Freitag, 31. Dezember 2010

"Gelesen hab' ich's nicht, doch dagegen bin ich schon"

Das Urteil gegen Michail Chodorkowski hat in den westlichen Medien einen neuen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Überall wird Russland Willkürjustiz und ein großer Imageschaden in Sachen Rechtstaatlichkeit bescheinigt. Dabei demonstriert der Umgang mit diesem Thema auf eine anschauliche Weise das verfaulte und verantwortungslose Wesen der freiwillig gleichgeschalteten westlichen Journaille.

Trotz weitgehender Recherche konnte ich bislang keinen Artikel oder Bericht finden, der sich ernsthaft mit der Anklageschrift und der Urteilsbegründung auseinandersetzt. Die Berichterstattung konzentriert sich von den ersten Zeilen an auf abstrakte Verurteilungen der russischen Zustände und Mutmaßungen über politische Motive hinter der Gerichtsentscheidung. Eine derartige Vorgehensweise ist natürlich viel leichter und zweckmäßiger, als eine ernsthafte Untersuchung der öffentlich zugänglichen Anschuldigungen gegen Chodorkowski. Von einem solchen professionellen bzw. aufwändigen Niveau hat sich der westliche Journalismus schon lange abgewendet, da der Zweck nicht die Wahrheitsfindung, sondern Propaganda ist. Für einen Blick auf die 800-seitige Urteilsbegründung ist der Westen einerseits zu bequem, andererseits zu erhaben - er weiß ja ohne zu lesen, dass sie eine Farce ist. Tief im Inneren spielt aber wahrscheinlich doch Angst vor einer Blamage mit, denn niemand würde wohl seine Hand dafür ins Feuer legen, dass am ehemaligen Oligarch Chodorkowski nichts Schmutziges hängt und die Anklageschrift keine Wahrheiten beinhaltet.

Doch aus westlicher Sicht braucht niemand so weit denken. Die abstrahierte Handhabung des Falls ist ein wunderbarer Ansatzpunkt für eine neue Runde der Anti-Russland-Propaganda und die unkritische Bevölkerung, die vieles isst, was ihr serviert wird, macht es den Medien auch nicht gerade schwer.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Kleinlich-Britannien

Ausgerechnet Großbritannien ist mächtig sauer, dass Russland die WM 2018 erhält. Die Briten sind überzeugt, dass sie es verdient hätten. Da ist es auch nicht so wichtig, dass sie bei der Entscheidung in Zürich bereits in der ersten Wahlrunde mit nur zwei Stimmen rausgeflogen sind, wovon eine von einem Engländer stammte. Die Bewerbungen von Spanien/Portugal und Holland/Belgien waren deutlich populärer, doch die haben die Niederlage deutlich würdevoller aufgenommen und schreien nicht überall von Korruption und Schiebung.

Die Engländer springen dagegen im Dreieck. Premier Cameron verließ wutentbrannt Zürich, ohne dem Gewinnerland zivilisiert zu gratulieren. Der Präsident des englischen Fußballverbands ist aus Ärger über die Fifa zurückgetreten, Londons Bürgermeister Johnson streicht der Fifa ein Luxushotel, und von den Eskapaden der berüchtigten englischen Boulevard-Presse wollen wir hier gar nicht sprechen.

Bereits im Vorfeld der Wahl ist in Englands Presse eine Hetzkampagne sondergleichen gegen die Fifa losgetreten worden. Offenbar sollte damit das Ziel verfolgt werden, die Fifa unter Druck zu setzen, damit diese mit einer England genehmen Entscheidung versucht, die Beschuldigungen zu entkräften.

Doch die Fifa denkt offenbar nicht daran, sich vor den dreckigen Methoden der Engländer zu verbeugen. Sie verfolgt ein klares Ziel, die Fußballgeografie zu diversifizieren und neuen wichtigen Ländern und Regionen Impulse zur Entwicklung des Fußballs zu geben. Russland steht hierbei für den postsowjetischen Raum und Osteuropa, Katar für die arabische Welt.

Das Widerliche am Jammern der ohnehin chancenlosen Engländer ist die pauschale Beschuldigung der Mitkonkurrenten, so als ob die grundsätzlich nur durch Korruption gewinnen könnten. Und man selbst hat natürlich immer eine schneeweiße Weste und trompetet das am Lautesten in die Welt hinaus, am Besten schon im Voraus.

Das Argument, England habe schon die nötige Infrastruktur, während sie woanders noch gebaut werden muss, ist im Grunde genommen keins. Denn nach dieser Logik müsste die WM immer in den fünf-sechs gleichen Ländern stattfinden, die schon von früheren Vergaben profitierten, während andere nie die Gelegenheit bekämen, einen derartigen Impuls zur Entwicklung des Fußballs zu erhalten. Auch das Argument mit den weiten Entfernungen Russlands ist lächerlich. Das hieße, große Länder dürften die WM nie bekommen. Was haben dann eigentlich die hypokriten Fifa-Kritiker gegen Katar und warum wollen sie USA oder Australien?

Danke, Fifa, für Standfestigkeit und weitsichtige Entscheidungen, Gratulation, Russland!