Montag, 24. September 2007

Arktisch kalter Krieg

Als Anfang August Russland mit seinen einzigartigen Tauch-Ubooten erstmals den Meeresgrund am Nordpol erreichte, dort Bodenproben sammelte und eine Fahne aus Titan aufstellte, war die Aufregung im Westen groß. Die spontane Bewunderung für die Pioniertat in 4261 m Tiefe wiech jedoch fast sofort beißender Kritik. Die meisten politkorrekten Kommentatoren zögerten nicht, diese "Provokation" als "irrelevant" und "lächerlich" zu bezeichnen. Hätte man sich damals allein aus westlichen Medien informiert, würde man folgendes Zerrbild bekommen: Gierige Russen lecken sich die Finger nach weiteren Gebieten und Rohstoffen (als ob sie nicht schon genug hätten) und kapern einseitig und mit dubiosen Methoden die zum Gesamterbe der Menschheit gehörende Arktis. Die Message war eindeutig: der russische Bär bedroht uns wieder und muss bekämpft werden. Und die Hysterie-Wellen schlagen bis heute.

Die Geschichte rund um die russische Arktis-Expedition eignet sich wieder vorzüglich zur Demonstration dessen, wie sich mit einseitigen Informationen und der Unterschlagung entscheidender Sachverhalte das Bild um 180° drehen lässt. Nein, offen zu lügen braucht man nicht, so etwas kann schließlich leicht widerlegt werden. Wozu auch, wenn es sich doch wunderbar mit Methoden wie Unterschlagung und Übertreibung hantieren lässt und das gewünschte Ergebnis auf viel ungefährlichere Weise erreicht werden kann? Halbwahrheit ist schließlich keine Lüge.

Ob Spiegel Online, N-TV, Die Welt, FAZ, Tagesschau.de oder Sueddeutsche, allen Artikeln war eines zueigen: nach einer empörten Schlagzeile über eine russische Provokation folgte die Sammlung hämischer Zitate"zivilisierter" Politiker, die Russland das Denken des 15. Jahrhunderts attestierten. Danach folgte die "Aufklärung" über die treibenden Motive hinter der Aktion: schmelzende Arktis, viele Rohstoffe, gierige und ruppige Russen. So werden die meisten Leser abgefertigt und mit dem vorgegaukelten Gefühl, umfassend informiert zu sein, wieder ein Stück mehr ideologisch getrimmt entlassen.

Mehr war in den Artikeln meist nicht zu lesen, so dass nur die wenigen selbständig Recherchierenden an die entscheidenden Informationen kommen konnten. Laut UNO-Gesetzgebung kann ein Land mit vollem Recht Meeresterritorien beanspruchen, wenn sie zu seinem erweiterten Festlandsockel gehören. So gehören beispielsweise Brasilien Gebiete im Atlantik, die weit über die international übliche Küstenzone hinausgehen. Nichts anderes, als einen Anspruch geologisch nachzuweisen und den legalen Weg zu gehen, hatte die russische Expedition vor. Und dass parallel dazu eine Landesflagge aufgestellt wurde, gehört wohl eher zu den normalsten Dingen der Welt, wenn man einen ungewöhnlichen Ort erreicht. Etliche Nationen haben ihre Flaggen schon oberirdisch am Nordpol, am Südpol, auf dem Mount Everest oder auf dem Mond hinterlassen, ohne dass jemand allein schon aus diesem Akt eine Besorgnis über deren Landnahme hergeleitet hätte. Doch gegenüber Russland gelten allgemeine Normen bekanntlich nicht (z.B. Marktpreise für Gas), so dass respektlose Anschuldigungen des Denkens á la 15. Jahrhundert mehr als leicht über die Lippen kommen.

Das Tandem aus Politikern und politkorrekten Kommentatoren ergänzte sich gut und traditionsgemäß waren bei der Kritik die USA ganz vorne mit dabei. Ausgerechnet ein Land, das die UNO und das Völkerrecht zunehmend mißachtet, die Arktiskonvention als einziges nicht unterschrieben hat und von den fünf Anrainerstaaten die geringste Beziehung zur Arktis hat, verurteilte am Lautesten die russischen "Eskapaden". Wäre auch erstaunlich, wenn die USA, die die Welt schon längst als ihr eigen betrachten, ruhig hinnehmen würden, wenn irgendwo irgendwas ohne sie geteilt wird. Mit einiger Sicherheit kann man sagen, dass selbst wenn die UNO nach dem Studium der geologischen Daten den russischen Anspruch als regelkonform bestätigt, die USA diese Entscheidung einfach ignorieren werden, wie sie das schon oft gemacht haben. Spätestens dann werden die letzten sehen, die noch Illusionen haben, dass in der heutigen Welt wie eh und je das Recht des Stärkeren herrscht. Es reicht eben nicht aus, im Recht zu sein, das Recht muss auch durchgesetzt werden. Man darf sich auf einen arktisch kalten Krieg einstellen.