Doch auch wenn 70 Jahre vergangen sind, hält die Vergangenheit die Polen weiterhin unter Starkstrom, denn sie ist es, über die das Verhältnis des Landes zu seinen Nachbarn auch heute noch weitgehend definiert wird. Die neueste Mode dabei ist, die sowjetische Besetzung "Ostpolens" auf eine Stufe mit dem Überfall Hitlerdeutschlands zu stellen und den Zweiten Weltkrieg zu einem Kampf von zwei einander gleichenden totalitären Systemen zu stilisieren. Und von den heutigen Russen wird erwartet, dass sie diese Sicht voller Reue akzeptieren und sich entschuldigen. Dass Russland eine andere Sicht auf den Anfang und das Wesen des Zweiten Weltkrieges hat, wird in Polen als Beweis russischer Bösartigkeit betrachtet.
Was geschah aber wirklich im September 1939 und was war die Vorgeschichte? Am 23. August 1939 unterschrieben die Außenminister des Deutschen Reiches und der Sowjetunion, von Ribbentropp und Molotow, einen Nichtangriffspakt, der von Polen heute als Voraussetzung für den Anfang des Zweiten Weltkrieges und als zentraler Beleg für die sowjetische Mitverantwortung gesehen wird. Ihn jedoch als Voraussetzung zu interpretieren, ist schlichtweg falsch, denn den Überfall auf Polen hatte Hitler in jedem Fall vor. Einschlägige Dokumente zeigen, dass dieser ursprünglich sogar auf März 1939 angesetzt war, bevor er verschoben wurde. Das bedeutet, dass wenn jemand außer Nazideutschland überhaupt die Schuld am Anfang des Krieges trägt, dann sind das wohl eher die Westalliierten mit Ihrer Appeasement-Politik in München 1938, die Hitlers Appetit und seinen Glauben an die Straflosigkeit noch weiter steigerten.
Zugleich wurde damit die Sowjetunion, die zuvor im spanischen Bürgerkrieg gegen Hitlers Legionen kämpfte und ein Bündnis mit "westlichen Demokratien" gegen den Faschismus suchte, vor den Kopf gestoßen. Die Hoffnung auf eine gemeinsame Kampffront gegen Hitler war zerstört. Ausgegrenzt und auf sich allein gestellt, musste sie go gut es geht selbst für ihre Sicherheit sorgen. Kurz vor dem unvermeidlichen Ausbruch des Krieges reagierte sie mit dem Abschluss eines Nichtangriffspakts, der ihr immerhin etwas Zeit und die Hoffnung gab, den Krieg in die Richtung derer umleiten zu können, die zuvor das selbe mit der Sowjetunion versuchten.
Was ist aber mit der Besetzung "Ostpolens" durch die Sowjetunion am 17. September 1939? Bei diesen fälschlicherweise so bezeichneten Gebieten, handelt es sich um historisch und demographisch ostslawische Gebiete, die sich Polen 1920 bei einem Angriffskrieg gegen das bürgerkriegszerrissene Sowjetrussland angeeignet hat, um sein altes Imperium "von Meer zu Meer" wiederzubeleben. Dort wurde in den Folgejahren eine repressive und chauvinistische Polonisierungspolitik durchgeführt, was in den Jahren 1942-44 auf die Polen in Form von verbitterter Rache in der Westukraine zurückschlug. Auf die Massaker an den Polen in Wolhynien und Galizien werden wir etwas später näher eingehen. Unabhängig davon, ob die Besetzung dieser Regionen durch die UdSSR rechtens war, zeigt dies, dass Polens Anspruch auf diese Gebiete moralisch gesehen mindestens genauso strittig war. Mit der Annexion "Ostpolens" sicherte sich die Sowjetunion darüberhinaus auch einen zusätzlichen räumlichen Puffer, den sonst Hitlerdeutschland eingenommen hätte. Im Herbst 1941 hätte dieser Vorsprug bei der Operation Barbarossa der entscheidende Unterschied für die schnellere Einnahme Moskaus sein können, was den ganzen Verlauf des Zweiten Weltkrieges wohl auf den Kopf gestellt hätte. Auch das regelmäßig klingende polnische Argument, ohne den "Schlag in den Rücken" seitens der Sowjetunion hätte der polnische Widerstand weitergehen und eventuell erfolgreich sein können, gilt unter Militärhistorikern als absurd. Darüberhinaus hat sich die polnische Regierung schon vor dem sowjetischen Einmarsch nach Rumänien abgesetzt und die noch kämpfenden Truppenteile ihrem eigenen Schicksal überlassen. Für Wehklagen über den Zusammenbruch Polens wären auch hier wohl eher Großbritannien und Frankreich der richtige Adressat, da sie außer einer formellen Kriegserklärung nur einen feigen Sitzkrieg zustande brachten, mit gelegentlichem Flugblätterabwurf über deutschen Städten. Nur sie waren es, die Polen mit einem entschiedenen Eintreten für ihren Verbündeten noch womöglich vor dem Totalkrach hätten retten können. Doch damals führte jeder nur sein eigennütziges schmutziges Spielchen.
Zu guter Letzt muss auch generell die Darstellung von Polen als armes Opfer angezweifelt werden. Nur ungern erinnern sich die Polen daran, dass sie im Poker vor dem Zweiten Weltkrieg aktiv mitgemischt haben. So haben sie bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938 in Absprache mit Hitler selbst einen Teil des Landes annektiert, das Teschener Gebiet. Damit haben sie de facto genau das vorgemacht, wofür sie jetzt die anderen am Pranger sehen wollen. Wenn Polen sich damals, voll von nationalem Selbststolz, bereitwillig auf ein Spiel eigelassen hat, bei dem die Starken die Schwachen aufessen, darf es sich nicht beklagen, wenn es entsprechend dem Zeitgeist und dem Gesamtkontext selbst gefressen wurde. Darüberhinaus kommen zur Zeit immer mehr Dokumente zum Vorschein, die Polen generell Versuche in den 30er Jahren attestieren, sich bei Hitler anzubiedern und ein gemeinsames Vorgehen gegen die Sowjetunion zu verabreden. Polnischer Marschall Edward Rydz-Śmigły träumte ja ganz offen von einer polnisch-deutschen Siegesparade auf dem Roten Platz. Die russischen Archive haben angekündigt, eine ganze Reihe von Dokumenten zu veröffentlichen, die diese letztlich erfolglose polnische Initiative demonstrieren.
An jeder Ecke beklagt Polen seine Opfer und will, dass sich alle drumherum regelmäßig Asche aufs Haupt streuen. Zwar hat Polen im Zweiten Weltkrieg tatsächlich sehr viele Opfer erlitten, doch auch in dieser Frage lässt sich heute eine gewisse Heuchelei seitens Polen nicht übersehen. Katyn, ein Dorf in der Nähe von Smolensk, wo 1940 ca. 20 Tausend polnische Offiziere vom sowjetischen Geheimdienst hingerichtet wurden, wurde in Polen zu einem nationalen Epos hochstilisiert, mit kostspieligen Filmen, Publikationen, Diskussionen und hoher Aufmerksamkeit im Schulunterricht. Es ist der Eckstein der Anti-Russland-Haltung, der Beleg für die Bösartigkeit der Russen (wohlgemerkt, nicht der Georgier, Juden, Polen, die in der Befehlskette des NKWD eine große Rolle spielten).
Interessante Erkenntnisse bringt der Blick auf das extra dem Zweiten Weltkrieg gewidmete Portal der Gazeta Wyborcza. Den Beziehungen mit Russen, Deutschen, Juden und Ukrainern sind dort ganze Rubriken von Artikeln gewidmet. Das meiste Fett bekommt Russland weg, für historische Vergehen und für die aktuelle Unnachgiebigkeit. Deutschland kommt ebenfalls schlecht weg, für seine "Arroganz" und "Überlegenheitskomplexe". Nur bei den Ukrainern dominieren positive Schlagzeilen: "Polnisch-ukrainische Versöhnung" steht da, oder aber "Wir dürfen keine Geiseln jenes Konflikts sein". Gemeint ist dass ukrainische Massaker an den Polen während der deutschen Besatzung.
Von 1942 bis 1944 wurden von der sogenannten Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) in der Westukraine bis zu 100 Tausend polnische Zivilisten, meist Frauen, Kinder und alte Menschen zum Teil besonders bestialisch ermordet (oben beispielsweise getötete polnische Kinder nahe Luzk, eins mit aufgeschlitztem Bauch). Die ethnischen Säuberungen sind gut dokumentiert, unter diesem Link kann man beispielsweise Fotos des sogenannten Wolhynienmassakers sehen (Achtung, schreckliche Bilder!) . Doch im Gegensatz zum hochstilisierten Katyn belastet all das die polnisch-ukrainischen Beziehungen so gut wie gar nicht. Präsident Kaczynski und Präsident Juschtschenko, beide für starke Russophobie bekannt, liegen sich in den Armen und ersinnen diverse gemeinsame Projekte zur "Schwächung" Russlands, seien sie wirtschaftlich oder politisch noch so inkonsistent.
Diese Idylle wird überhaupt nicht von der Tatsache gestört, dass Nationalist Juschtschenko zuhause die UPA-Veteranen, die teilweise auch in SS-Einheiten dienten, als Helden lobpreist und Ihnen Medaillen vergibt. Hierbei wird sehr offensichtlich, wie Polen mit seiner Vergangenheit und seinen Opfern jongliert, wenn es um aktuelle politische Zweckmäßigkeiten geht. Um die stramme anti-russische Achse zu erhalten, werden die weit größeren (und dabei zivilen) Opfer ausgeblendet. Derartig heuchlerische Attitüden sollten alle diejenigen beachten, die für die instrumentalisierte polnische Opferrhetorik ein allzu offenes Gehör finden.
Auch wenn die russisch-polnische Geschichte schwierig ist, so ist es am Ende nur dem Sowjetsoldaten zu verdanken, dass Polen heute nicht nur kulturell, sondern auch schlicht physisch existent ist. Denn für Polen war unter dem Nationalsozialismus ein Schicksal vorgesehen, das sich nur unwesentlich von dem jüdischen unterscheidete. Die Polen hätten nach dem Willen der Nazis dezimiert und vesklavt werden sollen, ihre Kultur und Elite vernichtet, sogar einfache Bildung sollte ihnen verwehrt werden. Dass sie nicht als zwangsarbeitende Biomasse oder Dünger endeten, sondern als Polen weiterlebten und sich vermehrten, überwiegt die 40 Jahre ineffektive Planwirtschaft und beschnittene politische Rechte in der Volksrepublik Polen bei weitem. Die Rettung der polnischen Nation als solche kompensiert Katyn und andere problematische Stellen der Geschichte auf ewig um ein Vielfaches. Doch gerade die Nation, deren Bilanz bei den Polen unterm Strich als Positivste von allen gelten sollte, wird heute zum Hauptfeind erklärt sowie zur Hauptzielscheibe der Propaganda und Geschichtsverdrehung.
Von 1942 bis 1944 wurden von der sogenannten Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) in der Westukraine bis zu 100 Tausend polnische Zivilisten, meist Frauen, Kinder und alte Menschen zum Teil besonders bestialisch ermordet (oben beispielsweise getötete polnische Kinder nahe Luzk, eins mit aufgeschlitztem Bauch). Die ethnischen Säuberungen sind gut dokumentiert, unter diesem Link kann man beispielsweise Fotos des sogenannten Wolhynienmassakers sehen (Achtung, schreckliche Bilder!) . Doch im Gegensatz zum hochstilisierten Katyn belastet all das die polnisch-ukrainischen Beziehungen so gut wie gar nicht. Präsident Kaczynski und Präsident Juschtschenko, beide für starke Russophobie bekannt, liegen sich in den Armen und ersinnen diverse gemeinsame Projekte zur "Schwächung" Russlands, seien sie wirtschaftlich oder politisch noch so inkonsistent.
Diese Idylle wird überhaupt nicht von der Tatsache gestört, dass Nationalist Juschtschenko zuhause die UPA-Veteranen, die teilweise auch in SS-Einheiten dienten, als Helden lobpreist und Ihnen Medaillen vergibt. Hierbei wird sehr offensichtlich, wie Polen mit seiner Vergangenheit und seinen Opfern jongliert, wenn es um aktuelle politische Zweckmäßigkeiten geht. Um die stramme anti-russische Achse zu erhalten, werden die weit größeren (und dabei zivilen) Opfer ausgeblendet. Derartig heuchlerische Attitüden sollten alle diejenigen beachten, die für die instrumentalisierte polnische Opferrhetorik ein allzu offenes Gehör finden.