Mittwoch, 23. Mai 2007

Hetze und Belehrungen als Volkssport

Im letzten Jahr war eine Verschärfung der medialen Attacken gegen Russland nicht zu übersehen. Es ist schwer, ihren Anfang an einem konkreten Ereignis festzumachen. Vielmehr ist es wohl der Ausdruck der endgültig eingetretenen Desillusionierung amerikanischer Eliten, dass Russland doch noch als willfähriger Befehlsempfänger á la Polen zu gewinnen wäre. Die Hoffnungen darauf wollten seit der schmackhaften Jelzin-Zeit nicht so richtig vergehen. Russland wagt den Eigensinn und das reizt. Und wenn die Hetze in den USA anzieht, tut sie dies automatisch in den deutschen Springer-Medien, deren transatlantische Orientierung im Unternehmensstatut verankert ist, sowie in allen anderen Medien, die von ihnen abschreiben.

In den letzten Wochen gab es besonders viel Anlass für Putin und Russland, in die westlichen Schlagzeilen zu kommen. Da wäre der Austritt aus dem KSE-Vertrag, die Märsche Kasparows, die Ereignisse in Estland, der Streit um die Raketenabwehr, der EU-Russland-Gipfel und der Besuch Putins in Österreich. Die meisten Medien beziehen eindeutig anti-russische Positionen und fordern vor allem bei Treffen der westlichen Politiker mit Putin lautstark "deutliche Worte" und Einigkeit gegen die russische "Diktatur". Und die Politiker müssen sich oft genug dem Druck und der Stimmungsmache beugen.

Die Pauschalkritik an Putin ist zu einem eigenen medialen Genre geworden. Man versteht sie mittlerweile als etwas selbstverständliches und obligatorisches, sie gehört dazu, wie Butter in den Brei. Putins Verdienste als Politiker, gesunde Gewichtungen? Nicht doch, unzweckmäßig. Ohne die dominierenden oberlehrerhaften Floskeln ist die Putin-Berichterstattung undenkbar. Und notfalls saugt man etwas aus dem Finger, wie zum Beispiel Reportagen über den längst abgeklungenen Tschetschenien-Krieg, die das österreichische Fernsehen ORF unbedingt vor dem Putin Besuch ausstrahlen wollte. In Deutschland tun sich vor allem erzkonservative transatlantische CDU-Schnösel mit Kritik an jedweder Annäherung mit Russland hervor. Nur selten kriegt man in der gleichgeschalteten Meinungslandschaft zur Abwechslung auch mal vernünftige Stimmen zu hören.

Die sonst profillosen Politiker wie Angela Merkel nutzen die Chance, sich billige Popularität zu sichern, indem sie den hysterischen Medienchor mit harten Worten zu Gast bei Putin befriedigen, was dann als "gute Außenpolitik" gilt. Sie können selbständig denkende Beobachter jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie wenig sie doch zu etwas Konstruktivem in der Außenpolitik fähig sind. Initiativen und Visionen hat vielmehr Putin, der als Politiker von einem Maßstab ist, der das Niveau eines Barroso oder der meisten Kritiker mit verbauten Blick für die komplexe Realtität Russlands, bei weitem übersteigt. Doch Putins Visionen der Zusammenarbeit zerschellen immer wieder an der kriegerischen Feindseligkeit im Westen. Es ist schon ziemlich anmaßend, zu einem sorgfältig vorbereiteten Gipfel zu reisen (wo das beste gemacht wurde, um die von den Osteuropäern vergiftete Atmosphäre wieder zu verbessern) und dort seine obligatorische Belehrungsmasche aufzuziehen, die kaum mehr als Zerstörungspotential in sich trägt. Der Schaden bleibt bisher lediglich durch die russische Selbstbeherrschung beschränkt. Russland ist bei weitem nicht undemokratischer, als beispielsweise Südkorea, Türkei oder andere Länder. Doch ausgerechnet in Bezug auf Russland hat es sich der Westen zur Pflicht gemacht, Demokratiemängel zu entlarven, mit der unendlichen eigenen Kompetenzvermutung. Die Motive dieser Doppelmoral sind jedoch unschwer zu erkennen: Russland soll moralisch niedergehalten und zu geopolitischen Zugeständnissen gedrängt werden.

Putin reagiert auf die Kritik mittlerweile gelassen und cool. Ganz zu Recht zeigt er jedoch jedesmal die Parallelen zu westlichen Vorkommnissen auf, wie beispielsweise bei seinen treffenden Hinweisen auf die G8-Razzien in Deutschland oder auf westliche gesetzgeberische Mängel. Auch hat er unbestritten Recht, wenn er sagt, dass keine Demokratie in der Welt vollkommen sei und es auch keine Universalrezepte für eine Demokratie gebe. Putins ruhige und sachliche Antworten lassen zumindest die meisten Russen deutlich spüren, wie lächerlich und aggressiv die ständigen einseitigen Versuche des Westens sind, sich zur moralischen "letzten Instanz" aufzuspielen und die Tagespolitik mit immer neuen Vorwürfen zu vermischen.

1 Kommentar:

Autor hat gesagt…

Völlige Zustimmung zu diesem Text! Ja, Putin und einige andere russische Politiker (z.B. Lawrow) stehen weit über dem, was wir in Deutschland und der EU derzeit an politischem Personal zur Verfügung haben.

Ein Gedanke noch von mir. Bei nicht wenigen Deutschen entspringt die neue Russophobie sicher auch einem psychologischen Reflex. Nach den langen Jahren der inneren Krise und Depression (seit ca. 1997) sind viele Deutsche so zermürbt, daß es m.E. gerade recht kommt, wenn man ihnen einen neuen Feind präsentiert, an dem sie ihre (politischen, wirtschaftlichen, sozialen, ...) Minderwertigkeitskomplexe abreagieren können. Wenn sich das noch mit einem gewissen Neid auf den Rohstoffreichtum der RF und ihre wirtschaftliche Dynamik verbindet, hat man eine Stimmung, die von den Medien nur noch kontinuierlich mit einigen wenigen Schlagworten bedient werden muß, um zum Kochen gebracht zu werden.