Dienstag, 29. September 2015

Im Wortlaut: Wladimir Putins Rede bei der UN-Generalversammlung

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Herr Generalsekretär, sehr geehrte Staatsoberhäupter und Regierungschefs, meine Damen und Herren!

Das 70. Jubiläum der Vereinten Nationen ist ein guter Anlass, um sowohl über die Geschichte, als auch über unsere gemeinsame Zukunft zu sprechen. Im Jahr 1945 haben die Staaten, die den Nazismus besiegt haben, ihre Anstrengungen vereinigt, um feste Grundlagen für die Nachkriegsordnung zu schaffen. Ich erinnere daran, dass die wichtigsten Entscheidungen über die Prinzipien der Zusammenarbeit von Staaten und über die Gründung der UNO in unserem Land getroffen wurden, bei der Jalta-Konferenz der Anführer der Anti-Hitler-Koalition. Das System von Jalta war wirklich mit viel Leid und den Leben von Dutzenden Millionen Menschen bezahlt, mit zwei Weltkriegen, die den Planeten im 20. Jahrhundert heimgesucht haben und, wenn wir objektiv sind, half es der Menschheit, das turbulente und oft dramatische Geschehen der letzten 70 Jahre zu überstehen und bewahrte die Welt vor weitreichenden Erschütterungen.

Die Vereinten Nationen sind eine Struktur, für die es im Hinblick auf Legitimität, Repräsentativität und Universalität keine vergleichbare gibt. Ja, an der UNO gibt es in letzter Zeit viel Kritik. Sie sei nicht effizient genug und das Treffen von prinzipiellen Entscheidungen stoße auf unüberwindbare Widersprüche, vor allem zwischen Mitgliedern des Sicherheitsrats.

Allerdings möchte ich anmerken, dass es in der UNO immer Differenzen gab, im Verlauf der gesamten 70 Jahre ihrer Existenz. Das Vetorecht wurde immer verwendet, sowohl von den Vereinigten Staaten, als auch von Großbritannien, von Frankreich, von China und von der UdSSR, später von Russland. Das ist völlig natürlich für eine derart vielfältige und repräsentative Organisation. Bei der Gründung der UNO war es auch nicht geplant, dass hier Gleichgesinnung herrschen würde. Das Wesen dieser Organisation besteht eigentlich in der Suche und der Ausarbeitung von Kompromissen, ihre Stärke ist die Berücksichtigung der verschiedenen Meinungen und Sichtweisen.

Die bei der UNO diskutierten Lösungen werden in Form von Resolutionen miteinander abgestimmt - oder eben nicht; wie Diplomaten sagen: sie kommen entweder durch oder nicht. Und alle Handlungen eines jeden Staates, der diese Ordnung umgeht, sind illegitim und widersprechen der Charta der Vereinten Nationen sowie dem Völkerrecht.

Wir alle wissen, dass in der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges ein einziges Zentrum der Dominanz entstanden ist. Und dann entstand bei denen, die an der Spitze dieser Pyramide standen, die Verführung zu denken, dass wenn sie so stark und exzeptionell sind, sie besser als alle anderen wissen, was zu tun ist. Und folglich muss man die UNO nicht berücksichtigen, die oftmals, anstatt eine gewünschte Entscheidung automatisch zu legitimieren, nur unnötig stört. Man begann davon zu sprechen, dass die Organisation in der Form, in der sie erschaffen wurde, veraltet ist und ihre historische Mission erfüllt hat.

Sicherlich, die Welt wandelt sich und die UNO muss dieser natürlichen Transformation entsprechen. Russland ist bereit, auf der Basis eines breiten Konsens mit allen Partnern an der Weiterentwicklung der UNO zu arbeiten, doch die Versuche, die Autorität und die Legitimität der UNO zu zerrütten, sind äußerst gefährlich.  Das kann zu einem Einsturz der gesamten Architektur der internationalen Beziehungen führen. Dann werden uns wirklich keine Regeln bleiben, außer dem Recht des Stärkeren. Das wird eine Welt sein, in der statt kollektiver Arbeit der Egoismus herrschen wird, eine Welt mit immer mehr Diktat und immer weniger Gleichberechtigung, realer Demokrate und Freiheit, eine Welt, in der sich anstelle wirklich souveräner Staaten die Zahl der Protektorate und von außen gesteuerter Territorien mehren wird. Denn was ist staatliche Souveränität, von der hier bereits Kollegen gesprochen haben? Das ist in erster Linie eine Frage der Freiheit, der freien Wahl des Schicksals für jeden Menschen, jedes Volk und jeden Staat.

In der selben Reihe, verehrte Kollegen, steht auch die Frage nach der sogenannten Legitimität der Staatsmacht. Man darf hierbei nicht spielen und nicht mit Worten manipulieren. Im internationalen Recht und bei internationalen Angelegenheiten muss jeder Begriff verständlich, transparent sein, eine Einheitlichkeit des Verständnisses und der Kriterien haben. Wir alle sind verschieden und das muss man mit Respekt behandeln. Niemand ist verpflichtet, sich an ein Entwicklungsmodell anzupassen, das von irgendjemand ein für alle Mal als einzig richtiges bestimmt wurde.

Wir alle sollten nicht die Erfahrung der Vergangenheit vergessen. Wir haben etwa Beispiele aus der Geschichte der Sowjetunion im Gedächtnis. Der Export von sozialen Experimenten, die Versuche, Veränderungen in diesen oder jenen Staaten auf Basis der eigenen ideologischen Einstellungen herbeizuführen, führten oftmals zu tragischen Folgen, brachten nicht den Fortschritt, sondern die Degradation. Wie es jedoch aussieht, lernt niemand aus den Fehlern der anderen, sondern wiederholt sie nur. Und der Export von sogenannten "demokratischen" Revolutionen setzt sich fort.

Es genügt, auf die Situation im Nahen Osten und in Nordafrika zu schauen, von der mein Vorredner gesprochen hat. Gewiss, die politischen und die sozialen Probleme häuften sich in diesen Regionen seit Langem an und die Menschen wollten Veränderungen. Doch was passierte in Wirklichkeit?  Eine aggressive äußere Einmischung führte dazu, dass anstelle der Reformen die staatlichen Institutionen und die Lebensweise der Menschen rücksichtslos zerstört wurden. Statt des Triumphs von Demokratie und Fortschritt gibt es Gewalt, Armut, eine soziale Katastrophe, während die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben, keinen Wert mehr haben.

Man möchte diejenigen fragen, die eine solche Situation geschaffen haben: "Versteht ihr wenigstens jetzt, was ihr gemacht habt?" Doch ich fürchte, diese Frage wird in der Luft hängen bleiben, denn niemand hat sich von der Politik verabschiedet, deren Grundlage die Selbstherrlichkeit, die Überzeugung von der eigenen Exklusivität und Straffreiheit ist.

Es ist bereits offensichtlich, dass das in mehreren Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas entstandene Machtvakuum zu Anarchiezonen geführt hat, die sofort von Extremisten und Terroristen gefüllt wurden. Unter den Fahnen des sogenannten Islamischen Staates stehen bereits Zehntausende Kämpfer. Unter ihnen sind ehemalige irakische Militärs, die nach der Irak-Invasion 2003 auf die Straße geworfen wurden. Ein Ursprungsland für Rekrute ist auch Libyen, dessen Staatlichkeit durch grobe Verletzung der Resolution des UN-Sicherheitsrats Nr. 1973 zerstört wurde. Und heute werden die Reihen der Radikalen durch Mitglieder der sogenannten gemäßigten syrischen Opposition gefüllt, die vom Westen unterstützt wird.

Zuerst werden sie bewaffnet und ausgebildet und dann laufen sie zum sogenannten Islamischen Staat über. Doch auch der IS selbst enstand nicht aus dem Nichts, er wurde anfangs ebenso als Waffe gegen die unerwünschten säkularen Regime hochgezüchtet. Nach der Bildung der Ausgangsbasis in Syrien und dem Irak, versucht der IS aktiv, in andere Regionen zu expandieren und zielt auf die Herrschaft in der islamischen Welt und nicht nur dort. Er beschränkt sich nicht auf diese Pläne. Die Lage ist mehr als gefährlich.

In einer solchen Situation ist es heuchlerich und verantwortungslos, mit lauten Deklarationen über die Bedrohung, die vom internationalen Terrorismus ausgeht, aufzutreten und gleichzeitig die Augen vor Finanzierungs- und Unterstützungskanälen der Terroristen zu verschliessen, darunter Handel mit Drogen, illegalem Öl und Waffen, oder zu versuchen, die extremistischen Gruppen zu steuern, sich ihrer für die eigenen politischen Ziele zu bedienen, in der Hoffnung, dass man sie später irgendwie erledigt oder, einfacher gesagt, liquidiert.

Denjenigen, die wirklich so denken und handeln, möchte ich sagen: meine geehrten Herren, ihr habt es natürlich mit sehr brutalen Menschen zu tun, doch das sind keineswegs dumme und primitive Menschen, sie sind nicht dümmer als ihr und es ist noch zu klären, wer wen für seine Ziele ausnutzt. Die jüngsten Informationen über die Übergabe von Waffen durch die bereits erwähnte "gemäßigte Opposition" an Terroristen sind dafür die beste Bestätigung.

Wir halten alle Versuche, mit Terroristen zu flirten, und sie erst recht zu bewaffnen, nicht nur für kurzsichtig, sondern auch für brandgefährlich. Im Endergebnis kann die terroristische Gefahr kritisch anwachsen und neue Regionen der Erde erfassen. Umso mehr, als dass Kämpfer aus vielen Ländern die Ausbildungslager des IS durchlaufen, auch aus europäischen Ländern.

Leider muss ich ehrlich sagen, geehrte Kollegen, dass auch Russland hierbei keine Ausnahme ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Halsabschneider, die bereits Blut geleckt haben, später nach Hause zurückkehren und dort ihre dunkle Sache fortführen. Wir wollen das nicht. Und niemand will das, nicht wahr? Russland trat immer hart und konsequent gegen den Terrorismus in allen seinen Formen auf.

Heute leisten wir militärische und techniche Hilfe für den Irak und Syrien sowie für andere Länder der Region, die gegen terroristische Gruppen kämpfen. Wir halten die Absage an eine Zusammenarbeit mit den syrischen Behörden, die mutig Angesicht zu Angesicht gegen den Terror kämpfen, für einen riesigen Fehler. Man muss endlich anerkennen, dass außer den Regierungstruppen des Präsidenten Assad und den kurdischen Milizen niemand in Syrien gegen den IS und andere Terrororganisationen kämpft.Wir kennen alle Probleme und Widersprüche in der Region, doch man sollte von den Realien ausgehen.

Geehrte Kollegen! Ich muss anmerken, dass unsere ehrliche und direkte Herangehensweise in letzter Zeit als Vorwand genutzt wird, um Russland der wachsenden Ambitionen zu beschuldigen. Als ob diejenigen, die davon sprechen, selbst keine Ambitionen haben. Doch die Punkt sind nicht die Ambitionen Russlands, geehrte Kollegen, sondern die Unmöglichkeit, die sich ergebende Situation in der Welt weiter hinzunehmen. In Wirklichkeit schlagen wir vor, sich nicht von Ambitionen, sondern von gemeinsamen Werten und Interessen auf der Basis des interantionalen Rechts leiten zu lassen, unsere Anstrengungen für die Lösung der vor uns stehenden neuen Probleme zusammenzutun und eine wirklich breite internationale antiterroristische Koaltion zu bilden. Wie die Anti-Hitler-Koalition, könnte sie in ihren Reihen unterschiedlichste Kräfte vereinen, die bereit sind, denjenigen entschieden entgegenzutreten, die wie die Nazis das Böse und die Menschenverachtung säen.

Und, natürlich, müssen islamische Staaten Schlüsselteilnehmer einer solchen Koalition werden. Denn der IS birgt nicht nur für sie eine direkte Bedrohung, sondern kompromittiert durch seine blutigen Verbrechen eine der größten Weltreligionen, den Islam. Die Ideologen der Kämpfer verhöhnen den Islam und verfälschen seine wahren humanistischen Werte. Ich möchte mich an die geistlichen Führer der Muslime wenden: heute sind sowohl eure Autorität, als auch ihr weisendes Wort sehr gefragt. Es ist nötig, diejenigen Menschen vor unüberlegten Schritten zu bewahren, die die  Kämpfer versuchen, anzuwerben. Und denjenigen, die betrogen wurden und aus verschiedenen Gründen bei den Terroristen landeten, muss man helfen, einen Weg zum normalen Leben zu finden, die Waffen niederzulegen und den brudermordenden Krieg zu beenden.

Schon in den nächsten Tagen wird Russland als Vorsitzender des Sicherheitsrats eine Ministersitzung für eine komplexe Analyse der Bedrohungen im Nahen Osten einberufen. Wir schlagen vor allem vor, die Möglichkeit einer Resolution über die Koordination der Aktivitäten aller Kräfte zu diskutieren, die dem IS und anderen Terrorgruppierungen widerstehen. Um es zu wiederholen, muss eine solche Koordination auf den Prinzipien der UN-Charta basieren.

Wir hoffen darauf, dass die internationale Gemeinschaft in der Lage sein wird, eine umfassende Strategie der politischen Stabilisierung und des sozial-wirtschaftlichen Wiederaufbaus des Nahen Ostens auszuarbeiten. Dann, geehrte Freunde, wird man keine Flüchtlingslager aufbauen müssen. Der Strom der Menschen, die genötigt sind, ihre Heimat zu verlassen, hat buchstäblich zunächst die Nachbarstaaten erfasst und dann auch Europa. Die Zahlen gehen in die Hunderttausende und können in die Millionen gehen. Das ist im Grunde eine neue große und bittere Völkerwanderung und eine schwere Lektionen für uns alle, darunter auch Europa.

Ich würde gern betonen: die Flüchtlinge brauchen, zweifellos, Mitgefühl und Unterstützung. Doch das Problem grundlegend lösen kann man nur durch die Wiederherstellung der Staatlichkeit dort, wo sie zerstört wurde, durch die Stärkung der Machtinstitutionen, wo sie noch erhalten werden konnten oder wiederaufgebaut werden, durch allseitige Hilfe - sei es militärisch, wirtschaftlich oder materiell - für Länder, die sich in der schwierigen Situation befinden, und natürlich für Menschen, die trotz aller Härte die Heimatorte nicht verlassen.

Es versteht sich, dass jede Hilfe an souveräne Staaten nicht aufgezwungen, sondern nur im Einklang mit der UN-Charta angeboten werden muss. Alles,was heute und in der Zukunft in dieser Sphäre entsprechend der Normen des internationalen Rechts geleistet wird, muss von unserer Organisation unterstützt werden, und alles was der UN-Charta widerspricht, abgelehnt werden. In erster Linie erachte ich es als äußerst wichtig, staatliche Strukturen in Libyen wiederaufzubauen, die neue Regierung des Iraks zu unterstützen und allseitige Hilfe für Syrien zu leisten.

Geehrte Kollegen, eine Schlüsselaufgabe der internationalen Gemeinschaft mit der UNO an der Spitze bleibt die Gewährleistung des Friedens, der regionalen und der globalen Sicherheit. Wir glauben, dass von der Schaffung eines Sicherheitsraums gesprochen werden muss, der gleich und ungeteilt ist, der Sicherheit nicht nur für Auserwählte, sondern für alle. Ja, es ist eine komplexe, schwierige und zeitaufwändige Arbeit, doch dazu gibt es keine Alternative.

Jedoch dominiert leider bei einigen unseren Kollgen immer noch das Blockdenken des Kalten Krieges und das Streben nach der Aneignung neuer geopolitischer Räume. Zunächst wurde die Politik der NATO-Erweiterung weiterverfolgt. Es stellt sich die Frage: wozu, wenn der Warschauer Pakt aufhörte, zu existierenund die Sowjetunion zerfiel? Nichtsdestotrotz bleibt die NATO nicht nur, sondern sie expandiert, wie auch ihre militärische Infrastruktur. Danach wurden postsowjetische Staaten vor eine falsche Wahl gestellt: sollen sie mit dem Westen oder mit dem Osten sein? Früher oder später musste diese Konfrontationslogik eine schwere geopolitische Krise herbeiführen. Genau das passierte in der Ukraine, wo mandie Unzufriedenheit eines bedeutenden Teils der Bevölkerung ausnutzte und von außen einen bewaffneten Umsturz provozierte. Als Ergebnis davon entflammte ein Bürgerkrieg.

Wir sind überzeugt: man kann das Blutvergießen stoppen und den Ausweg aus der Sackgasse nur bei vollumfänglicher und gewissenhafter Realisierung der Minsker Vereinbarungen vom 12. Februar des aktuellen Jahres finden. Durch Drohungen und Waffengewalt kann die territoriale Einheit der Ukraine nicht gewährleistet werden. Wobei dies aber getan werden sollte. Wir brauchen eine reale Berücksichtigung der Interessen und der Rechte der Menschen im Donbass, die Respektierung ihrer Wahl, die gemeinsame Bestimmung (wie es die Minsker Vereinbarungen vorsehen), der Schlüsselelemente der politischen Aufbaus des Staates. Darin liegt der Unterpfand dessen, dass sich die Ukraine als ein zivilisierter Staat und als wichtigstes Bindeglied im Aufbau eines Sicherheitsraums und einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowohl in Europa, als auch in Eurasien entwickelt.

Meine Damen und Herren, ich habe jetzt nicht zufällig  von einem gemeinsamen Raum der wirtschaftlichen Kooperation gesprochen. Erst vor kurzem schien noch, dass wir es lernen, in der Wirtschaft, wo objektive Marktgesetze herrschen, ohne Trennlinien auszukommen und auf der Grundlage der transparenten und gemeinsam ausgearbeiteten Regeln, darunter den Prinzipien der WTO handeln können, die Handels- und Investitionsfreiheit sowie eine offene Konkurrenz bedeuten. Doch heute wurden einseitige Sanktionen unter Umgehung der UN-Charta fast schon zur Norm. Sie verfolgen nicht nur politische Ziele, sondern dienen auch als Mittel der Beseitigung der Marktkonkurrenz.

Es gibt noch ein weiteres Symptom des wachsenden wirtschaftlichen Egoismus. Eine Reihe von Staaten haben den Weg von geschlossenen exklusiven wirtschaftlichen Vereinigungen beschritten, wobei die Gespräche über ihre Schaffung intransparent und geheim verlaufen, selbst für die eigenen Bürger, Geschäftskreise und andere Länder. Andere Staaten, deren Interessen betroffen sein könnten, werden über nichts informiert. Vermutlich will man uns alle vor fertige Tatsachen stellen, dass die Spielregeln neu geschrieben wurden, zugunsten eines engen Kreises der Auserwählten, dabei ohne Beteiligung der WTO. Das kann das Handelssystem völlig aus der Balance bringen und den globalen Wirtschaftsraum zerstückeln.

Die genanten Probleme betreffen die  Interessen aller Staaten, sie beeinflussen die Perspektiven der ganzen Weltwirtschaft, daher schlagen wir vor, sie in solchen Formaten wie die UNO, die WTO und die G20 zu diskutieren. Als Gegenentwurf der Politik der Exklusivität schlägt Russland eine Harmonisierung der regionalen wirtschaftlichen Projekte vor, die sogenannte Integration der Integrationen, die auf universalen transparenten Prinzipien des internationalen Handels beruht. Als Beispiel führe ich unsere Pläne zur Verbindung des Eurasischen Wirtschaftsunion mit der chinesischen Initiative der Schaffung des "wirtschaftlichen Gürtels der Seidenstrasse". Nach wie vor sehen wir große Perspektiven in der Harmonisierung der Integrationsprozesse im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Europäischen Union.

Meine Damen und Herren, unter den Problemen, die die Zukunft der ganzen Menschheit betreffen, befindet sich auch eine solche Herausforderung wie der globale Klimawandel. Wir sind an der Effizienz der UNO-Klimakonferenz interessiert, die im Dezember in Paris stattfinden wird. Im Rahmen unseres nationalen Beitrags planen wir bis 2030, den Ausstoß an Treibhausgasen auf 70 bis 75 % des Niveaus von 1990 zu beschränken.

Doch ich schlage vor, dieses Problem breiter zu sehen. Ja, indem Quoten auf schadhafte Emissionen eingeführt werden und indem andere taktische Maßnahmen getroffen werden, können wir die Schärfe des Problems für eine Weile herabsenken, doch wir werden es nicht grundlegend lösen. Wir brauch qualitativ neue Herangehensweisen. Die Rede muss von der Einführung prinzipiell neuer naturähnlicher Technologien sein, die der Umwelt nicht schädigen, sondern sich mit ihr in harmonischer Koexistenz befinden und erlauben, die vom Menschen gestörte Balance zwischen der Biosphäre und der Technosphäre wiederherzustellen. Das ist wahrlich eine Herausforderung vom planetaren Maßstab. Ich bin überzeugt, dass die Menschheit das intellektuelle Potenzial hat, sie zu bewältigen.

Es ist notwendig, dass wir unsere Kräfte vereinigen, vor allen derjenigen Staaten, die über eine mächtige Forschungsbasis und Ansatzpunkte in der fundamentalen Wissenschaft verfügen.Wir schlagen vor, ein spezielles Forum unter der Ägide der UNO zu berufen, auf dem man allseitig auf Probleme schauen kann, die mit der Erschöpfung der Naturressourcen, der Umweltzerstörung und des Klimawandel zusammenhängen. Russland ist bereit, als einer der Organisatoren eines solchen Forums aufzutreten.

Geehrte Damen und Herren, am 10. Januar 1946 hat in Lodon die erste UN-Generalversammlung ihre Arbeit aufgenommen. Bei der Eröffnung hat der Vorsitzende der Vorbereitungskommission, der kolumbianische Diplomat Zuleta Angel meiner Ansicht nach sehr treffend die Prinzipien formuliert, auf deren die UNO ihre Tätigkeit beruhen lassen sollte. Das sind guter Wille, Verachtung für Intrigen und Tricks, der Geist der Zusammenarbeit. Heute klingt das wie ein Geleitwort für uns alle. Russland glaubt an das riesige Potenzial der UNO, das uns helfen sollte, eine neue globale Konfrontation zu vermeiden und zur Strategie der Kooperation überzugehen. Zusammen mit anderen Staaten werden wir konsequent auf die Stärkung der zentralen und koordinierenden Rolle der UNO hinarbeiten.

Ich bin überzeugt, dass wenn wir gemeinsam handeln, wir die Welt stabil und sicher machen und die Bedinungen für die Entwicklung aller Staaten und Völker schaffen können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!



Originaltext: https://russian.rt.com/article/119712
Bei der Übernahme der Übersetzung ist der Link zu diesem Blog verpflichtend

Samstag, 5. September 2015

Flüchtlingskrise: Europas Vasallendasein als Wurzel des Übels

Die Flüchtlingskrise hat Europa mit voller Wucht erfasst. Bilder von endlosen Flüchtlingsströmen aus Nahost und Afrika dominieren die Medienlandschaft und die Gesprächsthemen. Menschliche Tragödien, die sich bislang in den Heimatländern der Flüchtlinge abspielten und vor denen sich der gemeine Mitteleuropäer bis zuletzt vergleichsweise gut mental abschotten konnte, spielen sich nun unignorierbar vor den Küsten Europas ab und sogar mitten auf dem Kontinent. Das Flüchtlingsdrama ist auch eine politische Zerreißprobe für die Beziehungen innerhalb der EU.

Doch bei aller Tragik dieses Geschehens, das Europa immer weiter schwächt, ist dies nur ein Symptom eines viel tiefer sitzenden Grundübels, dessen Benennung und Diskussion die auf Linie gebrachten europäischen Medien krampfhaft meiden: der vasallenhaften Abhängigkeit Europas von den USA und des eigenen Unwillens bzw. Unvermögens, sich aus dieser Lage zu befreien.

In den letzten 10 Jahren hat die Gleichschaltung der politischen Klasse Europas und der Leitmedien im Sinne der transatlantischen Politik ungeahnte Ausmaße erreicht und übersteigt inzwischen bei weitem die Zustände des Kalten Krieges, als es in Westeuropa eine kritische Presse und eigenständige hochkarätige Politiker gab. Eine Folge davon ist die bestenfalls wohlwollend-neutrale, schlimmstenfalls die aktiv unterstützende Haltung der Europäer zu allerlei Kriegsabenteuern der USA in ihrer eigenen direkten Nachbarschaft, wobei weder die offensichtliche Verlogenheit (wie beim Kriegsbeginn gegen den Irak oder beim Umsturz in Kiew) noch die offensichliche Erfolglosigkeit all dieser Unterfangen der blinden Gefolgschaft gegenüber dem großen Bruder einen Abbruch tut. Die Europäer ähneln einem Wahnsinnigen, der gewissenhaft dabei hilft, die Umgebung seines Hauses in fremden Interesse in Brand zu setzen.

Als ob die Destabilisierung Jugoslawiens mit den Hunderttausenden erzeugten Flüchtlingen, die vor allem nach Europa und nicht in die USA strömten, noch keine lehrreiche Erfahrung war, ging das Ganze in der Folge gerade so weiter, ohne dass es aus Europa einen entschiedenen Protest gegen die US-Politik in Irak, Libyen, Syrien oder der Ukraine gab. Im Ergebnis landeten die Europäer in einer Welt von US-Gnaden, von der niemand behaupten kann, dass sie sicherer und komfortabler geworden ist. Für den Scherbenhaufen um sie herum zahlen die Europäer erst einmal kräftig die Zeche, sowohl für die unaufhörlichen Flüchtlinge, als auch für die zerrütteten Beziehungen zu Russland, die ebenfalls Europa viel stärker schaden, als den USA.

Gerade Russland kriegt den geballten Hass des transatlantischen europäischen Establishments, des Klüngels aus Politik und Medien. Hinter der geheuchelten Empörung über die vermeintliche Völkerrechtsverletzung in der Ukraine und über die "beispiellose" Untegrabung der globalen Friedensordnung (wobei die lange Kette der eigenen Untaten in diesem Zusammenhang außen vor gelassen wird), steckt in Wahrheit der Neid eines Sklaven auf jemanden, der seine Selbstständigkeit nicht veräußert hat und noch frei im eigenen Interesse agieren kann.

Mit TTIP, das von der europäischen Führungskaste mit wenig Rücksicht auf die eigene Bevölkerung durchgeboxt wird, werden die Europäer bald obendrein noch die amerikanischen sozialen und arbeitsrechtlichen Standards übergestülpt bekommen, ob direkt oder durch wirtschaftlichen Druck. Denn dass sich die Amerikaner jemals an die europäischen Normen anpassen, steht überhaupt nicht zur Debatte. Demächst wird Europa noch unmittelbarer zu spüren bekommen, was es heißt, ein Vasall zu sein.

Der Ausweg aus diesem ganzen Elend wird erst beschritten, wenn die europäischen Wähler endlich die uneingeschränkte Souveränität ihrer Staaten als das oberste Gut begreifen. Wenn sie trotz medialer Vernebelung erkennen, was um sie herum in der Welt passiert und wer dafür verantwortlich ist. Wenn sie aufhören, ihrem angestammten Establishment, der den Willen Amerikas vermittelt, immer wieder auf den Leim zu gehen. Erst wenn das alles fest im Blick behalten wird und bei den nächsten Wahlen an der Wahlurne seine Berücksichtigung findet, besteht eine Hoffnung auf Änderung, auf ein Agieren Europas im eigenen Interesse. Europa sollte wieder schleunigst lernen, eigenverantwortlich zu handeln und aus Eigeninitiative seine Umgebung stabilisieren, ohne auf denjenigen zu warten, der die Brände erst angelegt hat. Andernfalls wird der Karren immer tiefer in den Dreck gefahren. Der (noch) bestehende Wohlstand sollte niemanden täuschen.