Sonntag, 28. Dezember 2014

Geopolitische Gewinner und Verlierer des Jahres 2014

Gewinner:


Zu den geopolitischen Gewinnern des Jahres zählt unzweifelhaft China. Aus der nachhaltigen Entfremdung zwischen Russland und dem Westen als Konsequenz der Ukraine-Krise kann das Reich der Mitte das meiste Kapital schlagen, buchstäblich und im übertragenen Sinn. Russlands politische Wende nach Osten und die gegenseitigen Wirtschaftssanktionen zwischen Russland und dem Westen öffneten für China zahlreiche Nischen auf dem russischen Markt, die zuvor vom westlichen Firmen besetzt waren. Die russische Bereitschaft zur Zusammenarbeit im wirtschaftlichen, technischen und politischen Bereich ist deutlich gestiegen, zahlreiche gemeinsame Projekte auf den Feldern Infrastruktur, Energie, Rüstung und Weltraum wurden beschleunigt. Vor allem die neuen landgestützten Versorgungswege bei Öl und Gas sind für China von unschätzbarer strategischer Bedeutung, denn bisher importierte das Land seine Ressourcen überwiegend auf dem Seeweg, wo China noch einige Jahrzehnte keine militärische Hoheit haben wird. Durch die Zusammenarbeit mit Russland kann Peking diese große Achillesferse zumindest teilweise absichern, was das Erpressungspotenzial durch die nach globaler Dominanz strebenden USA reduziert und mehr politische Handlungsspielräume öffnet.

Chancen und Risiken:


Für die USA fällt das Jahr 2014 gemischt aus. Die auf den ersten Blick große Errungenschaft liegt in der Destabilisierung der Ukraine, in der Vereitelung eines Teils der Reintegration auf postsowjetischem Gebiet sowie im erfolgreich getriebenen Keil zwischen Russland und Europa. Unter dem Vorwand der russischen "Aggression" konnte man die europäischen Vasallen nach all den unschönen Themen wie Abhörskandale bequem zurück auf Linie bringen und die Blockdisziplin festzurren. Jetzt sind die USA wieder die unverzichtbare Schutzmacht, um die sich die Klientelstaaten scharen, die auch das Gros des wirtschaftlichen Schadens durch Sanktionen tragen. In Angela Merkel haben die USA einen hörigen Statthalter, über den sie Europa bequem und gebündelt regieren können und der ihren Willen an die wirtschaftlich schwächeren EU-Länder weiterträgt. Auf den zweiten Blick haben die USA jedoch die globalen Widerstände gegen ihre Hegemonialpolitik gestärkt und das Misstrauen erhöht. Die großen Schwellenländer haben ein adäquates Verständnis von den Vorgängen und versuchen nun erst recht, die gegenseitige Zusamemnarbeit zu intensivieren und Alternativstrukturen im globalen Finanzsystem aufzubauen. In Europa verstärken sich EU-feindliche Tendenzen, Zentrumsparteien stehen einem Stimmenverlust zugunsten linker und rechter Flügel entgegen, was das bequeme zentralisierte Strippenziehen für die USA bald wieder erschweren könnte. Der Scherbenhaufen im Nahen Osten hat das Ansehen als globale Führungsmacht ernsthaft beschädigt und treibt die regionalen Kräfte zur Eigeninitiative. Russland ist für die USA auf Jahrzehnte hinaus verloren und wird von einem neutralen Land auf der Weltbühne zum klar ausgeprägten Gegenspieler. Die teilweise erfolgreiche jahrzehntelange Zersetzung und antipatriotische Umprogrammierung der russischen Gesellschaft sowie die Züchtung einer handzahmen Opposition ist durch die Ereignisse von 2014 wohl endgültig zunichte gemacht worden.

Für Russland war 2014 ein Bruch und eine endgültige Abkehr von der 23 Jahre langen Politik des Zurückweichens und des Appeasements gegenüber dem Westen. Nach dem aus dem Ausland gesteuerten verfassungswidrigen Umsturz in Kiew ist es zu einem breiten Konsens innerhalb der russischen Gesellschaft geworden, dass die rote Linie überschritten wurde und es kein Geschäft wie bisher mehr geben kann. 2014 trug dazu bei, dass vielen die Augen geöffnet wurden, dass der Kalte Krieg seitens des Westens nie aufgegeben wurde. Insofern kennzeichnete das Jahr eine mentale Gesundung Russlands und eine Hinwendung zum Patriotismus. Mit der Aufnahme der Krim hat Russland nicht nur eine wichtige strategische Region zurückgewonnen, die de facto die Kontrolle über das Schwarze Meer sichert, sondern auch ein stückweit nationale Wiedervereinigung und Wiederherstellung der Gerechtigkeit vollzogen. Ein unzweifelhafter Schlag ist die Kappung der meisten Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine und die Sanktionen des Westens, allen voran im Banken- und Finanzsektor. Allerdings bergen diese Entwicklungen auch Chancen für das Wachstum der heimischen Produzenten, während in manch anderen Bereichen nicht-westliche Länder in die Bresche springen. Für das Land bricht ein neues chancen- und risikoreiches Zeitalter an, in dem es nicht mehr auf den Westen setzt. Vor allem Europas Souveränität wurde von den Russen deutlich überschätzt, was künftig in die strategische Planung einfliessen wird.

Verlierer:


Die Europäische Union zählt zu den großen Verlierern des abenteuerlichen Ukraine-Umsturzes, den sie auf Drängen der USA mitgetragen hat. Wegen eines impotenten Landes wie der Ukraine wurden die Beziehungen zu einem perspektivreichen Partner wie Russland abgewürgt. Anstelle eines gemeinsamen europaweiten wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Raums hat Europa jetzt selbstverschuldet und ohne Not eine Konfrontation an der Backe, die sie sich von den Amis hat aufschwatzen lassen. Die Abhängigkeit von den USA bleibt mehr denn je bestehen, Handlungsspielräume sind zusammengeklappt. Der wachsende russische Absatzmarkt musste weitgehend aufgegeben und anderen enthusiastischen Konkurrenten überlassen werden. Dies könnte gerade bei wirtschaftlich schwächeren Ländern wie Italien, Griechenland oder Zypern bald zur Krise führen, nicht nur wegen der Tourismuseinbußen. Die Erstarkung der EU-Gegner im Inneren lässt die Zukunft der EU unbestimmt und fraglich aussehen. Obendrauf hat man jetzt den Klotz Ukraine am Bein, die kurz vor der Staatspleite steht. Das Scheitern der Ukraine wäre ein großer politisch-reputationaler Schlag für den Westen, den es unbedingt zu vermeiden gilt. Allerdings ist es extrem teuer, ein unverbesserliches schwarzes Loch wie die Ukraine durchzufüttern.

Die größte Verliererin des Jahres 2014 ist die Ukraine. Die prowestliche Kiewer Öffentlichkeit hat im Februar wohlwollend zugeschaut, wie vor allem Rechtsradikale den eigentlichen Umsturz vollzogen und anschließend alle Andersdenkenden landesweit einzuschüchtern versuchten. Das Ergebnis war die Abspaltung der Krim und der Ostukraine. Es folgte ein blutiger Krieg mit wohl knapp 20 Tausend Toten auf ukrainischer Seite, der verloren ging. Dem nahezu bankrotten Land fehlt heute ein großer Teil der ca. 40% betragenden Außenwirtschaft mit Russland und ein großer Teil der eigenen Wirtschaftsleistung, die vor allem aus der Ostukraine kam. Energetisch ist die Ukraine künftig durch die fehlende Donbass-Steinkohle noch mehr auf das Ausland angewiesen. Verwaltungstechnisch ist die Ukraine nur noch eine Filiale Washingtons, mit zahlreichen ausländischen Ministern (darunter ehemaligen Mitarbeitern des Department of State) und einer ganzen CIA-Etage beim ukrainischen Sicherheitsdient SBU. Ob die Ukraine das Jahr 2015 in der heutigen Form übersteht, ist äußerst fraglich. All das ist dem beispiellosen Machthunger der Umstürzler, der gesellschaftlichen Immunitäslosigkeit gegenüber Ultranationalisten und der fehlenden Bereitschaft zum nationalen Dialog nach dem Umsturz zu verdanken, als vieles noch hätte gerettet werden können.

Montag, 8. Dezember 2014

South Stream: Brüssel hat den Bogen mal wieder überspannt

Putin und Erdogan
Bei seinem jünsgten Besuch in der Türkei hat Russlands Präsident Putin das Aus für die geplante Gaspipeline South Stream verkündet, die quer durch das Schwarze Meer nach Bulgarien gehen sollte. Stattdessen soll eine neue Pipeline in die Türkei gehen, wo an der türkisch-griechischen Grenze ein neuer Verteiler-Hub für Europa entstehen soll.

Die Neuigkeit versetzte die europäische Politiker- und Medienwelt in helle Aufregung. Groß war die reflexhafte Verführung, Putin neuerliche böse Machenschaften vorzuwerfen, doch diesmal konnte nicht übersehen werden, dass es vor allem die EU selbst war, die die Pipeline monatelang blockiert hat. Obwohl sie für zahlreiche EU-Länder wie Frankreich, Italien, Österreich und Ungarn sehr lukrativ war und sie Mißtöne aus Brüssel in den Wind schlugen, erwies sich Bulgarien als das schwächste und am Leichtesten erpressbare Glied in der Kette.

Offizieller Vorwand der EU-Intervention war die angebliche Unvereinbarkeit von South Stream mit dem Dritten Energiepaket, wonach der Betreiber mind. 50% der Pipeline-Kapazität für seine Konkurrenten bereitstellen muss. Wer jedoch in diesem Fall die Konkurrenten rein physisch sein sollen, ist unklar. Das europäische Pipeline-Projekt Nabucco, das Erdgas aus Aserbaidschan, Turkmenistan und dem Iran nach Europa bringen sollte, ist aufgrund der fehlenden Auslastungsaussichten gescheitert. Jetzt sollten wohl zumindest Teilmengen auf dem Rücken der Russen und gegen die Russen nach Europa gebracht werden. Gazprom hatte sich dieser Forderung von Anfang an widersetzt und argumentierte, dass die Verträge mit den einzelnen Partnerländern noch vor dem Inkrafttreten des Dritten Energiepakets abgeschlossen wurden. Die EU hat auch offenbar kein Problem mit Nord Stream, denn die alternative Totalabhängigkeit vom unsicherem Transitland Ukraine wäre für die EU wohl zu viel des Guten. Im Fall von South Stream will die EU jedoch entgegen dem wirtschaftlichen Ratio und zu Lasten der südosteuropäischen Liefersicherheit die Ukraine aus politischen Gründen als Transiteur unbedingt erhalten, damit das Land Trümpfe gegen Russland in der Hand behält.

Die USA müssen natürlich überall mitreden
Doch es ist noch nicht mal die EU, die man als Motor des Ganzen vermuten muss. Eher noch muss man annehmen, dass die EU selbst hier nicht unerheblichen Druck aus Amerika bekommt, das jegliche Ausweitug der Energiepartnerschaft Europas mit Russland wie schon in den Sechzigern torpedieren will. Im Gegensatz zu damals, als es den Amerikanern lediglich um Verhinderung ging, geht es diesmal aber auch um die künftige Vermarktung von ihrem eigenen verflüssigten Gas in Europa, das russisches Gas verdrängen soll. Die Zeche für das deutlich teurere, aber "politisch korrekte" Gas sollen dann die europäischen Verbraucher und die europäische Wirtschaft zahlen, deren Konkurrenzfähigkeit darunter leiden wird. Der EU-Kommission ist das offenbar schnurz. Diverse US-Politiker, darunter John McCain ließen denn auch in Sofia sehen, wo sie die dortige labile politische Führung mit welchen Mitteln auch immer schnell umstimmten. Im Sommer verkündeten die Bulgaren, sie würden South Stream auf Eis legen, bis die EU-Forderungen erfüllt sind.

Umso heftiger sitzt jetzt der Schock in Bulgarien, dass die Russen sie nun gegen die Türken ausgetauscht haben. Die direkten Verluste des Armenhauses Bulgarien werden nun ca. 400 Mio. Dollar jährlich betragen, die indirekten ca. 750 Mio. Dollar. Das ist der vorläufige Preis der Vasallentreue und des Verrats an eigenen nationalen Interessen. Auch die EU ist peinlich berührt. Das Kalkül Russland in der South Stream-Frage lange Zeit an der Angel zu halten und politisch zu manipulieren, ist nicht aufgegangen. Jetzt bekommt sie es auch noch mit der harten Nuss Türkei zu tun, die ebenfalls ihre Marge einfordern wird und eine gewichtige Stimme bekommt. Die EU braucht dieses Gas, hat sich aber mit der Hoffnung auf das Nachgeben Russlands verkalkuliert.

Putin und der Gazprom-Chef Miller
Zunächst versuchten die europäischen Zeitungen, den Schaden kleinzureden und den Scherbenhaufen schönzumalen. Angeblich fehle Russland sowieso das Geld, deswegen hat es das Projekt abgeblasen. Doch daran kann es nicht liegen, denn die Pipeline in die Türkei wird nicht wesentlich billiger. Und wollte man nicht sowieso immer die Abhängigkeit vom russischen Gas reduzieren? Tja, liebe transatlantische Auftragsschreiberlinge: trotz des beinahe schon zehn Jahre alten Geredes ist der russische Marktanteil aus guten Gründen immer weiter gewachsen. Ohne Russland geht's nicht, wie sich dann doch herausstellt. Die Abkehr von Kohle, der Rückgang der Nordsee-Reserven all das wird in Zukunft immer mehr neue Erdgasrouten erforderlich machen. Die Konfrontation mit Russland erweist sich hierbei als ein Schuss ins eigene Knie, den lachenden Dritten hinter dem großen Teich freut das sehr.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Putins Rede an die Nation 2014 im Wortlaut

Erster (internationaler) Teil der Rede

Sehr geehrte Mitglieder des Föderationsrats,  Abgeordnete der Staatsduma und Bürger Russlands!

Die heutige Botschaft wird natürlich der Zeit, den Bedingungen und Herausforderungen, vor denen wir stehen, entsprechen. Als erstes möchte ich jedoch Ihnen allen für Ihre Unterstützung danken, für die Einheit und Solidarität in schicksalsträchtigen Momenten, wenn für die Zukunft unseres Landes vieles entschieden wird.


Dieses Jahr sind wir gemeinsam durch Bewährungsproben gegangen, die nur eine reife, konsolidierte Nation und ein wahrlich souveränes, starkes Land meistern kann. Russland hat in der Praxis bewiesen, dass es seine Landsleute beschützen und Wahrheit und Gerechtigkeit ehrenhaft verteidigen kann.

Unser Land hat es euch zu verdanken, den Bürgern Russlands. Dank eurer Arbeit und den Resultaten, die wir gemeinsam erreicht haben. Dank eurem tiefen Verständnis des Sinns und der Bedeutung der gemeinsamen nationalen Interessen. Wir haben die Kontinuität und die Integrität des tausendjährigen Weges unseres Vaterlands begriffen. Und wir glauben an uns und daran, dass wir vieles können und erreichen werden.

Natürlich können wir heute die historischen Ereignisse, die in diesem Jahr
stattgefunden haben, nicht unbeachtet lassen. Wie Sie wissen, fand im März dieses Jahres ein Referendum auf der Krim statt, bei dem die Bewohner der Halbinsel deutlich ihren Wunsch bekundet haben, sich mit Russland zu vereinen. Darauf folgte die Entscheidung der Krim-Parlaments über die Unabhängigkeit, dabei sei daran erinnert: des absolut legitimen Parlaments, das im Jahr 2010 gewählt wurde. Und schließlich erfolgte eine historische Wiedervereinigung der Krim und Sewastopols mit Russland.

Für unser Land und unser Volk hat dieses Ereignis eine besondere Bedeutung. Denn auf der Krim leben unsere Leute, denn das Gebiet ist von strategischer Bedeutung, denn hier gibt liegen die spirituellen Ursprünge der vielfältigen aber monolithen russischen Nation und des zentralisierten russischen Staates. Hier, auf der Krim, im antiken Chersones - oder Korsun, wie es von russischen Chronisten genannt wurde, - wurde erstmals Fürst Wladimir getauft, der anschließend ganz Russland taufte.

Zusammen mit der ethnischen Nähe, mit der gemeinsamen Sprache und der materiellen Kultur, mit dem gemeinsamen Territorium, wenn auch noch ohne fest umrissener Grenzen, mit der sich bildenden gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit und der Macht des Fürsten hat sich das Christentum als eine mächtige geistig einigende Kraft erwiesen, die es ermöglichte, unterschiedliche Stämme und Stammesverbände der großen ostslawischen Welt in die Ethnogenese einer einheitlichen russischen Nation einzubeziehen und eine gemeinsame Staatlichkeit zu formen. Auf dieser spirituellen Grundlage haben sich unsere Vorfahren erstmals und für immer als ein einheitliches Volk begriffen. Dadurch können wir sagen, dass die Krim, das alte Chersones, Sewastopol, eine riesige zivilisatorische und sakrale Bedeutung für Russland haben. Genau wie der Tempelberg in Jerusalem für Moslems und Juden. Und genau so werden wir das künftig immer sehen.

Geehrte Freunde! Heute kommen wir natürlich nicht an der Erwähnung und der Beurteilung der Ereignisse in der Ukraine vorbei und wie wir unsere Beziehungen mit Partnern in der ganzen Welt entwickeln werden.

Es ist gut bekannt, dass Russland die Ukraine und andere Bruderrepubliken der ex-UdSSR bei ihrem Streben nach Souveränität nicht nur moralisch unterstützte, sondern bei diesem Prozess Anfang der 1990er Jahre in bedeutedem Maße half. Seitdem hat sich an unserer Position nichts verändert. Jedes Volk hat sein unveräußerliches souveränes Recht auf einen eigenen Entwicklungsweg, auf die Wahl von Verbündeten, der Form der politischen Organisation der Gesellschaft, des Aufbaus der Wirtschaft und der Gewährleistung seiner Sicherheit. Russland respektiert dies und wird dies stets respektieren. Dies bezieht sich in vollem Maße auch auf die Ukraine und das brüderliche ukrainische Volk.

Ja, wir haben den Staatsstreich verurteilt, die gewaltsame Machtergreifung in Kiew im Februar dieses Jahres. Und das, was wir heute in der Ukraine sehen, die Tragödie im Südosten, bestätigt die Richtigkeit unserer Position völlig.

Womit hat alles angefangen? Ich muss heute nochmals daran erinnern. Man kann es schwer glauben, womit alles angefangen hat - mit der im Grunde technischen Entscheidung von Präsident Janukowitsch, die Unterzeichnung des Assoziationsvertrages der Ukraine mit der Europäischen Union zu verschieben. Ich erinnere daran, es ging nicht um die Ablehnung dieses Dokuments, sondern nur um die Verlegung des Zeitpunkts der Unterzeichnung mit dem Ziel, es nachzubearbeiten. Das wurde in völliger Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Kompetenzen des absolut legitimen und international anerkannten Staatsoberhaupts getan.

Wie kann man in diesem Zusammenhang die bewaffnete Machtergreifung, die Gewalt und die Morde unterstützen? Was wiegen allein schon die blutigen Ereignisse von Odessa, wo Menschen lebendig verbrannt wurden. Wie kann man die anschließenden Versuche unterstützen, mihilfe von Streitkräften die Einwohner des Südostens niederzuringen, die mit dieser Willkür nicht einverstanden waren? All das wird begleitet von heuchlerischer Rhetorik über internationales Recht und Menschenrechte. Das ist reiner Zynismus. Ich bin überzeugt, dass das Volk der Ukraine selbst diesen Ereignissen eine gerechte Beurteilung geben wird.

Und wie hat sich von Anfang an unser Dialog mit amerikanischen und europäischen Partnern zu diesem Thema entwickelt? Ich habe nicht zufällig die amerikanischen Freunde  erwähnt, denn die beeinflussen stets die Beziehungen zu unseren Nachbarn, offen oder verdeckt. Manchmal ist sogar nicht klar, mit wem es sich eher lohnt, zu verhandeln: mit Regierungen mancher Staaten oder direkt mit ihren amerikanischen Förderern und Sponsoren. Im Falle des Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU gab es überhaupt keinen Dialog, davon habe ich bereits gesprochen. Man hat uns gesagt, dass das uns nichts angeht. Alle Argumente, dass Russland und die Ukraine Mitglieder der GUS-Freihandelszone sind, dass wir eine historisch gewachsene enge Kooperation in Industrie und Landwirtschaft haben und de facto Teil einer einheitlichen Infrastruktur sind, all das wollte man weder sehen noch hören. Dann haben wir gesagt: gut, wenn ihr mit uns keinen Dialog führen wollt, dann werden wir gezwungen sein, unsere legitimen Interessen einseitig zu schützen und werden nicht für die aus unserer Sicht fehlerhafte Politik zahlen.

Das Resultat: der Vertrag zwischen der Ukraine und der Europäischen Union wurde unterzeichnet und ratifiziert, doch die Anwendung seines Wirtschaftsteils wurde auf das Ende des nächsten Jahres verschoben. Bedeutet das, das wir prinzipiell Recht hatten?

Man fragt sich: wofür wurde das alles getan in der Ukraine? Wofür wurde dieser Staatsstreich vollzogen? Zu welchem Zweck wurden und werden weiterhin Menschen umgebracht? Im Grunde hat man die Wirtschaft, die Finanzen, den sozialen Bereich zerstört und das Land ruiniert.

Heute braucht man keine Demagogie, keine lautstarken und leeren Versprechen, sondern es braucht Hilfe für die Ukraine, selbstverständlich für Reformen. Doch ich sehe nicht, dass unsere westlichen Kollegen darauf brennen, das zu tun, oder dass die Machthaber in Kiew die Probleme der eigenen Bürger lösen wollen.

Apropos, Russland hat bereits einen immensen Beitrag zur Unterstützung der Ukraine geleistet. Hier sei noch einmal gesagt, dass unsere Banken zuletzt ca. 25 Milliarden US-Dollar in die Ukraine investiert haben. Das Finanzministerium Russlands hat im letzten Jahr einen Kredit über 3 Milliarden Dollar vergeben. Gazprom hat die Wirtschaft der Ukraine mit weiteren 5,5 Milliarden Dollar kreditiert, selbst unter Abzug des Rabatts, den niemanden versprochen hatte, sind das 4,5 Milliarden Dollar. Rechnen Sie nach, wie viel das in der Summe ausmacht. Das sind 32,5-33,5 Milliarden Dollar allein in der jüngsten Zeit.

Natürlich haben wir das Recht zu fragen: wofür hat sich die Tragödie in der Ukraine zugetragen? Konnte man die bestehenden Fragen, auch strittige Fragen, nicht im Verlauf eines Dialogs und im Rahmen des Rechts und der legitimen Prozesse lösen?

Heute wird versucht, uns mit aller Kraft weiszumachen, dass genau das, was passiert ist, die richtige und ausgewogene Politik ist, der wir uns gedankenlos und blind unterzuordnen haben.

Das wird nicht geschehen.

Wenn für einige europäische Staaten der Nationalstolz ein längst vergessener Begriff ist und die Souveränität ein zu großer Luxus, so ist für Russland die reale staatliche Souveränität eine absolut unumgängliche Bedinung seiner Existenz.

Vor allem muss das für uns selbst offensichtlich sein. Ich möchte unterstreichen: entweder werden wir souverän sein oder wir werden uns in dieser Welt verlieren und auflösen. Und das müssen natürlich auch andere Mächte verstehen, alle Teilnehmer der internationalen Politik. Und dabei die Rolle und die Bedeutung des internationalen Rechts, über das so viel in letzter Zeit geredet wird, stärken, anstatt seine Normen im Widerspruch zu den Basisprinzipien und dem gesunden Menschenverstand den konjunkturellen Interessen von irgendjemand anzupassen. Man sollte alle anderen Menschen nicht für Ungebildete halten, die nicht lesen und schreiben können.

Man muss die legitimen Interessen aller Teilnehmer des internationalen Lebens mit Respekt behandeln. Nur in diesem Fall kann die Welt verlässlich vor blutigen Konflikten geschützt werden, nicht durch Kanonen, Raketen und Kampfjets, sondern durch die Normen des Rechts. Dann wird es nicht nötig sein, jemandem, indem man sich selbst belügt, mit imaginärer Isolation zu drohen. Oder mit Sanktionen, die zwar Schaden anrichten, aber allen, darunter auch ihren eigenen Initiatoren.

Übrigens, zu den Sanktionen. Das ist nicht bloß eine nervöse Reaktion der USA und ihrer Verbündeten auf unsere Position im Zusammenhang mit den Eregnissen und den Staatsstreich in der Ukraine oder mit dem sogenannten "Krim-Frühling". Ich bin überzeugt, dass auch ohne all dies ein Vorwand gefunden worden wäre, um die wachsenden Möglichkeiten Russlands einzudämmen, es zu schwächen oder noch besser in den eigenen Interessen zu nutzen.

Diese Eindämmungspolitik wurde nicht erst gestern erfunden. Sie wird gegen unser Land bereits viele Jahre betrieben, man kann sogar sagen Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Kurzum, jedes Mal, wenn jemand denkt, dass Russland zu stark und zu selbstständig geworden ist, werden diese Instrumente unverzüglich eingesetzt.

Allerdings ist es zwecklos, mit Russland aus einer Position der Stärke zu sprechen. Selbst wenn Russland mit inneren Schwierigkeiten konfrontiert ist, wie es in den Neunzigern oder Anfang der 2000er Jahre war.

Wir erinnern uns gut, wer damals so gut wie offen den Separatismus und sogar direkten Terror bei uns unterstützt hat, wer Mörder, deren Hände voller Blut waren, nur als Rebellen bezeichnete und sie auf höchster Ebene empfing. Gestern haben sich diese "Rebellen" schon wieder in Tschetschenien gezeigt. Ich bin überzeugt, dass die lokalen Kräfte und Sicherheitsorgane diese Situation würdig meistern. Sie arbeiten heute an der Liquidierung der neuen Terroraktion. Lasst uns sie unterstützen!

Doch ich werde es noch einmal sagen: wir erinnern uns, wie Terroristen auf höchstem Niveau als Kämpfer für Freiheit und Demokratie empfangen wurden. Schon damals wurde klar, dass je mehr wir zurückweichen und uns rechtfertigen, desto größer wird die Arroganz unserer Opponenten und desto aggressiver und zynischer verhalten sie sich.

Trotz unserer damals beispiellosen Offenheit und der Kooperationsbereitschaft in vielen strittigen Fragen, trotz unserer Betrachtung der ehemaligen Gegner als enge Freunde und fast Verbündete, setzte sich die Unterstützung des Separatismus in Russland aus dem Ausland fort: informationstechnisch, politisch, finanziell, geheimdienstlich. Es war absolut offensichtlich und unzweifelhaft, dass man uns allzu gern zu einem Jugoslawien-Szenario drängen wollte, zu Zerfall und Zerstückelung. Mit allen tragischen Konsequenzen für die Völker Russlands. Das ist nicht gelungen. Wir haben das nicht zugelassen.

Genauso wie es Hitler nicht gelungen ist, der mit seinen menschenverachtenden Ideen Russland zerstören und hinter den Ural drängen wollte. Alle sollten im Gedächtnis halten, wie so etwas endet.

Im nächsten Jahr werden wir den 70en Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg begehen. Unsere Armee besiegte den Feind und befreite Europa. Doch auch die schweren Niederlagen der Jahre 1941 und 1942 dürfen wir nicht vergessen, um diese Fehler künftig nicht mehr zuzulassen.

In diesem Zusammenhang werde ich Fragen aus dem Bereich der internationalen Sicherheit anreißen. Es gibt viele davon. Dazu zählt der Kampf gegen den Terrorismus, den es weiterhin gibt und wir werden an der gemeinsamen internationalen Arbeit im Kampf gegen den Terrorismus teilnehmen. Natürlich werden wir auch gegen anderen Probleme kämpfen, wie etwa die Ausbreitung der Infektionskrankheiten.

Doch in diesem Fall möchte ich über die sensibelste und ernsthafteste Frage der globalen Sicherheit sprechen. Seit dem Jahr 2002, nach der einseitigen amerikanischen Kündigung des ABM-Vertrags, der einen Eckstein der lobalen Sicherheit, des strategischen Gleichgewichts und der Stabilität darstellte, wird hartnäckig an der Schaffung des globalen Raketenabwehrsystems der USA gearbeitet, auch in Europa. Das ist nicht nur eine Bedrohung für die Sicherheit Russlands, sondern für die gesamte Welt, da dies das strategische Gleichgewicht der Kräfte stören kann.

Ich denke, dass das auch für die USA selbst schädlich ist, denn das erzeugt eine gefährliche Illusion der eigenen Unverwundbarkeit, sträkt die Neigung zu einseitigen und oft, wie wir sehen, undurchdachten Entscheidungen und zusätzlichen Risiken.

Wir haben viel davon gesprochen, ich werde hier nicht ins Detail gehen. Ich sage nur eines, vielleich werde ich mich wiederholen: wir haben nicht vor, uns in einen kostspieligen Rüstungswettlauf hineinziehen zu lassen, aber wir werden zuverlässig und garantiert die Wehrfähigkeit unseres Landes unter den neuen Bedinungen gewährleisten. Daran bestehen keine Zweifel, das wird gemacht. Russland hat dafür Möglichkeiten und asymmetrische Lösungen.

Es wird niemandem gelingen, militärische Überlegenheit gegenüber Russland zu erlangen. Unsere Armee ist modern und kampffähig. Wie man heute sagt, höflich, aber abschreckend. Für die Verteidigung unserer Freiheit werden wir genug Kraft, Willensstärke und Mut haben.

Wir werden die Vielfalt der Welt verteidigen. Wir werden den Menschen im Ausland die Wahrheit vermitteln. Damit alle das richtige und authentische Bild von Russland sehen, anstelle des verzerrten und des gefälschten. Wir werden aktiv geschäftliche und humanitäre Kontakte pflegen, unsere Beziehungen in den Bereichen Wissenschaft, Buldung und Kultur voranbringen. Und wir werden das auch unter Bedinungen tun, wenn die Regierungen einiger Länder versuchen, rund um Russland fast schon einen neuen eisernen Vorhang zu errichten. Wir werden nie den Weg der Selbstisolation, der Fremdenfeindlichkeit, der Paranoia und der Suche nach Feinden gehen.

All das sind Symptome der Schwäche, doch wir sind stark und selbstbewusst.

Unser Ziel ist es, möglichst viele gleichberechtigte Partner im Ost und West zu haben. Wir werden unsere Präsenz in jenen Regionen ausbauen, wo heute Integrationsprozesse von statten gehen, wo man Politik und Wirtschaft nicht vermengt und wo stattdessen Barrieren für Handel, für Austausch von Technologien und Investitionen sowie für Reisefreiheit abgebaut werden.

Unter keinen Umständen werden wir unsere Beziehungen zu Europa und Amerika einmotten. Dabei werden wir unsere traditionellen Verbindungen mit Südamerika wiederherstellen und ausbauen. Wir werden weiterhin mit Afrika und Nahost kooperieren.

Wir sehen, wie schnell in den letzten Dekaden der asiatisch-pazifische Raum voranschreitet. Als eine pazifische Macht wird Russland dieses riesige Potenzial allseitig nutzen.

Die Anführer und die Lokomotiven des globalen Wirtschaftswachsums sind gut bekannt. Darunter befinden sich viele aufrichtige Freunde und strategische Partner Russlands.

Ab 1. Januar 2015 wird die Eurasische Wirtschaftsunion ihre Arbeit im vollen Umfang aufnehmen. Worin bestehen ihre Basisprinzipien? Ich werden daran erinnern. Das sind in erster Linie Gleichberechtigung, Pragmatismus und gegenseitiger Respekt. Das ist die Erhaltung der nationalen Identität und der staatlichen Souveränität für alle Teilnehmerländer. Ich bin überzeugt, dass die enge Kooperation zu einer mächtigen Quelle der Entwicklung für alle Teilnehmer der Euraischen Union wird.

Und zum Abschluss dieses Teils meiner Rede sage ich es noch einmal: die gesunde Familie und die gesunde Nation, die uns von den Vorfahren vererbten traditionellen Werte in Kombination mit dem Blick in die Zukunft, die Stabilität als Bedingung für Entwicklung und Fortschritt, der Respekt gegenüber anderen Völkern und Staaten unter garantierter Sicherheit Russland und dem Schutz seiner legitimer Interessen, all das sind unsere Prioritäten.

Quelle: http://kremlin.ru/news/47173

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