Donnerstag, 26. April 2007

Westliche Stimulation des russischen Autoritarismus

In der achten und letzten Rede an die Nation des russischen Präsidenten kam vieles zur Sprache, doch zur richtigen Neuigkeit wurde vor allem ein Thema: das Moratorium Russlands auf den KSE-Vertrag über die Reduzierung konventioneller Rüstung in Europa. Dieses in der NATO immer noch nicht ratifizierte, geschweige denn eingehaltene Abkommen, bereitet in Russland ernsthafte Sorgen. Die Amerikaner, für die heute sowieso kaum noch etwas gilt, bauen neue Stützpunkte in Rumänien und Bulgarien auf, einige NATO-Länder wie die Balten haben den Vertrag noch nicht mal unterzeichnet, was der unbegrenzten Stationierung von Militär auf ihrem Gebiet Tür und Tor lässt. Und zu guter Letzt wird versucht, in Polen und Tschechien ein Raketenabwehrsystem aufzubauen, dessen Nutzen gegen "Iran und Nordkorea" sogar viele Politiker in der NATO nicht überzeugt. Bei einer Online-Umfrage der Tagesschau zeigten sich 70% der Teilnehmer der Meinung, dass dieser Raketenschild gegen Russland gerichtet ist. In Russland kann niemand ernsthaft ausschließen, dass die Amerikaner, nachdem sie erstmal den Fuß in die Türschwelle bekommen, zu ihren anfänglichen 10 Abfangraketen nicht nach und nach weitere Hunderte hinzufügen und diese mit Nuklearsprengköpfen bestücken.

Doch was liest man über all dies in den westlichen Systemmedien? Wenn überhaupt, dann am Rande. Vielmehr habe Putin wieder "gepoltert", "gewettert", "gedroht" und "attackiert". Als ob uns die Schlagzeilen sagen wollten: gegen so einen ist es vielleicht gar nicht so unangebracht, so vorzugehen wie wir vorgehen. Währenddessen zeigen sich westliche Politiker offiziell als "enttäuscht", "überrascht" und überhaupt als Unschuldslamm. Ausgerechnet die Amerikaner forderten sogleich "Vertragstreue". Im Westen ist Putins Image mit freundlicher Hilfe tüchtiger Medien mittlerweile fast schon auf dem Niveau diverser Bösewichte wie Ahmadineschad, Kim Jong Il, Lukaschenko und Chavez angelangt. Und Putin scheint auch in der Tat, nicht mehr viel vom Westen zu halten.

Aber es gab auch andere Zeiten. Kaum jemand erinnert sich noch an seine historische Rede im Deutschen Bundestag im Herbst 2001. Damals erläuterte Putin in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede eine Vision der gemeinsamen Entwicklung, erklärte den Kalten Krieg für unwiderruflich beendet und reichte den Europäern die Hand für eine neue Dimension der Zusammenarbeit auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Diese Rede, die zu einem historischen Meilenstein hätte werden können, geriet jedoch schnell in Vergessenheit. Die europäische Öffentlichkeit war nicht ernsthaft bereit, die Visionen Putins aufzugreifen. Stattdessen sahen die Europäer halb-wohlwollend halb-mitwirkend der geopolitischen Wühlarbeit der Amerikaner zu, mit der diese immer weiter in den Osten des europäischen Kontinents vordrangen. Im Rausch der eigenen Dominanz und in Vorfreude auf das "New American Century" sahen sich die Amerikaner nicht verpflichtet, irgendwelche Beschränkungen zu dulden und auf Länder Rücksichten zu nehmen, die als "Auslaufmodell" klassifiziert wurden.

Das Ergebnis der gekauften "bunten Revolutionen" im postsowjetischen Raum wurde die Machtergreifung radikal-proamerikanischer politischer Kräfte, die zwar jede Menge demokratischer Kampfrhetorik auffahren ließen, ihren Ländern aber kaum mehr echte Demokratie brachten, als ihre Vorgänger. Aufgrund fehlender geopolitischer Zweckmäßigkeit wird man in den westlichen Mainstream-Medien jedoch kaum Berichte über astronomische Wahlergebnisse, dubiose Verhaftungen der Reichen mit Freikaufoption oder unaufhörliche Prozesse gegen die Opposition in Georgien finden. Solange mit aller Kraft in die NATO gezerrt wird, interessiert das kaum jemanden. Doch es waren erst die ukrainischen Ereignisse von 2004, die in Russland eine entscheidende ideologische Kehrtwende in den Beziehungen mit dem Westen und bei den innenpolitischen Methoden einleiteten. Die Ukraine ist etwas Heiliges. Sie ist die historische Wiege Russlands, ein in jeder Hinsicht unendlich eng verflochtenes Bruderland. Sie von Russland wegzureißen wiegt deutlich schwerer, als alles andere zusammen. Hier geht es um Familiengefühle. Deshalb war die Ukraine der letzte fette Tropfen, der das russische Fass zum Überlaufen brauchte. Es wurde offensichtlich, dass der Westen nicht bereit ist, russische Interessen zu respektieren, sondern ungeachtet freundschaftlicher Rhetorik stur seine eigenen Ziele verfolgt.

Es ist in erster Linie dieses Gefühl einer belagerten Festung, um die eine immer engere Schlinge gezogen wird, das in Russland den Ruf nach einer starken Führungshand verstärkt, die den schweren Herausforderungen gerecht wird. Und auch der aufgeschreckte Staat zeigt inzwischen irrationale Überreaktionen auf noch so marginale oppositionelle Aktivitäten. Zwar entspricht die strammere Regierungsweise durchaus den Wünschen und auch den Notwendigkeiten nach den chaotischen Jelzin-Jahren. Doch es ist kaum anzunehmen, dass die Russen ohne den äußeren Druck dem Autoritarismus eine derartige Ausbreitung erlaubt hätten. Auch das von vornherein abwertende, verständnislose und angriffslustige westliche Verhältnis zu Russland blieb und bleibt dort nicht unbemerkt. Dazu sollte man wissen, dass in Russland ein relativ gut ausgebautes Netz existiert, das Artikel der amerikanischen, deutschen, polnischen oder französischen Presse ins Russische übersetzt und den Lesern zur Verfügung stellt. Dies entspricht dem ausgeprägten russischen Interesse für das eigene Bild in der Welt. Üppig besuchte spezialisierte Internet-Portale wie www.inosmi.ru oder www.inopressa.ru vermitteln den Russen das westliche Bild von ihrem Land ebenso, wie abgedruckte Übersetzungen in russischen Zeitungen. Das Ergebnis lässt sich direkt an den Kommentaren ablesen, die im Internet abgegeben werden, oder aber indirekt an den Umfragewerten der Politiker. Einer der Leser brachte es auf den Punkt: "Falls INOSMI ein Projekt der Regierung ist, dann war das ein genialer Schachzug. Denn nichts weckt in uns mehr Patriotismus, als das tägliche Lesen westlicher Vorurteile und Beschimpfungen".

Sonntag, 22. April 2007

Russische Ressourcen als Grund zum Schämen?

Vielfach sind in der westlichen Presse stereotypenhafte Aussagen zu lesen, die mehr oder weniger darin bestehen, dass das derzeitige solide russische Wirtschaftswachstum und damit das neue russische Selbstvertrauen auf nichts weiter, als auf hohen Rohstoffpreisen beruht. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Öl- und Gaswirtschaft nur ca. ein Viertel der russischen Wirtschaft ausmacht (was gewiss zu viel ist), dann muss diese Erklärung den Menschen, die genauer hinschauen, als viel zu dünn vorkommen. Zumal in Russland auch solche Branchen wie IT, Bau, Metallverarbeitung, Einzelhandel, Telekommunikation, Rüstung u.v.m. boomen.

Doch der Effekt ist bei der überwiegend willig schluckenden Mehrheit erreicht: Öl und Gas sind einleuchtend, einprägsam und leicht zu verstehen. Und das wichtigste: sie befreien von der Notwendigkeit, die Russen (und vor allem Putin) für ihr Wirtschaftswachstum zu würdigen. Hohe Preise sind niemands Verdienst, genauso wenig wie das naturgegebene Vorhandensein von Rohstoffvorkommen. Während im Westen der Wohlstand auf hochtechnologischen Leistungen und wahrer Arbeit basiert, haben die Russen lediglich Glück. Jemand, der nur Glück hat, verdient keine Anerkennung, und das russische Selbstbewußtsein aufgrund von hohen Rohstoffpreisen ist sowieso billig, primitiv und durchschaubar.

Dieses Konzept fügt sich sehr schön in die lange westliche Tradition, die russischen Leistungen mit banalen Vereinfachungen zu schmälern. Das Scheitern diverser westlicher Angriffskriege gegen Russland führt man zum Beispiel zum großen Teil auf den Frost zurück oder, wie man in Bezug auf Napoleons Feldzug vor kurzem in der New York Times lesen konnte, auf einen massenhaften Läusebefall, der die Immunität der Soldaten der Grande Armee geschwächt haben soll. Russischen Anstrengungen und Entscheidungen räumt ein solches Weltbild nur wenig Platz ein. Denn für die westliche Psychologie hatte der Gedanke russischer Ebenbürtigkeit schon immer einen sorgenvollen und unbequemen Hauch, da mit dem eigenen, liebevoll gepflegten moralisch-technisch-zivilisatorischen Überlegenheitsbild nur schlecht vereinbar. Russischer Erfolg - so etwas kann nicht mit rechten Dingen zugehen. So auch in Bezug auf die heutige Situation.

Abgesehen davon, dass jeder, der sich mit der Öl- und Gasförderung auskennt, weiß, wie technologie- und arbeitsintensiv diese Branchen sind, und unter nochmaliger Distanzierung von der These, dass Öl- und Gas die einzigen Triebfedern des russischen Aufstiegs sind, möchte ich dennoch auf sie eingehen. Vor allem auf die Frage, ob sich die Russen im Einklang mit der westlichen Sicht dafür schämen müssen, über so viele Ressourcen zu verfügen, die der liebe Gott ihnen für nichts und ungerechterweise in den Schoß gelegt hat und die sie heute ohne große "intellektuelle Leistungen" in Geld umwandeln.

Öl und Gas sind im Prinzip nur eine mögliche Ausprägung von Standortvorteilen. Standortvorteile können unterschiedlichster Natur sein. Sie unterscheiden sich auch nach dem Grad ihrer Offensichtlichkeit. Jedes Land hat seine individuellen Standortvorteile und kaum gibt es in der Geschichte ein Land, das seine Standortvorteile nicht ausgenutzt hat, was auch außerordentlich dumm wäre. Aspekte wie Geschütztheit durch natürliche geographische Barrieren, mildes Klima oder Zugang zum Meer sind historisch gesehen unzweifelhafte Standortvorteile, deren Effekt auf die zivilisatorische Entwicklung eines Landes einen unschätzbaren Wert hatte. Würde jemand zum Beispiel auf die Idee kommen, England oder die USA dafür geringer zu schätzen, dass sie ihre geographischen Barrieren oder Zugang zu den Weltmeeren von vornherein "geschenkt" bekamen? Würde man Italien dafür geringer schätzen, dass es seinem warmen Klima seit je her größere landwirtschaftliche Erträge und in der neueren Zeit viel Tourismus verdankt? Wohl kaum. In Unterlassung dieser Aspekte, vor allem in historischer Perspektive, stellt man aber allzu gern "zivilisatorische Vergleiche" mit Russland an.

Zur Erinnerung: aufgrund seiner geographischen Offenheit zur Steppe war Russland seit seinen frühesten Anfängen immer neuen rollenden Angriffswellen asiatischer Steppenvölker ausgesetzt: zahlreiche auf Raub spezialisierte Turkvölker überrannten, brannten nieder, verschleppten, entvölkerten ganze Landstriche. Die bekanntesten, doch bei weitem nicht die ersten und die einzigen, waren die Tataromongolen, die Russland 250 Jahre lang beherrschten. Im 16. Jahrhundert musste das Moskauer Reich ca. ein Drittel seiner Ressourcen dafür verwenden, seine verwundbaren südlichen Grenzen gegen die ständigen Feldzüge der Krimtataren (an denen alle männlichen Angehörigen teilnahmen) zu schützen, denen es dennoch gelang, sogar Moskau niederzubrennen. In etwa zu dieser Zeit konnte England, dass diese Probleme nicht hatte, die Ostindische Gesellschaft gründen... Unendlich viele Ressourcen und viele Jahrhunderte verwendete Russland im Kampf um einen Zugang zu den Weltmeeren, was Handel und Fortschritt bedeutete. De-facto bekam es ihn erst im 19. Jahrhundert. Ausführungen, welchen addierbaren negativen Effekt in den letzten Jahrhunderten die unvergleichlich niedrigeren landwirtschaftlichen Erträge pro Flächeneinheit im russischen Klima auf die Entwicklung des Landes hatten, lasse ich lieber aus. Sie wären hier viel zu lang und jeder kann sich selbst Gedanken dazu machen. Vielleicht auch über die Kosten der Verlegung eines Kilometers beferstigter Straße im Dauerfrostboden (ca. 47% der Fläche Russlands) im Vergleich zur Straße zwischen Mannheim und Frankfurt.

Nichts vergeht spurlos. Die zu einem Zeitpunkt der Geschichte investierten Ressourcen ergeben im nächsten entsprechende Früchte, die weiterinvestiert werden können. Erst recht bei der exponentiell wachsenden Entwicklungsform, die wir in den letzten Jahrhunderten beobachten. Entsprechend ergeben Ressourcen/Kapital, die für Investitionen in Kultur, Infrastruktur, politischen Einfluß heute nicht vorhanden sind, weil sie anderweitig aufgewendet werden müssen, morgen eine noch größere Lücke zu den glücklicheren Konkurrenten. Führt man sich dies alles vor Augen, kommt einem unweigerlich die Frage, wer denn in der Geschichte die wirklich größeren Anstrengungen unternehmen musste, um aus seiner ursprünglichen Lage in die heutige Situation zu kommen... Haben die Russen historisch wirklich weniger geleistet, als z.B. die Briten?

Unter all den immensen Nachteilen und Kataklysmen, die die Russen in ihrer Geschichte zu bewältigen hatten, hat sich nun zur Abwechslung auch ein guter Standortfaktor eingeschlichen: Bodenschätze wie Öl und Gas. Richtig profitieren können die Russen davon erst seit 50-60 Jahren, als diese als Ressource weitgehend relevant wurden. Und wenn man von ihrem marktwirtschaftlichen Wert ausgeht, dann erst seit wenigen Jahren, seit diverse mittel- und osteuropäische Länder nicht mehr, wie zuvor Jahrzehnte lang, mit stark ermäßigten Lieferungen gesponsort werden. Sollen sich die Russen nach all dem, was bisher war, also schämen, heute von den ihnen "geschenkten" Ressourcen zu profitieren? Oder sollten sie lieber an den westlichen Ländern ein Beispiel nehmen, für die so etwas nie in Frage käme...?

Dienstag, 17. April 2007

Marsch der National-Kasperisten

Die westliche Presse reibt sich fröhlich die Hände: in Russland regt sich etwas, was sich dem heimischen Verbraucher eventuell prima als steigende Unzufriedenheit des Volkes mit Putin vermarkten ließe. Und schon überschlagen sich die Schlagzeilen und die Reportagen, wie die brutale russische Polizei die tapferen Proteste niederknüppelt, welche den edlen Zorn der westlich-liberal eingestellten Volksmassen auf die Straße tragen. Und die russische Polizei ist tatsächlich so dumm, den kreisenden Geiern in den westlichen Redakteursstuben Nahrung zu liefern, statt das bunte zusammengwürfelte Häuflein aus 2-3 Tausend Provokateuren mit Zurückhaltung zu strafen, sprich mit dem Gegenteil dessen, was diese mit ihrem Auftritt bezwecken.

Es ist schon ein merkwürdiger und selten prinzipienloser Menschenhaufen, der sich da illegal aufstellt und sich selbst das Recht verleiht, den Straßenverkehr der beiden russischen Haupstädte zu lähmen. Da wäre die (wie sie sich gerne nennt) liberale Opposition, angeführt vom Aufsichtsratmitglied des US-amerikanischen "National Security Advisory Council" und kommenden russischen Präsidentschaftskandidaten Garri Kasparow, der so fröhlich bei Sabine Christiansen nickt, wenn die grüne Gutmenschenkarikatur Cohn-Bendit zur Befreiung vom "russischen Energiemonstrum" aufruft. Neben Kasparow ist natürlich sein Busenfreund nicht zu vergessen, der ehemalige Premier Michail Kassjanow alias Mischa "Zwei Prozent" aus dem ehemaligen Jelzin-Clan. Ergänzt wird das Triumvirat durch Eduard Limonow, den legendären Anführer der Nationalbolschewistischen Partei. Dieses Sammelbecken für allerlei spätpubertäre Chaoten könnte glatt als die russische Schwesterorganisation der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands durchgehen, wenn seine Mitglieder nicht immer wieder mit spektakulären Eierwurfaktionen oder Hausbesetzungen ihre unbeugsame Kampfentschlossenheit für die gerechte Sache unter Beweis stellen würden. Gerechte Sache? Ja, eine obskure und weltweit unnachahmliche Mischung aus rechts- und linksradikalen Gedankengut, garniert mit einem für Anarchisten fast schon obligatorischen Haß auf Wladimir Putin.

Die drei Musketiere sind also angetreten, um die Ehre Russlands zu retten... Immerhin ist ihnen das solidarische Geschluchze oder Gegrölle des Westens schon gewiss. Grüne Scheinchen wird es aber durch das neue Verbot der Auslandsfinanzierung politischer Parteien nicht mehr geben, so ein Pech aber auch! Ob die neuen Lenins auch etwas mit bloßer moralischer Unterstützung anfangen können? Das Original wäre damit allein jedenfalls gescheitert.

Donnerstag, 12. April 2007

La Russophobe

Mehrere russische Medien vermeldeten am Mittwoch, dass die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko einen Artikel in der renommierten amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs mit dem Titel "Russland eindämmen" verfasst hat. Er soll Ende Aprils veröffentlicht werden. Darin wird der Westen aufgerufen, dem "traditionellen russischen Expansionismus" eine neue Politik entgegenzustellen, denn Russland sei das "geopolitische Herzstück der Welt" und der Fortsetzer der "gnadenlosen imperialistischen Tradition".

Timoschenko kritisiert, der Westen habe die Zeit nicht genutzt, als Russland schwach war, um es in das "System der Kooperation" einzubinden. Sie glaubt nicht daran, dass Russland irgendwann von seinem imperialistischen Wesen abkommt, egal wie seine Reformen verlaufen und sein Entwicklungstempo sein wird. Anschließend bringt sie den Gedanken auf den Punkt: der Westen sollte nicht mehr auf die inneren Reformen Russlands setzen, sondern Russland "aktiv Gegengewichte schaffen". Er soll Russland in allen Punkten hart anfassen, von Demokratie, Tschetschenien und Kosovo, bishin zu Iran, Energiecharta und "Erpressung der Nachbarn". Sie schreckt auch nicht davor zurück, Parallelen zwischen der heutigen Situation und der Appeasement-Politik der Briten und Franzosen gegenüber Hitler im Jahr 1938 zu ziehen.

Beobachter führen an, dass obwohl Timoschenko in ihrem Artikel nichts grundlegend neues zu sagen scheint, er jedoch eine bemerkenswerte und nie dagewesene Konzentration antirussischer Töne beherbergt. Doch warum braucht die Gasprinzessin diese Aktion ausgerechnet jetzt? Zwar hat sie ihre prowestliche Haltung nie verheimlicht, doch derartig offene Ausfälle gegen Russland hat man von ihr noch nicht gesehen. Und hat sie jetzt beim chaotischen Machtkampf im Inneren der Ukraine nicht alle Hände voll zu tun?

Wer genau hinguckt, braucht sich jedoch nicht wundern. Die Motive der "schönen Julia" liegen klar auf der Hand und sind wie immer gar nicht so hochfliegender Natur. Um mehr Einfluß im Machtkampf zu gewinnen, braucht sie ausländisches Geld. Davon hat sie in der Opposition bisher zu wenig erhalten. Timoschenko weiß nur zu gut, dass die Ukraine die Falken und die Neocons in Washington nur insofern interessiert, inwiefern man sie gegen Russland gebrauchen kann. Mit Hinblick auf die nächsten Wahlen bemüht sich Timoschenko daher jetzt nach Kräften, sich in ihren Augen als die beste Alternative zum schwächelnden Juschtschenko zu positionieren. Oder um es anders auszudrücken: sie möchte das westliche Füllhorn so drehen, dass seine NGO-überbrachten Segnungen nicht irgendwohin, sondern in ihren ausgebreiteten Rock regnen. Richtig dosierte Russophobie ist immer ein gutes Mittel, um Leute wie Cheney, McCain und Liebermann für sich zu begeistern.

Mehr Info (deutsch, russisch):
http://de.rian.ru/world/20070411/63457863.html
http://www.vremya.ru/2007/63/5/175966.html
http://www.newsru.com/world/11apr2007/sderzhivanie.html
http://www.strana.ru/stories/02/09/03/3144/310594.html

Montag, 9. April 2007

Das ukrainische Chaos

Wie schon im letzten, vorletzten und vorvorletzten Jahr, hat die Ukraine nun auch dieses Jahr ihre politische Krise. Der Grund ist diesmal der umstrittene Beschluss des Präsidenten Juschtschenko, das Parlament aufzulösen. Umstritten ist im Prinzip das falsche Wort, viel genauer wäre das Wort illegitim. Denn die ukrainische Verfassung sieht nur drei Fälle vor, in denen das Parlament aufgelöst werden kann: 1) es kann binnen 90 Tagen keine Koalition gebildet werden 2) das Parlament kann 30 Tage lang nicht zusammen kommen oder arbeiten 3) es kann 60 Tage nach der Koaltionsbildung keine Regierung gebildet werden. Und obwohl die Prinzessin Timoschenko durch das Kappen des Beleuchtung in der Obersten Rada zumindest den Punkt 2 zu erfüllen versuchte, war keiner der drei Fälle gegeben. Doch Juschtschenko tat's trotzdem. Und zwar, weil ihm die Abgeordneten davonliefen und er vor der Perspektive stand, von der baldigen 2/3-Mehrheit seiner Gegner im Parlament entmachtet zu werden. Er zog die Notbremse, die eigentlich keine ist: denn die Neuwahlen, sollten sie zustande kommen, werden ihn gnadenlos abstrafen. Derzeit schwankt die Unterstützung für die Präsidentenpartei "Nascha Ukraina" zwischen 5 und 10%. Die Ausrufung der vorgezogenen Neuwahlen bedeutet lediglich die Aufschiebung des politischen Todes von Viktor Juschtschenko.

Die meisten Ukrainer sind zurecht enttäuscht von der abgewürgten Wirtschaft, der Nicht-Umsetzung der Versprechen vom Kampf gegen die Korruption. Nicht zuletzt auch von der Diskriminierunspolitik gegen die russische Sprache und dem rücksichtslosen Drängen in die NATO, obwohl soziologische Umfragen zeigen, dass um die 70% der Bevölkerung dagegen sind. Die meisten erkennen jetzt, dass anstelle einer früheren korrupten Clique lediglich eine weitere gekommen ist, deren Appetit im Gegensatz zur alten wieder von Null an gesättigt werden musste.

Ganz interessant ist in diesem Zusammenhang mal wieder die Verlogenheit der westlichen Presse. Auch wenn man aufgrund offensichtlicher Mißstände nicht um die Kritik an Juschtschenko herumkommt, so ist die Berichterstattung weiterhin von dumpfen Vorurteilen und plumper Propaganda gegen seinen Opponenten Janukowitsch und einer fortgesetzten Stilisierung Juschtschenkos als tapferen Demokratie-Helden geprägt. Was ist allein schon dieser Artikel wert. Es bleibt ein simplifizistisches Reliktdenken aus den Zeiten des Kalten Krieges, in dem jeder vermeintliche Freund Russlands von vornherein teuflisch und jeder Westen-Huldiger der strahlende Held ist, sei er noch so inkompetent und führungsschwach.

Die ukrainische Elite beider Seiten täte gut daran, endlich zu akzeptieren, dass die Ukraine ein kulturell tief gespaltenes Land ist, dessen Zusammenhalt höchst brüchig ist. Deswegen sind alle Versuche, das Land außenpolitisch gegen den Willen einer der Bevölkerungshälften in eine Richtung zu zerren, äußerst gefährlich. Die streitenden Parteien sollten sich auf der Basis des Ausgleichs und der geopolitischen Neutralität des Landes arrangieren. Die Ukraine hat endlich ein paar ruhige Jahre für eine stabile Entwicklung verdient.

Was die Ukraine heute vor allem braucht, um aus ihrer Misere rauszukommen, ist stabiles Wirtschaftswachstum statt leerer und untätiger Demokratie-Rhetorik. Und kommt der Wohlstand, kommt automatisch auch die Demokratie. Das haben die Russen erkannt, nachdem sie in den Neunzigern die Turbulenzen durchgemacht haben, die die Ukraine heute durchmacht. Unter anderem auch den Konflikt zwischen Präsident und Parlament. Leider wollen die Ukrainer nicht aus russischen Fehlern lernen, sondern unbedingt erst eine eigene blutige Nase mit allen möglichen Demokratie-Demagogen holen.