Dienstag, 17. März 2009

Doppeldeutiger Neustart

Der Amtsantritt von Barack Obama wurde in den USA und in der ganzen Welt überschwänglich gefeiert, was an sich wenig überraschend war - angesichts der acht Jahre verkrusteter und verbohrter neokonservativer Führung von George Bush mit seinen zahlreichen Fehlern, Krisen und Sackgassen, die alle sehr müde machten. In Obama, der außer eines effektvollen Wahlkampfs noch kaum etwas vorzuweisen hat, wurden Hoffnungen auf Erneuerung und Normalisierung projiziert, die teilweise so übertrieben und blauäugig waren, dass danach notwendigerweise eine Ernüchterung einsetzen musste.
Auch für die Beziehungen zwischen USA und Russland wurde von vielen Beobachtern eine Erwärmung prophezeit, nachdem diese in den letzten acht Jahren stetig abkühlte und im August 2008 beim Südossetienkrieg ihren negativen Höhepunkt fand, als die Stimmung und die gegenseitige Medienpropaganda auf das Niveau des Kalten Krieges absackte. Obama und sein Vize Joe Biden sendeten Signale, dass Amerika an einem Neustart der russisch-amerikanischen Beziehungen interessiert ist, was Politologen als vielversprechende und notwendige Weichenstellung werteten. Doch wie sieht es in der Substanz aus? Ob die beiden Länder tatsächlich den Berg von Problemen und Widersprüchen auseinander räumen können und wollen und ob vor allem die neue US-Administration zu einer echten Revision der vorpreschenden Politik der letzten zwei Jahrzehnte bereit ist, ist eher mit Zweifel zu sehen.
Als ein erstes praktisches Zeichen des „neuen Kurses“ in Washington gilt das in die Presse „zufällig“ gelangte Angebot Obamas an Russland, die geplante US-Raketenabwehr in Osteuropa zu überdenken, falls sich Russland in der Iranfrage hinter Amerika stellt. Medvedev ließ jedoch schnell erkennen, dass Russland an einem derartigen Kuhhandel wenig interessiert ist. Aus gutem Grund: für einen nebulösen Verzicht auf ein schwammiges, wenn auch provokantes, Projekt, dessen technische und finanzielle Umsetzung vor allem vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise ohnehin sehr zweifelhaft ist, soll Russland reale vorteilhafte Beziehungen mit dem Iran langfristig ruinieren, um später eventuell sogar mit einer Wiederaufnahme der Raketenpläne konfrontiert zu werden. Die Amerikaner halten sich an Abmachungen bekanntlich nur solange diese an eine simultan laufende Gegenleistung gebunden sind, danach füllen sie das sich öffnende Vakuum wieder maximalmöglich aus und provozieren ohne Not, um sich Übergewicht zu verschaffen. Was wird eine Leistung an die Amerikaner wert sein, wenn sie schon irreversibel erbracht ist? Die Glaubwürdigkeit dieses Landes ist in den Augen der Russen ohnehin stark beschädigt, nachdem bereits die NATO trotz anderslautender Beteuerungen nach Osten vorpreschte, nachdem der Irak mit erlogenen Begründungen angegriffen wurde und nachdem Amerika einseitig den SALT-II-Vertrag über die Rüstungsbeschränkung im atomaren Bereich auflöste. Da reicht auch ein Administrationswechsel im Weißen Haus nicht: der Ruf eines Landes unterliegt zurecht einer bestimmten Kontinuität, zumal die Außenpolitik Amerikas bereits in den vergangenen Jahrzehnten eine von Wahlausgängen fast unabhängige Kontinuität demonstrierte. Das Angebot der USA sollte vor diesem Hintergrund als ein weiteres substanzloses Scheinangebot bewertet werden, der dem Zweck dient, sich in den Augen der eher oberflächlichen Weltöffentlichkeit als konstruktiv zu positionieren, während Russland als sturer „Njet“-Sager dastehen soll.
Symbolisch war da auch das erste Treffen zwischen Außenministerin Hillary Clinton und ihrem russischen Kollegen Sergei Lavrov. Um die vermeintliche Wiederbelebung der Beziehungen zu verdeutlichen, brachte die Amerikanerin einen stilisierten roten Knopf mit sich, auf dem auf Englisch und Russisch „Neustart“ stehen sollte. Beim russischen Wort gab es allerdings ein Fauxpas: statt Perezagruzka, was dem englischen Reload entspräche, gab es eine Peregruzka – ein Overload. Der Diplomat Lavrov hätte den denkwürdigen Fehler gerne übersehen, wenn Clinton nicht extra unterstrichen hätte, dass sich die Mitarbeiter des Department of State „größte Mühe“ gemacht hätten, das richtige Wort zu finden. Als sie von Lavrov wissen wollte, ob es gelungen ist, musste dieser gestehen, dass auf dem Knopf ein fehlerhaftes Wort steht und seine Bedeutung erklären. „Wir werden Ihnen nicht erlauben, das mit unseren Beziehungen zu machen“ sagte Clinton im „Scherz“. Um einen naiven Übersetzungsfehler handelte es sich dabei wahrscheinlich nicht, denn beim entsprechenden Willen hätten die Spezialisten im US-Außenministerium die korrekte Übersetzung des Worts wohl rausgefunden. Wahrscheinlicher ist, dass wir Zeugen einer idiotischen Show á la americaine wurden, die sich vermutlich auch in die reale Politik fortsetzen wird.