Donnerstag, 20. November 2008

Und täglich grüßt der Totengräber

Nicht nur das Dämonisieren, sondern auch das Schwachreden Russlands gehört im Westen zu einem traditionsreichen rhetorischen Genre. Die beiden Taktiken sind auf eine bemerkenswerte Weise miteinander verflochten: sie haben den gleichen russlandfeindlichen Ursprung, die entgegengesetzte Methodik und dienen wiederum dem gleichen Zweck. In Abhängigkeit von persönlichen Neigungen des Kommentators findet eine dauerhafte Spezialisierung statt.

In der Sache schließen sich ein böses und ein schwaches Russland zwar nicht aus (so mancher pedalliert aus lauter Verbissenheit beides zugleich), die beiden Methodiken laufen aber in gewissem Maße in entgegengesetzte Richtungen und sind nur schwer gleichzeitig überzeugend zu vermitteln. Jemand, der im Leser Ängste und Widerstand gegen "russische Bedrohungen" wecken möchte,
ist meistens daran interessiert, diese Bedrohungen als möglichst groß darzustellen: Aufrüstung, Energie-"Erpressung", Geheimdienste oder drohende Übernahme strategischer westlicher Wirtschaftszweige. Hier soll eine defensive Psychologie als Reaktion auf einen großen und fiesen Gegner erzeugt werden. Das Schwachreden appelliert dagegen an offensive Gelüste und Überheblichkeit: hier soll durch das Betonen von Problemen das Gewicht Russlands herabgesetzt werden, um Kompromisslosigkeit in außenpolitischen Angelegenheiten anzuheizen. Und auch wenn sich beide Vorgehensweisen wenig vertragen, zielen sie unterm Strich gleichermaßen auf die Ablehnung Russlands ab.

Der Methodik des Schwachredens, die historisch in diversen Blitzkrieg-Versprechungen Anwendung fand, bedienen sich heute Propagandisten mit der persönlichen Neigung zum Wunschdenken und Schadenfreude. Dabei haben sich mit der Zeit klassische "Axiome" etabliert, die veranschaulichen sollen, wie perspektivlos und vernachlässigbar Russland ist. Zum einen lässt kaum ein Vertreter dieser Linie Russlands "demographische Katastrophe" aus, die unbedingt in die Eroberung Sibiriens durch China münden muss. Ganz so, als ob Probleme demographischer Natur anderer Industriestaaten besser wären (Geburtenrate EU: 10,25; Russland: 11,03 (Quelle)) und wir weiterhin in einer Zeit leben, in der die Wehrfähigkeit durch große Menschenmassen erreicht wird.

Ein anderes beliebtes Argument ist Russlands Wirtschaft, die angeblich nur durch Öl und Gas überlebt. Jetzt, wo der Ölpreis gefallen ist, wittern die Herren Totengräber bereits die "womöglich schärfste Wirtschaftskrise des neuen Russland" (Uwe Klussman bei Spiegel Online), deren Bestätigung die stark gefallene Moskauer Börse und die "Kapitalflucht" sein soll. Die Vorstellung, die aktuelle Finanzkrise würde die russische Wirtschaft härter als alle anderen treffen, weil sie ein Koloss auf tönernen Füssen ist, passt perfekt ins Propagandabild, doch diese Märchen können höchstens Naive beeindrucken. An der Grundtendenz des Nachfragewachstums in Schwellenländern sowie der Rohstoffverknappung wird auch die aktuelle globale Finanzkrise nichts ändern, so dass mit Sicherheit ein erneuter Anstieg des Ölpreises bevorsteht. Die Turbulenzen im Börsenkasino stellen eine Korrektur dar, nachdem Russlands RTS-Index über ein Jahr lang überproportional anstieg. Grund war, dass er eine längere Zeit ein Auffangbecken für internationale Spekulanten wurde, die der Krise im Westen auswichen. Zudem ist die Rolle der Börse in Russland bislang weitaus geringer, als zum Beispiel in den USA. Was ein Klussmann und seinesgleichen dagegen nicht erwähnen, ist dass Russland während der derzeitigen "schärfsten Wirtschaftskrise" ein BIP-Wachstum von 7,3% verbucht, was die Behauptungen der einseitig auf Rohstoffen basierenden Wirtschaft widerlegt.

Russlands Armee, die angeblich von Zerfall geprägt ist und deren kampfunfähige Waffen vor sich hin rosten, erzielte in Georgien einen Blitzsieg gegen einen Gegner, der mit neuester NATO-Technologie ausgestattet und von NATO-Instrukteuren geschult war. Zwar ist Georgien zu klein, um daraus weit gehende Schlüsse zu ziehen, doch die Effektivität des russischen Vorgehens hat viele verblüfft und die spöttischen Stimmen wichen für eine längere Zeit den Angst schürenden.

Trotz alledem werden wir immer wieder Stimmen hören, die sich der klassischen populistischen Palette bedienen, um Russland zu einem nicht ernstzunehmenden Spieler zu erklären. Sie propagieren das Bild eines dahinvegetierenden geopolitischen Auslaufmodells, der schlicht ignoriert gehört. Mittlerweile hat sich auch Joschka Fischer in diesen seltsamen Chor eingeschaltet und prophezeit Russland, das in jeglicher Hinsicht am kürzeren Hebel sitze, eine "düstere Perspektive". Seit der Mann auf der Gehaltsliste von George Soros und Madeleine Albright steht, verzapft er nur noch russophoben Mist. Ein denkwürdiges Beispiel, wie sich ein linker Rebell in einen verkrusteten Neocon verwandeln kann.

Russland ist im Lauf seiner Geschichte schon häufig mal für tot erklärt worden und wird auch solche Rhetoriker überleben. Die Frage ist viel eher, ob sich Europa damit selbst ein Gefallen tut, Russland immer auf diese oder jene extreme Weise wahrzunehmen und ob nicht endlich eine sachliche, ausgeglichene und pragmatische Einstellung den wahren Interessen beider Seiten gerechter wäre.

Freitag, 14. November 2008

Geh bleib stehen

Die Liste europäischer Absurditäten hat sich in den vergangenen Tagen um eine weitere Episode bereichert. Diesmal geht es um die Ostsee-Pipeline, die ab 2011 russisches Erdgas nach Greifswald in Deutschland transportieren soll. Das 2005 von Schröder und Putin auf den Weg gebrachte Projekt stieß von Anfang an auf Widerstand von traditionell russophoben Staaten, wie Polen oder den Balten. Vor allem die Polen, um Einnahmen aus dem Transitgeschäft fürchtend, schrien lauthals über einem "neuen Hitler-Stalin Pakt", der vor allem auf die Schwächung ihres Landes abziele. Auch die Balten, denen transitgebührmäßig zwar nichts blühte, stimmten mit an, da sie ja für jeden anti-russischen Galoppritt zu haben sind. Entschiedener Gegner des Projekts waren auch die USA, die traditionell jede Annäherung und Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland unterbinden wollen. Bereits die weltgrößte Pipeline "Druschba", die Deutschland seit den 1960er Jahren zuverlässig mit großen Mengen Gas versorgt, stieß seinerzeit auf amerikanischen Protest. Die Amerikaner, die weder eigene Erfahrung mit russischen Energielieferungen haben, noch vom kommenden Projekt betroffen sind, machten sich am Lautesten Sorgen über die Zuverlässigkeit russischer Lieferungen.

Für die Kassandra-Rufe üblicher Verdächtiger hatte traditionell die CDU sehr viel Gehör. Den Erfolg Schröders miesmachend, schüttelte sie den Kopf über die Nicht-Beachtung der Interessen "osteuropäischer Nachbarn" und "die Bedrohung Europas durch Abhängigkeit von Russland". Als sie selbst bald an die Macht kam, war jedoch der stragtegische Nutzen der Pipeline so offensichtlich, dass sie an diesem Kind Schröders stillschweigend festhielt. Sie ließ aber nie ihre anti-russische Rhetorik fallen, stimmte als Reverenz an die USA bei jeder Gelegenheit Klagelieder über die vermeintliche russische Unzuverlässigkeit an und bezog in den Konflikten Russlands mit den Transitländern immer die Position der letzteren.

Währenddessen bemühten sich die Osteuropäer, die auch noch Schweden ins Boot holten, mit allen Mitteln darum, das Projekt scheitern zu lassen. Alle möglichen Wege wurden ausprobiert, zuletzt "ökologische Bedenken". Dabei hat das Pipeline-Konsortium für viel Geld die geplante Route auf dem Meeresboden von jeglichen Chemikalien aus dem Zweiten Weltkrieg säubern lassen und die ökologische Situation der Ostsee sogar verbessert. Da der Grund für Proteste aber in Wahrheit woanders liegt, konnte das die Gemüter wenig beruhigen. Die Osteuropäer versuchen nun, das Projekt auf der EU-Ebene scheitern zu lassen.

Nun trat der russische Premier Putin in den Vordergrund und rief die EU auf, endlich mal für Klarheit zu sorgen, ob das Projekt nun gebaut werden soll oder nicht. Die Bauphase auf russischem Festland geht bald zu Ende und Russland ist die Querelen innerhalb der EU langsam leid, die sich hinauszögern, weil sich US-Freunde in der deutschen Regierung davor zieren, endlich ein Machtwort Richtung Osteuropäer auszusprechen. Nach Putins Worten kann Russland auf den Bau der Unterwasser-Pipeline auch verzichten und stattdessen Verflüssigungsanlagen bauen, um das Gas mit Tankern auf dem Weltmarkt anzubieten. Dies könnten die Deutschen und die Niederländer dann ebenso kaufen, müssten aber auch die höheren Kosten in Kauf nehmen.

Kaum waren Putins Worte gesagt, hagelte es in der Presse Empörung über "Putins Drohungen". (Interessante Bemerkung von Botschafter Kotenev im ARD-Morgenmagazin: Westen=Ankündigungen, Russland=Drohungen). Noch martialischer und sachverhalts-entstellender: Putin droht Europa mit teurem Gas. Der selbe außenpolitische CDU-Schnösel Schockendorff, der sich früher über die zu große Anbindung an Russland erhitzte, verurteilte Putin und einen eventuellen Baustopp. Auf einmal finden alle die Pipeline sehr wichtig, während das böse Russland sie wegzunehmen droht.

Beständigkeit scheint in Medien- und Politikkreisen nur eine Position zu haben: Kritik an Russland.

Mittwoch, 12. November 2008

E wie einfach, U wie unsinnig

Die EU will mit Russland erstmals seit dem Georgienkrieg wieder Gespräche aufnehmen. Was an sich positiv ist, erscheint vor dem Hintergrund des von der europäischen Seite zuvor künstlich geschaffenen Streits, eher natürlich und nicht sonderlich bemerkenswert. Doch selbst hier finden sich sogleich sogenannte Kommentatoren, die voller Empörung davon erzählen, dass Europa buckelt, anstatt prinzipientreu zu bleiben. Welche Prinzipien, möchte man da fragen. Einen psychisch kranken Kriegsbrandstifter zu unterstützen, während die Frage nach der Kriegsschuld von vornherein als "unwesentlich" erklärt wird?

Zur Aufhebung der Gesprächsblockade bewegte die EU wohl der Realismus, der relativ schnell einkehrte, sobald die ersten russophoben Reflexe wieder verflogen sind. Ohne Russland lässt sich auf dem Kontinent eben vieles nur schwer lösen. Außerdem entpuppte sich die Bestrafungswirkung, die man sich durch das Aussetzen der Verhandlungen in Brüssel versprochen hatte, komplett als ein Schuss ins Blaue. Den Russen war das Ganze herzlich egal und an einem neuen Abkommen war vor allem die EU selbst interessiert, was schnell wieder deutlich wurde. Dieser ziemlich dämliche Zickzackkurs ist symptomatisch für die ganze verkrampfte, reflexartige und irrationale Russland-Beziehung in den Hauptstädten Europas.

Um das Gesicht nicht zu verlieren, musste die Rückkehr zu Normalität natürlich erst mit etwas "prinzipientreuer" Rhetorik vermischt werden. So verlangt es das Ritual. Die neuen Verhandlungen mit Russland würden von Seiten der Europäer aber "hart geführt" werden, tönt es da aus einer Ecke. Ob in Russland jetzt jemand Angst bekommen hat? Die neue Verhandlungsbereitschaft sei keine Belohnung für Moskau, tönt es aus einer anderen Ecke. Keine Sorge, wir wissen, dass es lediglich die hastige Korrektur eigener Dummheit ist. Aber das Stichwort Belohnung ist trotzdem sehr interessant.

Interessant vor allem deshalb, weil es die Selbsteinschätzung vieler Politiker der EU offenbart. Noch immer verstehen sich viele als höchste moralische Autoritäten, deren unendlich kostbare Verhandlungsbereitschaft bereits eine große Belohnung für verschiedene "böse Bengel" darstellen muss. Kein Wunder, dass mit derart absurder Wahrnehmung von sich und dem Gegenüber Reibungen vorprogrammiert sind. Wieviel Raum eine solche Haltung den Argumenten und dem Verständnis der anderen Seite lässt, kann sich jeder vorstellen.

Solange die Europäer nicht von ihrem hohen moralisch-zivilisatorischen Ross runterkommen, den sich sich selbst eingeredet haben, wird es keinen zufriedenstellenden Dialog mit Russland, im Gegensatz zu vielleicht Albanien, geben. Europa scheitert an seiner Verbohrtheit und hängt noch zu sehr am bequemen alten Beziehungsmuster, als man mit Russland noch wie mit einem Schuljungen umgehen konnte. Doch die Zeiten haben sich längst geändert. Das sieht man unter anderem daran, wie schnell Europa von den eigenen diplomatischen Eskapaden zurückrudern muss. Das nebeneinander Überleben von sturem Überlegenheitswahn und teilweise gegenteiligen Realitäten, ist eine bizarre Spezifik der europäischen Beziehung mit Russland. Die Überwindung dieser Kluft durch das Anpassen der eigenen Einstellungen zugunsten einer vernünftigen und sachgemäßen Politik und durch das Lernen zuzuhören, ist für Europa eine existenzielle Aufgabe. Sonst werden solche sinnlosen Verirrungen an der Tagesordnung bleiben. Und als EU-Bürger muss man sich weiterhin für die inadäquate Politik schämen.

Samstag, 8. November 2008

Gute Übergabe des Raketen-Staffelstabs

Während die ganze Welt die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten bejubelte, waren aus Russland verhaltene Töne zu hören. Zum einen ist Russland weniger als andere vom Bazillus der Politkorrektheit befallen, der einem Schwarzen oder einer Frau allein auf Grund dieser Tatsache schon einen besonderen Sympathievorschuss gibt. Der eigentliche Grund war jedoch ein anderer. In Russland war bekannt, dass Obamas außenpolitische Überzeugungen nur minimale Unterschiede zum Kalten Krieger McCain aufweisen. Seit Obama während seines Wahlkampfs den Einhalt "russischer Aggression" als eines der außenpolitischen Ziele verkündete, war klar, dass dem russisch-amerikanischen Verhältnis keine Besserung bevorsteht. Unter den Beratern Obamas finden sich dazu solche bekannten russophoben Persönlichkeiten wie Zbigniew Brzezinski, Madeleine Albright oder auch der Vize Joe Biden, dessen Wahl McCain seinerzeit sehr begrüßte.

Dass Medvedev gleich am Tag nach der Wahl Obamas die Aufstellung der Iskander-Raketen im Gebiet Kaliningrad bekanntgab, werteten viele westliche Beobachter als "Provokation". In der herrschenden Elite mache sich "Entsetzen und Verärgerung" breit, erzählen die Medien. Und der nicht gerade durch Beständigkeit glänzende deutsche Außenminister kommentierte die jüngste Entwicklung mit Worten "Ein falscher Schritt zur falschen Zeit".

Dies dürfte jedoch die Liste der Fehleinschätzungen bereichern, die die deutsche Politik in den internationalen Angelegenheiten an den Tag legt. Wie heute bekannt wurde, sicherte Obama dem polnischen Präsidenten zu, genau wie Bush am provokanten Raketensystem festhalten zu wollen. Sicherlich liegt diese Entscheidung nicht an den Worten Medvedevs: ein Billionen-Projekt zu unterstützen, entscheidet man nicht spontan, dahinter steckt langfristige Überzeugung. Da man davon ausgehen kann, dass dies im Kreml bekannt war, waren wohl die Worte Medvedevs nach der Obama-Wahl durchaus an den richtigen Adressaten gerichtet.

Die europäischen Medien scheinen indes absolut blind dafür zu sein, dass es für Russland dabei nicht um Großmachtpolitik, sondern um seine pure Sicherheit geht. Den Russen wird zugemutet, der Aufstellung von Raketen an ihrer Grenze stillhaltend zuzuschauen und sich auf Worte der USA über deren Anzahl und Art zu verlassen. Das bedeutet die eigene Sicherheit quasi in amerikanische Hände zu legen. Eine funktionierende Sicherheitsarchitektur kann aber nicht auf Worten basieren, erst recht nicht den Worten einer Macht, die sich in letzter Zeit schon oft genug als Lügner entpuppte. Trotzdem werden in den europäischen Medien Provokation und Reaktion vertauscht, in einer Weise, die entweder auf abgrundtiefe Ignoranz oder abgrundtiefe Heuchelei schließen lässt. Dass blocktreues Denken in der Politik dominiert, ist die eine Sache. Das Fehlen jeglicher Meinungsvielfalt zu dieser Frage in der angeblich freien Medienlandschaft, ist dagegen eine andere. Hier haben wir ein weiteres Beispiel, wie sich Europa treu und unmündig ans Bein seines Herrchens drückt, auch wenn die Konsequenzen der besorgniserregenden Entwicklung rund um die Raketen vor allem in Europa selbst zu spüren sein würden.

Ergänzung: Im Laufe des Tages stellte sich heraus, dass der polnische Präsident Kaczynski, der zunächst die "freudige" Botschaft hinausposaunte, in seinem Wunschdenken wohl etwas voreilig war. Ein Berater Obamas stellte gegen Abend klar, dass Obama keine Garantie für die Aufstellung der Raketen gegeben hat, sondern erst von der technischen Effektivität eines solchen Systems überzeugt sein will. Sollte lediglich die technische und nicht die politische Komponente ausschlaggebend sein, wäre das aber als Geste an Russland keineswegs besser. Was bei dieser Atmosphäre zwischen beiden Staaten noch alles an Konfliktstoff anfallen wird, bleibt offen.