Dienstag, 25. Januar 2011

Demonstrative Bestürzung ohne Solidarität

Der Bombenanschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo hat weltweit eine Welle von Mitgefühl ausgelöst und Menschen in vielen Ländern ein weiteres Mal die widerwärtige Fratze des militanten Islamismus vor Augen geführt. Doch während in anderen Teilen der Welt, wie beispielsweise in China und sogar in den USA (weil man dort den Terrorismus kennt), das Mitgefühl auf eine aufrichtige Weise rüberkommt, hat man in der deutschen Medienlandschaft das Gefühl, dass die Tragödie einen willkommenen Anlass liefert, sich ein weiteres Mal als gutmenschliche Besserwisser aufzuspielen und statt Solidarität Russland-Bashing zu betreiben.

In der ARD-Tagesschau gibt es ein lächerliches Kommentar darüber, dass man Kaukasier nicht "reflexartig" beschluldigen sollte, und SPIEGEL Online präsentiert eine reißerische Top-Schlagzeile, dass Putin "Rache schwöre". Zitieren im O-Ton ist in Bezug auf russische Politiker schon lange out, eine "Umschreibung" mit eigenen Worten bietet ja viel mehr stilistisch gewünschten Spielraum. Dabei sagte Putin lediglich, dass die Attentäter eine unvermeidliche Strafe erwartet, was an seiner Stelle jeder andere Politiker auch gesagt hätte. Der Effekt der journalistischen Trickserei lässt nicht lange auf sich warten: bereits im dazugehörigen Forumsstrang lässt sich nachlesen, wie sich gleich mehrere manipulierbare Kleingeister über Putins "Kleinkariertheit" und "Brutalität" echauffieren.

Und da wären auch Autoren, die die russische Kaukasuspolitik pauschal für gescheitert erklären und fordern, den Kaukasiern eine humanitäre Perspektive zu bieten, bishin zur vollkommenen Unabhängigkeit. In typisch gutmenschlicher Manier wird eine unnachgiebige Gangart verteufelt, ein hartes Vorgehen gegen die Terroristen abgelehnt. Schon als Israel die Terrorideologen der Hamas mit Raketen jagte, prophezeiten die Medien hierzulande als Antwort ein "Vulkan der Gewalt", eingetreten ist das Gegenteil. Auch Russland hat die meisten tschetschenischen Terrorfürsten vom Anfang des Jahrzehnts liquidiert, die Gewalt ist trotz des gestrigen Anschlags zurückgegangen. Als normaler Mensch bemerkt man das, es sei denn man lebt in einem gutmenschlichen Luftschloss...

Natürlich ist es für viele solche Autoren heutzutage zu viel verlangt, etwas Recherche zu betreiben, um obskure Anschuldigungen durch hartes Faktenwissen zu ersetzen. Sie würden viel Überraschendes für sich entdecken, beispielsweise, dass das Budget Tschetscheniens zu 90% aus Moskau gestellt wird und der massive Wiederaufbau zum größten auf Kosten des russischen Steuerzahlers (wen sonst?) geht, während viele triste zentralrussische Regionen vergeblich auf infrastrukturelle Verbesserungen warten. Sie werden vielleicht auch mitbekommen, dass für Tschetschenen und andere Kaukasier heute privilegierte Bedingungen an Unis und anderen Einrichtungen gelten.

Und vielleicht würden sie schließlich zur Abwechselung die Verbindungen des kaukasischen Untergrundes zu den wahhabitischen Geldgebern beleuchten, um zu begreifen, dass der islamistische Terrorismus im Kaukasus eben nicht nur hausgemacht oder ein Erbe der Geschichte ist, sondern eine Metastase des globalen terroristischen Krebsgeschwürs. Doch es sind andere "Messages" beabsichtigt und das nähere Eingehen auf diese Aspekte ist aus der Sicht der Redaktionen nicht zielführend.

Sicher, der Kaukasus ist noch sozial schwach, Probleme wie die Korruption und Ineffizienz bleiben, doch der Aufbau würde viel schneller von statten gehen, wäre nicht der wahabitisch-terroristische Krankheitsbefall. Im Tauziehen mit dem Wahhabismus um das Schicksal des Kaukasus ist heute der Milliarden aufbringende russische Staat eindeutig der Gute, was in Europa jedoch nie gebührend gewürdigt werden wird. Zu viel Spaß macht die Lehrmeisterei aus der Ferne, zu sehr braucht es Europa für sein selbstverliebtes, "überlegenes" Eigenbild. Und so verwandelt sich auch diese Tragödie aus Russland in ein willkommenes, zynisches Haudrauf.