Montag, 30. April 2012

Mordverdächtige Gasprinzessin meets moralisierende Selbstdarsteller

Je näher die Fußball-EM rückt, desto intensiver wird die Hetzkampagne gegen die Ukraine im Zusammenhang mit der Behandlung der wegen Amtsmißbrauch verurteilten Julia Timoschenko. Die lächerlicherweise bis zur Ikone hochstilisierte "Jeanne d'Arc der Ukraine" soll einigen deutschen Medienberichten gar Folter und Mißhandlungen unterzogen worden sein, obwohl viele Videos im Internet von den relativ komfortablen Haftbedinungen Timoschenkos kursieren. Der Hang zur politisch instrumentalisierten Theatralik von Frau Timoschenko wird in Deutschland nun teils bewußt, teils unbewußt zum Anlaß genommen, Druck auf die Ukraine auszuüben.

Da die deutsche Politikerkaste es liebt, sich in der Moralisiererei mit gelegentlichem Aktionismus zu sonnen, ist ein breites Spektrum an Meinungen zu hören, die von einem obligatorischen EM-Boykott seitens der deutschen Politiker bishin zu den Forderungen einer Verlegung der EM nach Deutschland gehen. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, als sehe Deutschland osteuropäische Länder als gehorsame Schäfchen, die es aus der Höhe seiner moralischen Überlegenheit zurechtweisen kann. Dabei wird sogar vergessen, wer in der EU bereits den Großteil seiner Souveränität eingebüßt hat, und bei wem es sich immer noch um ein voll souveränes Land handelt, in dem Deutschland nichts zu sagen hat.

Bei der in der deutschen Medienlandschaft fast schon heiliggesprochenen Möchtegern-Demokratin Timoschenko handelt es sich um eine korrupte Oligarchin, die in den Neunziger Jahren mit dubiosen Geschäften ein enormes Vermögen anhäufte. Ihr enger Verbündeter war der damalige Premier Pawlo Lasarenko, der heute in den USA eine langjährige Gefängnisstrafe wegen Geldwäsche und Betrug verbüßt. Was die Medien hierzulande eher selten erwähnen, ist dass neben dem Verfahren wegen Amtsmißbrauch, gegen Timoschenko und Lasarenko auch noch Ermittlungen wegen Mord an den beiden Geschäftsmännern und Abgeordneten Schtscherban und Hetman aus dem Jahre 1996 laufen. Die EU-Bürokraten wollen also mit einem vermeintlichen Verletzer der Menschenrechte nicht auf einer Tribüne sitzen, haben aber keine Bedenken, sich für eine mögliche Mörderin einzusetzen. Bereits die Verurteilung Timoschenkos wegen Amtsmißbrauch galt apriori als illegal, ohne sich eindringlicher mit der Thematik zu befassen. Darin offenbart sich die ganze Respektlosigkeit gegenüber dem ukrainsichen Staat und der ukrainischen Justiz.

Deutschland fühlt gegenüber Israel traditionell eine historische Verantwortung und wahrt Pietät. Die unermesslichen Zerstörungen und Menschenopfer, die in der Ukraine immer noch mit Deutschland assoziiert werden, sind jedoch keineswegs kleiner. Allein schon aus diesem Grund sollte sich Deutschland in seinem demonstrativen Empörungsgebahren und Moralisierertum zumindest nicht weiter aus dem Fenster lehnen, als seine europäischen Nachbarn.

Sollte sich die deutsche Politikerkaste dennoch dem Mediendruck und den einegenen Vorurteilen beugen und die Ukraine boykottieren, werden die Ukrainer diesen Schicksalschlag sicherlich überleben. Denn als große Belohnung gilt die Präsenz der deutschen Politiker allenfalls in ihren eigenen Köpfen. Die respektlose und feindselige Haltung Deutschlands wird jedoch den bereits laufenden Umdenkprozess vieler Ukrainer beschleunigen und gegenüber einer Integration mit Russland statt mit der EU aufgeschlossener werden lassen.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hysterie pur. Aber wo kommen wir hin, wenn Politiker wegen Verschwendung und Amtsmissbrauchs belangt werden. Das kann doch einer ´Demokratie´ nur schaden...
Ist aber schon ärgerlich, seit dem Ossetien-Fiasko geht es nur noch bergab auf dem großen Schachbrett.

Oberhof hat gesagt…

Wenn der Bundesregierung die Menschenrechte wirklich wichtig sind und sie den Sport als Druckmittel für gerechtfertigt halten und für sich instrumentalisieren, dann hätten sie konsequenterweise die Olympischen Sommerspiele 2008 in China boykottieren müssen. Ihre Doppelzüngigkeit ist ohne viel Nachzudenken und zurück in die Vergangeheit zu blicken nur allzu offensichtlich.
Sind es eine Art von Phantomschmerzen, dass es nicht gelungen ist die Ukraine als wohlgesonnener Bananenstaat mit Marionettentheater als Regierung im Kampf gegen das böse Russland zu gewinnen? Hat man noch Hoffnung mit genügend Druck die harte Nuss zu knacken und für die EU und USA einen sehr lukrativen Markt zu öffnen? Oder sind es rein strategische Überlegungen, die ein solches Vorgehen rechtgertigen, man denke da nur an Nato-Beitritt und das Schwarze Meer. Hofft man die Ukraine mit dieser Taktik des Zuckerbrot alá EU-Beitrittsgespräche und der EM-Boykott Peitsche zu zermürben? Diese Schüsse können auch nach hinten gehen. Ich denke die Ukrainer werden das Geschehen genau verfolgen und sich ihren Teil dabei denken.
Eine Schande, dass in der ganzen deutschen Medienlandschaft nicht eine einzige kritische Stimme die Vorgänge in der Ukraine näher beleuchtet.
Eine unglaubliche Heuchelei der Politik und der gleichgeschalteten Medienlandschaft.

Anonym hat gesagt…

OT:

Eine Leseempfehlung:

Stephen F. Cohen: Amerikas neuer Kalter Krieg
http://www.thenation.com/article/new-american-cold-war