Samstag, 15. Dezember 2007

Ein Gesäß für zwei Stühle

Vor wenigen Wochen besuchte der orangefarbene ukrainische Präsident Juschtschenko Israel und bemühte sich dort, den bizarren Eindruck zu relativieren, den seine unbeirrbare Politik der Heroisierung ehemaliger Nazi-Helfer in der Ukraine aufkommen lässt. In den letzten Jahren hatte Juschtschenko konsequent darauf hingearbeitet, die Kämpfer der nationalistischen UPA zu rehabilitieren und verlieh ihren Veteranen staatliche Ehrungen und Privilegien. Posthum verlieh er 2007 unter anderem Roman Schuchewytsch, einem Anführer der Wehrmachts-Legion "Nachtigall", die laut Simon Wiesenthal Center 1941 an den Ermordungen Zehntausender Juden in der Westukraine teilnahm, den Titel "Held der Ukraine", die höchste Auszeichnung des Landes. Viele UPA-Kämpfer wurden als Kollaborateure und Polizeitruppen der Nazis bei Massenhinrichtungen in der ganzen Ukraine, unter anderem auch beim Massaker von Babi Jar, eingesetzt. Weil sie jedoch gegen die Rote Armee kämpften, werden sie vom Umfeld Juschtschenkos heute als Helden hochgehalten. Kein Wunder, denn der Hauptteil seines zahlenmäßig nur noch bescheidenen Wählerstamms liegt in der nationalistisch geprägten Westukraine.

Parallel zu all diesem Treiben reiste Juschtschenko also nach Israel, um mit trauernder Miene die Holocaust-Gedenkstätte Jad Waschem zu besuchen und sich an der Klagemauer in Jerusalem fotografieren zu lassen. Wer hier nur notwendige Show vermutet, liegt richtig. Denn der eigentliche Zweck seiner Reise lag darin, die Juden als Verbündete in seinem Bestreben zu gewinnen, die Hungersnot in der Ukraine im Jahr 1933 (auch Holodomor genannt) weltweit in den Rang eines Genozids zu erheben. Derartige nationale Märtyrermythen braucht Juschtschenko aus dem oben genannten Grund innenpolitisch.

Doch die Israelis denken nicht daran, andere Tragödien auf die gleichen Stufe mit dem Holocaust zu stellen. Dessen Singularität soll unangetastet bleiben und in diesem Fall wohl auch zurecht. Denn der Holodomor, den Juschtschenko heute für seinen prowestlichen und antirussischen Kurs de-facto als russisches Verbrechen instrumentalisieren will, besitzt (obwohl zweifellos eine immense humanitäre Katastrophe) überhaupt keine Merkmale eines Genozids eines bestimmten Volkes an einem anderen. Die Hungersnot im Jahr 1933 fand in vielen Teilen der Sowjetunion statt, darunter auch in Südrussland, im Wolga-Gebiet und in Kasachstan, was die fehlende national-ethnische Motivation belegt. Diese Tragödie hatte nichts mit dem "Kampf zweier Völker" zu tun, sondern wurde von einer engen Clique im Kreml, die meistens aus unterschiedlichsten Ethnien zusammengesetzt war, angeordnet und von lokalen ukrainischen Kommunisten ausgeführt. Außer dem geographischen Sitz der stalinistischen Führungsclique in Moskau hat der Holodomor in der Ukraine mit Russland und seinen Bewohnern nichts zu tun, außer dass sie selbst auch betroffen waren.

Auf der krampfhaften Suche nach einer eigenen historischen Identität, die sich unbedingt von der russischen abheben soll, ist das Fälschen der Geschichte für Juschtschenko auch an anderen Stellen ein beliebtes Mittel. Im Jahr 2009 jährt sich zum 300-ten Mal die berühmteste Schlacht des Großen Nordischen Krieges, die Schlacht von Poltava. In ihr besiegte der russische Zar Peter der Große entscheidend die schwedische Armee unter König Karl XII., der auf die Einladung des übergelaufenen ukrainischen Kosakenhetmans Maseppa hin in die Ukraine vorrückte. Die meisten Kosaken blieben indes Russland treu und verließen Maseppa, so dass dieser Karl dem XII. nur drei bis vier Tausend Kämpfer an die Seite stellen konnte. Die meisten Ukrainer kämpften unter Hetman Skoropadski auf Seiten der Russen. Doch weder diese Tatsache, noch die schmachvoll verlorene Schlacht kümmert den Nationalisten Juschtschenko allzu sehr. Auf seine Anordnungen hin, werden nach Maseppa und Karl XII. in den ukrainischen Städten Straßen umbenannt, während der Schwedenkönig bald in einer Reihe mit Nazi-Schergen als "Held der Ukraine" stehen soll. Die Absurdität hat noch ihre Steigerung: auf dem Feld der vernichtenden Niederlage soll ihm ein Denkmal eröffnet werden und das kurzfristige "ukrainisch-schwedische Bündnis" als frühe Etappe der "europäischen Integration" gelobt werden (Originalton Juschtschenko).

Derartige Schleimer und Heuchler spülen also die von den Amerikanern finanzierten bunten Revolutionen an die Macht. Die Europäer freuten sich zunächst wie Kinder über die "demokratischen" Umbrüche in der Ukraine, doch über fast alles Peinliche, was seitdem geschieht, schweigt sich die sogenannte freie Presse kleinlaut aus. Sie weiß warum.

Montag, 10. Dezember 2007

And the President is...

Mehrere Jahre lang schien für viele die Frage, wer Putin als Präsident Russlands beerben wird, als eine der spannendsten Fragen der russischen Politik überhaupt. Heute ist sie wohl gelöst worden und zwar so unspektakulär und deeskalierend, wie kaum jemand angesichts ihrer dauerhaften Brisanz vermutet hätte. Auch dies dürfte bis auf weiteres der Haben-Seite von Putin angerechnet werden, nennt er doch die Stabilität und die Bewahrung des Landes vor Erschütterungen als wichtige Ziele seiner Präsidentschaft. Der Machtwechsel im Kreml galt vielen als kritisches Moment und heute ist der erste Stein für seinen entschärften und ausgeglichenen Verlauf gelegt worden.

Der Vize-Premier und Gazprom-Aufsichtsratvorsitzende Dmitri Medvedev ist, so scheint es, eine Person, mit der letztlich alle leben können. Für die Mehrheit der Russen ist er der Fortsetzer des stetigen Aufbaukurses von Putin und auch der geschätzte "nationale Führer" wird dabei wohl irgendwo in der Nähe bleiben sowie angesichts der vermeintlichen charakterlichen Milde von Medvedev seinen Beitrag in die Tagespolitik einfließen lassen können. Zudem steht Medvedev aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit für die sozialen Seiten des Staates.

Für die verschiedenen Spektren und Gruppierungen im Kreml ist Medvedev ebenfalls eine akzeptable Kompromissfigur. Auf eine bemerkenswerte Weise ist er liberal genug für Liberale und konservativ genug für Konservative. Damit könnte Russland der Bulldoggenkampf unter dem Teppich wahrscheinlich erspart bleiben.

Für die radikale Opposition um Kasparov wird Medvedev zwar ein "Mann des Regimes" sein, doch wird ihr die Mobilisierung des ohnehin kleinen Rebellenkontingents sowie seine Dämonisierung in den Westmedien deutlich schwerer fallen als gegenüber Putin: Medvedev hat bisher noch nicht mal subjektiv ein erwähnenswertes Sündenregister vorzuweisen und wirkt generell irgendwie so gar nicht autoritär.

Für die Vertreter der nationalen und ausländischen Wirtschaft dürfte Medvedev als wirtschaftsliberaler Mann von Welt ein Segen sein. Zum einen, weil er als Mitglied des Gazprom-Aufsichtsrats solide Erfahrung und Kenntnisse in Wirtschaftsfragen mitbringt. Zum anderen, weil er als Davos-Reisender und Koordinator internationaler Wirtschaftsprojekte ein repräsentativer, weltoffener Verbesserer des Investitionsklimas sein dürfte. Zugleich ist von ihm ein konsequentes Eintreten für nationale Wirtschaftsinteressen zu erwarten.

Für die westliche Politikwelt ist Medvedev wohl ebenfalls die akzeptablere Variante unter den sonstigen realistischen Möglichkeiten. Er dürfte zugänglicher sein und in manchen Situationen eine kompromissbereitere Position beziehen, als etwa vom anderen potenziellen Kandidaten, Sergei Ivanov, zu erwarten gewesen wäre.

Doch obwohl die westlichen Medien noch nicht wirklich viel Kompromat (Russisch für "kompromittierendes Material") gegen Medvedev haben (weder hat er eine Geheimdienstvergangenheit, noch hatte er je Militäroperationen angeordnet), driftete der Grundton der Berichterstattung schon mal vorsorglich ins Skeptische. Spiegel Online servierte den überaus geistreichen Slogan "Gasprom wird Präsident" und die berüchtigte Britta Hilpert (ZDF) diagnostizierte ihn schon mal mit dem Lieblingswort Vasall. Die meisten Medien deuten an, dass das ganze Vorgehen undemokratisch sei, da angeblich Putin alles alleine wie ein Zar entscheide. Hier irren sie mal wieder, denn das letzte Wort hat immer noch das Volk. Dass Putin jedoch ein derartiges Vertrauen genießt, dass die meisten Russen sich seinen Empfehlungen anzuschließen bereit sind, ist eine andere Sache - nicht selbstverständlich, sondern hart erarbeitet. Geschätzt und gehört zu werden muss eben nicht aus dem Rahmen der Demokratie fallen.

Montag, 3. Dezember 2007

Zu den Parlamentswahlen in Russland

In Russland ist Wahlzeit und im Westen damit automatisch Hochkonjunktur für Russland-Bashing. Es wird alles gemacht, um die unbestreitbare Unterstützung der russischen Mehrheit für Putins Kurs zu verschleiern und zu diskreditieren. Die Wahlen werden pauschal als unfair und undemokratisch abgestempelt, unter anderem, weil angeblich "keine echte Opposition" einen Erfolg verbuchen konnte. Doch was ist dran an den ganzen Anschuldigungen?

Der SPIEGEL desinformiert mal wieder die Leserschaft mit Halbwahrheiten, indem er vom Ausschluß Kasparows durch die Staatsmacht redet. Das bleibt dann so auch stehen und impliziert willkürliches und repressives Vorgehen. Dass dieser Ausschluß auf die russische Verfassung zurückgeht, die nur Parteien und keine Blöcke und Bündnisse zu den Parlamentswahlen erlaubt (erst recht, da sich in diesem Bündnis die verbotene national-bolschewistische Partei Eduard Limonows, analog zur deutschen NPD, befindet), ist dabei wohl ein unwesentliches Detail. Freilich schaut man in anderen Fällen sehr genau hin und fordert die strikte Einhaltung eben dieser Verfassung - wenn es um eine Verlängerung von Putins Präsidentschaft geht.

Sieht man von Kasparow weg, nahmen an den Wahlen 11 Parteien teil, die ein breites Spektrum an Ideologien repräsentierten. Darunter waren pro-westliche Liberale, Kommunisten, Nationalisten und Sozialdemokraten. Sie alle trugen im russischen Fernsehen Rededuelle aus und konnten dem Wähler ihre Programme und Ansichten näherbringen. Vier Parteien konnten am Ende ins Parlament einziehen.

Die Wahl war allerdings in der Tat von einem starken medialen Übergewicht der Putin-Partei "Einiges Russland" geprägt. Trotzdem reicht diese Tatsache alleine nicht aus, um die Wahl als unfair abzustempeln. Eine gewisse Disproportion in der Berichterstattung ist wohl eher natürlich - kann doch nicht radikalen Revolutionärs-Gruppen um Kasparow sowie den im Volk nachweislich kaum Anklang findenden Liberalen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie einer zentristischen Volkspartei. Ein anderes Argument von OSZE-Vertretern (die trotz eines im Vorfeld skandalträchtig angekündigten Rückzugs doch noch bei der Wahl anwesend waren) für die angebliche Ungerechtigkeit der Wahlen, war die große Anzahl von Transparenten für Putin, mitunter an öffentlichen Gebäuden. Nun ja - unerhört! Dies ist in der Tat sehr manipulativ, vor allem wenn man einem Plakat an einem öffentlichen Gebäude eine größere Überzeugungskraft unterstellt, als an irgendeinem anderen Gebäude, was stark zu bezweifeln wäre. Die zweite notwendige Unterstellung wäre, dass die Russen allesamt unmündigen Kindern gleichen, deren Loyalität zu einer Partei proportional zur Größe der Transparente wächst. Berichte, die gar davon sprechen, dass jemand zum Wählen von "Einiges Russland" gezwungen wurde, beleidigen angesichts der in Russland nachwievor herrschenden geheimen Wahlen geradezu die Intelligenz des Lesers.

Die Wahl in Russland war - trotz der Fixierung auf alles Negative im Westen - weitgehend fair und repräsentativ. Vier Parteien haben den Einzug ins Parlament geschafft. Bloß weil darunter keine Revoluzzer á la Kasparow und Limonow sind, die einen Umsturz Putins fordern, heißt es nicht, dass es keine Opposition im Parlament gibt. Zwar hat Putin mit seiner Autorität eine überwältigende Mehrheit für "Einiges Russland" herausgeholt, aber das ist an sich nicht undemokratisch. Eine solche Popularität muss erst erarbeitet werden - und die wird nicht mit großen Plakaten erreicht, sondern mit steigenden Einkommen, der Sicherheit und dem neuen Gefühl nationaler Würde.