer. Während in der Ukraine nur die Hälfte der Bevölkerung hinter dieser neuen Schleife des Elends stand, bekommen die Georgier die Quittung für das, wofür sie 2004 mit 97% (!) gestimmt hatten. Möglicherweise wird ihnen das für die Zukunft eine Lehre sein und sie werden bei Populisten, die sich am Lautesten in die Brust klopfen und als Demokraten bezeichnen, zumindest vorsichtiger sein.

Saakaschwili ließ gestern alle unabhängigen Fernsehsender abschalten und verkündete im Staatsfernsehen, dass hinter den Protesten "dunkle Kräfte aus Russland" stünden. Er habe Beweise für die Verstrickung russischer Geheimdienste in die Situation in Georgien, hat sie jedoch - wie konnte es auch anders sein - nicht näher präsentiert. Vielmehr wurde lang ausgeführt, was für Maßnahmen er bereits unternommen hat (Ausweisungen von Diplomaten, Abbestellen eigener Botschafter usw.) Dabei trafen sich die Oppositionsführer zuvor völlig offen mit dem amerikanischen Botschafter, ohne dass Saakaschwili dies in seine Rhetorik aufzunehmen wagte. Für die Amerikaner, die wahren Herrscher in Georgien, scheinen die Oppositionellen keine undenkbare Alternative zu sein. Doch Saakaschwili muss den Schein der Loyalität wahren, wäre er doch sonst völlig isoliert und dem Untergang geweiht.

Reflexartig bedient er sich des Universalfeinds Russland für seine beim Volk immer unglaubwürdigere Propaganda. Schon die ganzen letzten Jahren versuchte er immer, wenn es im Inland brenzlig war, die Aufmerksamkeit auf vermeintliche Zwischenfälle mit Russland zu lenken, seien es Luftraumverletzungen oder Grenzkonflikte mit russischen Friedenstruppen in Abchasien. Die ständigen unbewiesenen Behauptungen und inszenierten Provokationen wurden sogar der parteiischen OSZE zu lächerlich, so dass sie aufhörte, die Flut von Klagen der georgischen Führung zu untersuchen. Die neueste dreiste Behauptung, die Demonstrationen wären von russischer Seite initiiert worden, wies das russische Außenministerium kurz und prägnant als Hysterie ab.

Klar ist, dass man die eigene Unfähigkeit nicht ewig hinter der Anti-Russland-Propaganda verbergen kann. Irgendwann lassen sich die Menschen damit nicht mehr abspeisen. Das anfangs effektive Konzept der Revolutionäre ist das Konzept von Eintagsfliegen, ohne langzeitliches Potenzial. Enttäuschung, Wut und Proteste der Bevölkerung sind die gesetzmäßige Folge. Und während in der europäischen Ukraine wenigstens die gewaltsamen Lösungen für alle Seiten tabu sind, muss in Regionen wie dem Kaukasus oder Zentralasien ernsthaftes Blutvergießen befürchtet werden.

Nachdem die westlichen Funk- und Printmedien die riesigen Proteste zunächst weitgehend ignorierten, konnte ihre gewaltsame Unterdrückung nun nicht mehr verschwiegen werden. Der Politologe Alexander Rahr bezeichnet die aktuellen Entwicklungen als "große Überraschung" für den Westen, die man nun schwer kommentieren kann. Ungern und unbequemerweise beginnt nun die westliche Welt, sich mit dem Scherbenhaufen auseinanderzusetzen, der zuvor oft genug als Musterdemokratie lobgepriesen wurden. So spricht die französische Le Monde mittlerweile von den verwelkten Rosen von Tiflis. Viele weitere Ernüchterungen werden folgen, eine normale Folge des Lebens in einer Scheinwelt.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der Artikel ist eigentlich schlüssig. Logisch aufgebaut und gut argumentiert. Gleichwohl entwertet er sich selbst durch den Vergleich zur Ukraine.
Schade eigentlich, denn es handelt sich hierbei um die gleiche einfach-strukturierte Argumentationsweise, wie sie von Dir immer wieder - oft zu recht - kritisiert wird. Wie sie auch in fast allen westlichen Medien zu finden ist: Georgien = sanfte Revolution, Ukraine = sanfte Revolution, ergo: Georgien = Ukraine. Daraus folgt: Unruhe in Georgien = faule Orangen.

Nee, so einfach ist das nicht! Und nie gewesen, denn die ukrainischen Machtkämpfe waren nie als Revolution geplant. Die ukrainische "Revolution" war und ist eine Erfindung der Medien. Diese politische Situation war und ist mit der in Georgien nicht vergleichbar und nie vergleichbar gewesen.

der unbequeme hat gesagt…

Ich verstehe Deinen Beitrag nicht ganz. Du sagst, die ukrainische Revolution sei nicht geplant gewesen. Dabei war doch offensichtlich, dass die Aktionen im Spätherbst 2004 alles andere als spontan waren. Woher kamen gleich am nächsten Morgen die Rockbühnen, die Lasershows, die ganze Attributik, inklusive Schals und Plakaten? Wieso wurden Massen aus der Westukraine in der gleichen Nacht nach Kiew hergerkarrt und nicht aus der Ostukraine, wo doch angeblich Janukowitsch alles geplant hatte (die Wahlfälschung)? Nein, es war ein vom orangenen Lager ganz offensichtlich skurpulös vorbereiter Umsturz und die Weigerung, eine Wahlniederlage anzuerkennen war von vorherein vorgesehen. Soviel zur Demokratie. Die seltsame Anordnung des Obersten Gerichts, die Wahl wegen angeblicher Fälschungen zu wiederholen, war für mich nicht überzeugend und auch die Orangenen selbst setzen sich heute (im Frühjahr 2007) nach Bedarf über seine Autorität hinweg.

Die Ukraine ist instabil, das Volk lebt und arbeitet nicht DANK, sondern TROTZ der Politik. Die Menschen sind unzufrieden, die Bevölkerung schrumpft Jahr für Jahr um 0,7%, Weltrekord. Die meisten sind von der orangenen Politik enttäuscht und nur die Tölpelhaftigkeit Janukowitschs sowie die geopolitische Voreingenommenheit der Westukrainer hat bisher nationale Unruhen gegen die Regierung á la Georgien verhindert. Der Glanz der Revolution ist aber dennoch vollkommen weg, war sogar in der westlichen Presse oftmals zu lesen. Daher ist der Ausdruck verfaulte Orangen schon berechtigt.

Anonym hat gesagt…

Ich behaupte immer wieder, dass die Orangen Ereignisse nie als "Revolution" geplant waren. Das was in der Ukraine geplant war, ist die Neubestimmung der Machtverhältnisse der einen Oligarchengruppe gegenüber der anderen.

Mein Kommentar geht aber darüber hinaus und in zwei Richtungen: (1) Die Ukraine hat viel zu viele etnische Sonderheiten, als dass die politischen Ereignisse dort mit denen in einem anderen Land verglichen werden können und (2) diese Form der Auseinandersetzung mit Oberflächlichkeiten ist doch das, was Du selbst - wenn ich es richtig verstanden habe - seitens der westlichen Medien in Bezug auf Russland nicht gelten lassen willst. Die Methode (Deine Methode) ist aber oft die selbe.

Konkret: Lass die Ukraine als Beispiel weg und der Artikel ist richtig gut.

Meine Meinung hierzu soll auch nichts über den generellen Inhalt Deiner Beiträge sagen. Im konkreten Fall schrieb ich kommentierend "schlüssig" und "logisch argumentiert". Und meine Hochachtung zu einer Meinung, die nicht dem Mainstream der Medien folgt, - die zwar nicht immer meine ist, aber als Tatsache des Vorhandenseins - wo liest man diesertage schon eine eigene Meinung? - Anerkennung verdient.

Ich meine: Durch falsch gewählte Beispiele, könnte der Inhalt leiden.

Freundliche Grüße!

Andreas

der unbequeme hat gesagt…

Hallo Andreas! Dass die Ukraine allein schon durch ihr Ost-West-Gefälle eine andere Ausgangssituation als zum Beispiel Georgien hat, ist mir natürlich klar. Ich behaupte ja nicht, dass der Verlauf aller Revolutionen absolut identisch ist, denn das wäre sowieso unmöglich. Dass aber die Entwicklungen in allen drei Fällen (GEO, UKR, KRG) gerade bei all der Unterschiedlichkeit der Standorte dennoch deutliche Parallelen aufweisen, sollte einem zu denken geben.

Dass dabei in der Ukraine Gewaltlösungen á la Georgien nicht vorstellbar sind, habe ich dabei im Artikel eingeräumt. Ansonsten gibt es aber genug Gemeinsames, was Desillusionierung und das Verblassen des Revolutionsglanzes angeht.

Danke für die lobenden Worte, ich werde mich auch weiterhin bemühen ;) Schöne Grüße!