Samstag, 2. Mai 2015

Das Massaker von Odessa. Ein Jahr danach

Übersetzt aus dem Blog Colonel Cassad, einem der besucherstärksten und informiertesten Berichterstatter über den Bürgerkrieg in der Ukraine.

Abdrücke am verrußten Fenster nach dem Brand in Odessa
An jenem Tag ging gerade der zweite Sturm von Slawjansk vonstatten, die Streitkräfte der Junta begannen, auf die Stadt vorzurücken. Vom Berg Karatschun stiegen Leuchtkörper auf, es hallten Schusswechsel, hinter der Stadt fielen Hubschrauber, abgeschossen von den Donbass-Volksmilizen. Die Kämpfe dauerten den ganzen Tag, ihre Ausmaße wurden größer. So etwas gab es seit Beginn des Krieges noch nicht. Doch gegen Abend begann sich plötzlich Odessa in die Schlagzeilen einzuklinken. Von dort kamen schreckliche, surreale Bilder der lebendig verbrannten und bestialisch ermordeten Menschen, womit eine neue Seite im ukrainischen Bürgerkrieg eröffnet wurde.

Obwohl es bis zum 2. Mai 2014 bereits zahlreiche Opfer dieses Krieges gab, tanzten diese Morde nicht nur durch die Anzahl der Opfer aus der Reihe, sondern durch das neue Niveau an Brutalität, das vielen damals noch unmöglich schien.  Heute, wenn wir im Laufe des Jahres bereits zu viele Frauen und Kinder gesehen haben, die von den Faschisten umgebracht wurden, zu viele zerstörte Städte und schreckliche Spuren der Kämpfe, hat sich die Wahrnehmung der Tragödie von Odessa etwas abgestumpft. Wir haben uns an etwas gewöhnt, woran man sich nicht gewöhnen darf. Doch damals, am 2. Mai 2014, hat Odessa eine massenhafte Erschütterung des öffentlichen Bewusstseins ausgelöst, die den Krieg in der Ukraine in davor und danach geteilt hat. Für viele wurde Odessa zum Point of No Return, nach dem es unmöglich wurde, über eine einige Ukraine, über eine Föderalisierung oder eine Aussöhnung zu sprechen. Gerade nach dem Massaker von Odessa hat der Begriff Faschismus in Bezug auf die Kiewer Junta eine innere Bedeutung erhalten, da die Menschen endlich das Gesicht des nur aus den Büchern bekannten Faschismus gesehen haben, der sich an die Macht putschte und zum offenen Terror überging.

Die Ereignisse von Odessa wurden zielgerichtet vorbereitet und waren mitnichten etwas zufälliges. Vor dem Hintergrund des eskalierenden Krieges im Donbass, war es für die Junta äußerst wichtig, die Proteste in Odessa zu unterdrücken, wo die Demos weitergingen und ein fortgehender lokaler Gegenentwurf zum "Maidan" vor dem Haus der Gewerkschaften bestand. Zu diesem Zeitpunkt wurde der offene Widerstand bereits in Charkow und Saporoschje zerschlagen, mit Hilfe der herbeigekarrten Banden der "Selbstverteidigung des Maidans", ausländischer Söldner und Teile der Polizei, die die Seite der Junta ergriffen haben. Odessa war der nächste Punkt auf der Liste. Danach sollte Mariupol folgen.

Die Hauptaufgabe der Junta war es, den offenen Widerstand maximal brutal zu unterdrücken und die eigene Macht in der Stadt zu festigen, die bis dato wegen schwankender lokaler Beamtenschaft und Polizei noch nicht vollwertig war. Da die Junta über nicht ausreichend eigene Kräfte verfügte, wurden zur Verstärkung der loyalen Teile der Polizei Fußball-Ultras und die Kämpfer der "Selbstverteigung" eingeführt. Unter den bekannten Organisatoren der blutigen Ereignisee waren Kolomoiski und Parubij. Der Leiter der Odessaer Polizei und der Gouverneur von Odessa wussten, was kommen sollte, und haben das Feld vorsorglich gesäubert.  Die Polizei und wichtige munizipale Dienste wurden temporär neutralisiert, damit die eingeführten Schläger ihre Sache störungsfrei verrichten konnten. Später versuchte man, die Verantwortung für das Massaker auf Menschen wie Futschedschi abzuwälzen, den Leiter der Odessaer Polizei. Doch sie waren nur Mittäter und keine Organisatoren des Gemetzels, derer man sich entledigte, sobald sie nicht mehr gebracht wurden.

Wie die weiteren Ereignisse zeigten, waren die Kräfte von Anfang an ungleich. Der lokale Antimaidan war zwar stärker als die lokalen Anhänger des Rechten Sektors und die Nationalisten. Doch durch die eingeführten Verstärkungen aus der Zentralukraine bekam der Gegner einen Vorteil, den er genutzt hat. Im Zuge der bewaffneten Zusammenstöße, die bei völliger Untätigkeit der Polizei stattfanden, hat sich die zahlenmäßige und organisatorische Überlegenheit des Gegners schnell ausgewirkt. Gegen Abend hat sich die Lage in eine sehr ungünstige Richtung für den Antimaidan entwickelt. Unter dem Druck des überlegenen Gegners begann sich ein Teil der Aktivisten zum ständigen Lager in der Nähe des Gewerkschaftshauses zurückzuziehen, wo das Massaker später auch stattfand. Ein Teil der Menschen hat begriffen, dass etwas sehr Ungutes vor sich geht und hat das Lager sofort verlassen, das zur Beute der angreifenden Ultra-Nationalisten wurde. Doch nicht alle gingen, ein Teil der Leute blieben, um das Lager zu verteidigen, oder zumindest Schutz im Gewerkschaftshaus zu finden. Sie dachten, dass sie es immer noch mit Schlägereien zwischen Maidan und Antimaidan zu tun haben und nicht mit einem Bürgerkrieg, wo man Gegner tötet.

Die Kräfte waren in diesem Moment eindeutig ungleich, weshalb das Lager vor dem Gewerkschaftshaus binnen weniger Minuten verbrannt wurde. Das zeigt die systematische Vorbereitung zu genau solchem Szenario. Danach begann das eigentliche Massaker. Menschen, die versuchten, sich im Gebäude zu retten, wurden bereits in oberen Stockwerken erwartet, wodurch das Gebäude zur Falle wurde. In das bereits angezündete Haus stürmten Faschisten und töteten due Flüchtenden. Diejenigen, die aus den Fenstern sprangen, wurden bereits auf der Straße zu Tode geprügelt, ohne die Kameras zu scheuen, die das Ganze festhielten. Schreie der Menschen, die gerade getötet wurden, hallten aus den Fenstern durch den Vorplatz. Das passierte in einem Land, dass sich damit brüstete, "europäisch" zu sein.

All das geschah bei völliger Tatenlosigkeit der Polizei und der Feuerwehr, die die Szenerie just zu dem Zeitpunkt betraten, als die Terroraktion bereits vorbei war. In etwa ab hier gelangten erste schreckliche Bilder und Videos ins Netz von dem, was im Gewerkschaftshaus ereignete. Stark verkohlte Menschenkörper, die einen grausamen Tod erlitten, Blutspuren an den Wänden und jene verwischte Händespuren auf Glas, die zu einem der Wahrzeichen des Massakers von Odessa wurden. Diejenigen, die das sahen, konnten nicht glauben, dass das passiert. Viele hatten geglaubt, dass die Behauptungen über die Existenz des Faschismus in der Ukraine ein Mythos waren, ein propagandistisches Phantom. Doch die Eregnisse von Odessa öffneten ihnen die Augen. Vor dem Hintergrund des Massakers von Odessa wurde selbst der abgewehrte Sturm auf Slawjansk zweitrangig. Lebendig verbrannte Menschen, eine erwürgte Frau, die triumphierenden, vor lauter Blut tiergewordenen Ultranationalisten, die sich mit Leichen fotografieren und freudig in die Kameras ukrainischer TV-Sender über die "erfüllte Mission" berichten, wo ihnen eine jubelnde Biomasse im Studio Applaus spendet.

Selbstverständlich konnte über eine staatliche Aufklärung des Massenmordes keine Rede sein, denn die Ermittlungen leiteten faktisch diejenigen, die das Massaker organisierten. Europa hat diese Morde im Rahmen der traditionellen doppelten Standards ebenfalls erfolgreich ignoriert. In der Ukraine wurde erklärt, die Menschen hätten sich selbst angezündet. Später werden nach derselben Logik die Ereignisse im Donbass präsentiert: die "Terroristen" beschießen ihre eigenen Städte. Der unverhüllte Zynismus wurde zur Norm, die gegrillten "Kartoffelkäfer" (so nennen ukrainische Nationalisten die Protestbewegung wegen ihrem schwarz-gelben Georgsband. -Anm. des Unbequemen) wurden zum Objekt der Witze der "neuen Europäer", die freudig um das Feuer tanzten, in dem ihr eigenes Land verbrannte. Was sich als Proteste gegen die Weigerung, ein unbedeutendes Papier zu unterzeichnen, begann, entwickelte sich zu Massenmorden an den eigenen Mitbürgern, das Land versank im kollektiven Wahnsinn der verzerrten Welt des Faschismus.

Für mich war das Massaker keine Überraschung, denn die Genesis der Ereignisse wurde für mich noch vor dem Umsturz in Kiew deutlich. Doch mit dem, was passiert ist, konnte man sich unmöglich abfinden. Das Massaker von Odessa wurde zu einem weiteren sehr gewichtigen Argument, dass das Regime in Kiew unbedingt ausgetauscht gehört, denn im Folgenden wird es noch schlimmer. Die Vorahnung täuschte nicht, es kam tatsächlich viel schlimmer. Ich schrieb schon damals, dass am 2. Mai in erster Linie nicht Bewohner von Odessa verbrannt wurden, sondern vor allem die Ukraine, begleitet vom freudigen Jubel der Unmenschen. So kam es auch. Trotz eines ganzen Jahres der verschiedenen Verhandlungen und Waffenruhen, denken nach Odessa drei der von der Ukraine bereits abgefallenen Regionen nicht daran, zurückzukehren. Die verbrannten Menschen kamen wie ein Bumerang in Form Tausender von Särgen vom Donbass zurück, wo unter den Verteidigern der "einigen Ukraine" wir genauso schecklich verbrannte Leichen sahen, die wie eine Sühne für Odessa aussahen. Doch die Hauptschuldigen sind immer noch an der Macht und ihre Sühne ist noch nicht gekommen.

Odessa wurde schrecklich eingeschüchtert und lebt heute de facto unter einer inneren Besatzung. Die ständigen Verhaftungen sowie die Aktionen der aus dem Untergrund agierenden Widerstandskämpfer dauern schon das ganze Jahr an. Diejenigen, die dachten, man könnte die Sache aussitzen und dass die Ereignisse sie nicht betreffen, werden von der brutalen Realität eingeholt: die Lebensqualität begann rapide zu fallen, vom Donbass kommen Zinksärge, es kommen Einberufungsbescheide in die Armee, wo den feigen Aussitzern von vor einem Jahr die Rolle des Kanonenfutters zukommt. Ihre Freunde und Bekannte können auf schlichten Verdacht auf Illoyalität verhaftet werden. Diejenigen, die versuchten, außerhalb der Politik zu sein, ernten jetzt die Früchte ihres Apolitischseins. Diejenigen, die den Bürgerkrieg ignorierten, haben nun vollends seine Folgen zu spüren bekommen, obwohl sie damals imstande gewesen wären, diese Folgen durch eine aktive bürgerliche Position zu minimieren. Die Atomisierung der Gesellschaft und das konsumgeprägte Bewusstsein schufen eine ausreichende Basis, damit der Faschismus triumphieren und zu offenem Terror übergehen konnte. Die Menschen haben einfach nicht verstanden, dass der Preis der Massenproteste im Frühjahr 2014 deutlich geringer gewesen wäre, als der Preis, den die Ukraine für die Zeit zahlen wird, die der Junta an der Macht ist. Dieser Preis wird bereits mit Zehntausenden von Menschenleben gezählt. Und der Preis wird auch weiterhin sehr hoch sein. Das Bewusstsein dafür wird früher oder später komen, doch die Opfer der ukrainischen Tragödie wird das nicht mehr zurückbringen, ebenso wie die Leben derer, die beim Massaker von Odessa umkamen.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Trauer über die Sinnlosigkeit dieser Aktion lässt sich nicht in Worte fassen. Wie kann man nur derart verachtend mit anderen umgehen!!! CK

Anonym hat gesagt…

wäre cool wenn die kommenden 3 Tage dazu führten, daß die fremdgesteuerten "Kinder" die Augen für die Realität öffnen und beginnen die Grausamkeiten überall zu sehen, welche Sie unterstützen und selbst verüben. Nicht umsonst sollen die Leute gewesen sein, welche heute und auch vor 70 Jahren schon ihr Leben unfreiwillig gelassen haben. Warum wird Grausamkeit unter dem Vorwand eines Krieges oder Kampfes immer toleriert? Wo doch jedes Kind, in einem fürsorglichen Elternhaus, sofort "ein paar hinter die Löffel" bekommt, wenn es anderen gegenüber gemein ist. Nicht Regeln bestimmen unser Innerstes, sondern unsere Erziehung. Und die sollte immer von Erklärung und Wissen geprägt sein. Rein hypothetisch, was würde es kosten über den Kriegsgebieten weiße Blumen zu streuen, als Zeichen dafür die unsinnigen Kämpfe zu beenden und allen Beteiligten die enormen Opfer in Erinnerung zu rufen. Ein 9.Mai eignet sich dafür sehr. Vielleicht rüttelt es einige wach. Die Bevölkerung von allen Seiten müßte gemeinsam ihr Land wieder aufbauen um zu merken das Sie nicht verschieden von der Gegenseite sind und sich nicht mehr von außerhalb manipulieren zu lassen.
Noch ein Wort zu den kommenden 70-jährigen "Sieges"feiern. Wäre es hier nicht angebrachter, wenn man der Opfer lieber mittels einem Trauerzug mit brennenden Kerzen anstatt mit großen, prunkvollen Militärparaden gedenkt? Dies würde doch vielmehr zeigen, daß man den Sinn oder vielmehr den Unsinn des Krieges verstanden hat und das Gedenken ein ehrliches ist. Es erscheint höchst unwahrscheinlich, daß auch nur ein einziger, der unter diesen Umständen zum sterben gezwungen wurde, eine Militärparade mit jubelnden Massen toll finden würde! Gibt es bei sovielen Opfern wirklich Sieger??? Wie schön wäre es, wenn ein jeder seinen Kopf zum nachdenken benutzen würde, denn nur zum Haare schneiden!
Gute Nacht CK

Anonym hat gesagt…

Entschuldige bitte, es lag mir fern Dich oder andere zu kränken. Offensichtlich war es etwas mißverständlich ausgedrückt. Keinesfalls sollten die Verdienste Eurer Großväter und -mütter in den Schatten gestellt werden. Meine leider schon verstorbene Oma empfand die Ankunft von Ihnen nachdem sich die Überseecowboys vorher aufgeführt hatten wie die Vandalen.(Vergewaltigungen, Strafmaßnahmen und wer die Klappe aufmachte, wurde einen Kopf kürzer gemacht, eben das ganze Programm)als sehr human. Die Kommandeure hätten gleich klar gemacht die Bevölkerung auch als solche zu behandeln und nicht, wie vorher, den letzten Dreck. Keine Ahnung ob dies nur ein Einzelfall war, oder tatsächlich allgemein galt. In jedem Fall, danke das war nett. Dennoch trägt der Sieg den faden Beigeschmack von unzähligen Opfern. Hoffentlich drücken die Papas und Mamas der Staaten sich morgen und übermorgen unmißverständlicher aus als meine Wenigkeit. Denn Sie sind sicher ziemlich angespannt und dann noch ungewollte Mißverständnisse -> wäre ungünstig. Sie sollten lieber nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Unterscheiden sich die Bedürfnisse der verschiedenen Bevölkerungen wirklich, wo doch überall nur Menschen wohnen?
ein schönes Wochenende mit stahlendem Sonneschein
Gruß Ck

Anonym hat gesagt…

Ps: Du hast recht, mit Deinem Hintergrund hören sich meine Worte schon fast wie eine Beleidigung an. Entschuldige, so war das wirklich nicht gemeint.
Gruß CK und eine schöne Feier

eboniesackett hat gesagt…

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