Sonntag, 27. Januar 2008

Wo die EU versagt

Der Januar kennzeichnete auf dem energiepolitischen Schachbrett Europas eine weitere Machtverschiebung zugunsten Russlands. Schon im Dezember gelang es dem russischen Präsidenten Putin, Russland das Transitmonopol für zentralasiatisches Gas aus Turkmenistan und Kasachstan zu sichern. Die beiden erdgasreichen Staaten wollen große Mengen ihres Gases über die auszubauende Pipeline entlang des Nordufers des Kaspischen Meeres nach Russland liefern. Damit sind die Chancen für eine transkaspische Pipeline auf dem Grund des großen Binnengewässers deutlich geringer geworden, womit das europäische Pipeline-Projekt "Nabucco" vor ernsthafte Auslastungsprobleme gestellt wurde. "Nabucco" ist eine Folge der aufgebauschten Hysterie durch den russisch-ukrainischen Gasstreit 2005, in dem viele Europäer einen Beweis für den "Einsatz der Energiewaffe" seitens Russland sahen. Mit ihm sollte zentralasiatisches Gas unter Umgehung Russlands nach Europa gebracht werden. Doch nun ist es mehr als fraglich, ob in Zentralasien überhaupt noch genug Gas für "Nabucco" übrig bleibt, um die immensen Investitionskosten für eine transkaspische Unterwasser-Pipeline zu rechtfertigen. Aserbaidschan hat alleine keine ausreichenden Kapazitäten, um Nabucco auszulasten. Eine Lösung wäre hier iranisches Erdgas, doch Merkel und Co. haben zu große Angst, ihren amerikanischen Lehnsherren durch die Einbeziehung Irans zu verärgern. Der einzige übrigbleibende Lieferant, der die Wirtschaftlichkeit "Nabuccos" noch retten könnte, wäre die russische Gazprom, doch das würde ja die hehren Ziele einer "Befreiung von der Russland-Abhängigkeit" konterkarieren.

Im Januar kam es dann Schlag auf Schlag: Für sein Konkurrenz-Projekt "South Stream", das zusammen mit Italien gebaut werden und zur Umgehung der unsicheren Ukraine und der Türkei auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlaufen soll, konnte Russland Bulgarien an seine Seite ziehen und sich darüberhinaus Eigentumsrechte am bulgarischen Streckenabschnitt sichern. Beim Besuch Vladimir Putins bei seinem bulgarischen Kollegen Georgi Parvanov in Sofia zum 130-jährigen Jubiläum der russischen Befreiung Bulgariens von den Türken, wurde dieses Vorhaben zementiert. Zeitgleich wurde die Ölpipeline Burgas-Alexandroupolis endgültig besiegelt, die den Bosporus und die Türkei umgehen soll und vom Schwarzen Meer zur griechischen Ägäis-Küste verlaufen wird. Auch an ihr wird Russland die mehrheitlichen Eigentumsrechte haben. Zusätzlich erhielt die russische Atombranche den Zuschlag für die Errichtung des bulgarischen AKW Belene.

Die Verläufe der wichtigsten russisch-europäischen Erdgaspipelines

Wenige Tage später gelang Russland ein ähnlicher Durchbruch in Serbien. In einem umfangreichen Geschäft wurde Serbien als ein weiteres Transitland für "South Stream" gewonnen. Gleichzeitig konnte Russland 51% am NIS (Naftna Industija Srbije) erwerben, dem größten serbischen Energieuternehmen. Serbien wird dafür zahlreiche Investitionen sowie Durchleitungsgebühren erhalten. Später kann es zum energetischen Verteilknotenpunkt auf dem Balkan ausgebaut werden. Viele Beobachter werteten diese schnelle Konkretisierung russischer Pläne als den endgültigen Todesstoß für das nebulöse "Nabucco", das seit Jahren nicht vorankommt.

Das europäische Bestreben, Russland zu umgehen, ist damit so gut wie gescheitert. Zwar sollten die Europäer Russland ohnehin nicht als Gegner betrachten, sondern eher froh sein, dass eine zuverlässige Quelle vorhanden ist, die ihren wachsenden Enegiebedarf decken kann. Dennoch offenbart dies alles, wie ineffektiv eine zwischen unterschiedlichsten nationalen Interessen zerrissene Institution wie die EU gegenüber einem konsolidierten Machtzentrum wie Russland auftreten kann. Immer eindeutiger zeigt sich, dass einzelne Länder (hier: Italien, Bulgarien) die erklärten EU-Ziele unterlaufen, wenn sie aus bilateralen Abmachungen einen größeren Nutzen für sich ziehen können. Dies ist ein strukturelles Problem, das kaum zu lösen ist, es sei denn mit drakonischer Disziplin, die die EU nicht gerade beliebter machen würde und ohnedies kaum duchsetzbar ist. Vielmehr sollten einzelne Länder die Realität anerkennen und außenpolitisch nicht so viel Zeit mit abstraken EU-Luftschlössern verschwenden. Will man gegenüber seinen schneller schaltenderen Nachbarn nicht ins Hintertreffen geraten, sollte man schon früh auf bilaterale Politik setzen. Das ist etwas, was schon Gerhard Schöder mit der Ostsee-Pipeline erkannte und was dem Hirn der miserablen Außenpolitikerin Angela Merkel bis heute verborgen bleibt. Zum Schaden der deutschen Interessen, denn die beschriebene Situation lässt sich auf viele andere Bereiche übertragen.


Lesenswert auch: Merkels Gas-Trauma von Spiegelfechter

Freitag, 18. Januar 2008

Was ist dran an der "Vergewaltiger-Horde"?

Die Rote Armee. Welche Assoziationen werden vielen Menschen in Deutschland wohl spontan in den Sinn kommen? Nach Jahrzehnten medialer Bearbeitung werden unter ihnen wohl primär Vergewaltigungen sein. Die böse Rote Armee, die wie keine zweite Frauen schändete, was ein Markenzeichen der russischen Barbarei war. Die Kultivierung dieses Bildes, das zunächst von der Wochenschau der Nazis ganz im Sinne ihrer Rassenideologie propagiert wurde, wurde im Kalten Krieg mit Enthusiasmus von den konservativen Kreisen der BRD und den Amerikanern aufgegriffen und zur regelrechten Orgie hochstilisiert.

Der britische Historiker Antony Beevor beziffert die Opfer sowjetischer Vergewaltigungen in seinem Buch "Berlin:The Downfall 1945" auf mindestens 2.000.000 (später erhöhte er sie mit dem Ausspruch "jede Frau von acht bis achtzig"). Die Zahl eroberte mit Leichtigkeit viele glaubensbereite Hirne und ist heute vielen ein Begriff. Dabei beruft sich der Historiker, der in seinem Buch öfters durch das Nacherzählen anonymer Gerüchte wissenschaftlich sündigt, auf "einen Doktor", der etwas geschätzt haben soll und die Angaben zweier nicht näher genannter Berliner Krankenhäuser (Kapitel 27, Vae Victis). Ihre Berlin betreffenden Schätzungen projeziert Beevor auf die Gesamtbevölkerung der von den Sowjets besetzten Reichsgebiete und erhält so seine Zahl. Nicht sehr wissenschaftlich, aber solange es keinen stört..

Stören tut diese Methodik in der Tat sehr wenige. Wer will denn schon protestieren, wenn ihm ein willkommenes rhetorisches Geschenk gereicht wird? Den Angelsachsen nützt es, um sich als die "edlen" Sieger von den "barbarischen" Siegern abzuheben. Und das, obwohl die Sowjets das von militärischen Zielen längst abgekoppelte Bombardieren der Zivilbevölkerung wie in Dresden kaum je praktizierten. Das Ganze passt auch in die seit Längerem verfolgte Strategie, die Geschichte dahingehend umzuschreiben, dass die westlichen Allierten als die wichtigsten Sieger empfunden werden. Gleichzeitig gebrauchen die revanchistischen Elemente in Deutschland die ständige (Über-)Betonung der Verbrechen der Roten Armee, um die historische Schuld Deutschlands in der Sowjetunion zu relativieren. Bei der ständigen gebetsmühlenartigen Fixierung auf die immer gleichen Themen (Vertreibung, Vergewaltigungen, alliierte Bomben, deutsche Kriegsgefangene in der SU) erzeugen sogar die Öffentlich-Rechtlichen seit Längeren ein schiefes Bild der historischen Proportionen des Leids, zumal von den Verbrechen an weitaus mehr Menschen in der Sowjetunion kaum die Rede ist und kein Guido Knopp dies ähnlich penibel analysieren will.

Vergewaltigungen hat es durch die Rote Armee zweifellos gegeben und sicherlich mussten Zehn- oder gar Hunderttausende Frauen in den Frühlingsmonaten 1945 diese Erniedrigungen und Gewalt über sich ergehen lassen. Wie alle unschuldigen Opfer des Zweiten Weltkrieges sind diese Frauen zu bemitleiden und die brutalen Verbrechen gegen sie zu verurteilen. Was jedoch an der ganzen Sache stört, ist neben der Zweifelhaftigkeit der genannten Proportionen auch die Erweckung des Eindrucks einer Exklusivität des Vorgehens der Sowjets, als wenn außer ihnen niemand so etwas machte. Die Propaganda-Bilder von den "disziplinierten" deutschen Soldaten sind eben doch nicht ganz spurlos verschwunden. Nur wenige sind bereit, das Hirn einzuschalten und zu überlegen, ob es denn realistisch war, dass mehrere Millionen deutsche Soldaten drei Jahre lang (!) ihren sexuellen Trieb einfach durch die Rippen schwitzten und das in der Atmosphäre völliger Straflosigkeit in einem Vernichtungskrieg.

Über 14 Millionen sowjetische Zivilisten sind während der deutschen Besatzung ums Leben gekommen. Wenn heute von den deutschen Vergewaltigungen von sowjetischen Frauen weniger bekannt ist, dann zum einen, weil die Frauen anschließend vielfach einfach getötet wurden, was damals überhaupt keine Konsequenzen hatte. Darüberhinaus wurden solche Vorfälle - anders als im Westen - nicht von der offiziellen sowjetischen Propaganda aufgegriffen, da zur Dämonisierung der Deutschen bereits mehr als genug anderer Aspekte vorhanden waren und man nicht zwingend auch diese, in der Sowjetkultur stark tabuisierten, Bereiche aufgreifen musste.

Wer an die "Zivilisiertheit" der deutschen Soldaten in der Sowjetunion glaubt, der sollte sich fragen, wie denn die monströsen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung dort im Einzelnen zustande kamen. Im Gegensatz zu den wachsweichen Ausführungen von Beevor ist eindeutig belegt, dass allein in Weißrussland im Zuge der Partisanenbekämpfung 628 Dörfer samt allen Bewohnern niedergebrannt wurden, in über 4000 Dörfern wurden Teile der Bewohner massakriert... Nicht zufällig befürchteten die Nazis eine riesige Rachewelle beim sowjetischen Vormarsch, die dann aber doch weitgehend unter den Erwartungen blieb.

Obwohl die hohen Opferzahlen in der Sowjetunion im Westen bekannt sind, macht sich dennoch kaum jemand die Mühe, das Ganze genauer unter die Lupe zu nehmen. Für die einen ist das zum Fürchten unbequem, für die anderen einfach unzweckmäßig. Es sei erlaubt, einen Ausschnitt aus dem Film Geh und Sieh des sowjetischen Regisseurs Elem Klimov über die dokumentierte und belegbare "Normalität" in Weißrussland im Jahr 1943 unten einzubinden. Dies soll niemandem Schuldgefühle einreden, sondern nur dazu anstoßen, abstrahiert von eingetrichterten Vorstellungen einfach mal realistisch nachzudenken, ob denn jene "zivilisierte" Soldaten, die so etwas massenhaft machten, nicht auch zu Taten wie Vergewaltigungen fähig waren...

Die Greueltaten der einen sind mit den Greueltaten der anderen nicht zu rechtfertigen. Allerdings ist wichtig, dass der Gesamtzusammenhang und der Zeitgeist jener brutalen Zeit deutlich wird. Und dass niemand mehr, wenn er ein Gewissen hat, von der Exklusivität der sowjetischen Vergewaltigungen spricht.

Achtung!: exzessive Gewaltdarstellungen

Donnerstag, 3. Januar 2008

Jahresrückblick 2007: Russland im Aufwind

Wie war das Jahr 2007 für Russland? Was wurde in diesem Jahr in Russland geleistet? Was waren die wesentlichen Ereignisse, die in Erinnerung bleiben werden?

Wirtschaftlich gesehen war es für Russland ein weiteres erfolgreiches Jahr. Mit einem Wachstum von 8,1% und zweistellig gestiegenen Reallöhnen konnte sich die russische Wirtschaft weiter festigen. Ebenso stark gestiegen sind die Investitionen und der Kapitalzufluss nach Russland. Ein Wermutstropfen dabei: die Inflation hat wieder angezogen und lag mit 12% relativ hoch. Insgesamt konnte sich das Land jedoch stabil entwickeln, was in der bewegten russischen Geschichte nicht allzu oft der Fall war.

Die positiven ökonomischen Trends scheinen sich auch auf anderen Feldern auszuwirken. Die Geburten- und die Sterberate haben sich wieder merklich angenähert, so dass der jährliche russische Bevölkerungsschwund um ca. 30% zurückgegangen ist. Eine Rolle mag dabei auch die neue üppige finanzielle Unterstützung des Staates für Familien, die sich für Kinder entscheiden, gespielt haben.

Innenpolitisch ist zunächst einmal das Bekanntwerden des wahrscheinlichen Putin-Nachfolgers Medvedev zu nennen. Die wichtigste Erkenntnis ist dabei, dass der bisherige Kurs fortgeführt wird. Die befürchteten Machtkämpfe bleiben zunächst aus. Die Unterstützung für die herrschenden Eliten erwies sich nicht zuletzt bei den Parlamentswahlen als stabil. Der Westen schaute rat- und machtlos zu.

Außenpolitisch kennzeichnete das vergangene Jahr gewissermaßen eine Wende im russisch-westlichen Verhältnis, wofür die Rede Vladimir Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar gewissermaßen ein Meilenstein war. Hier hat Russland am Lautesten zu verstehen gegeben, dass es die bisherige westliche Politik des Zurückdrängens nicht mehr stillschweigend zu dulden bereit ist. Der Westen wurde seit langem wieder mit Kritik durch eine außenstehende Macht konfrontiert, was für ca. 20 Jahre niemand mehr auf der internationalen Bühne ernsthaft zu tun wagte. Dies beschleunigte ein bislang immer noch nicht abgeschlossenes Umdenken in der Wahrnehmung Russlands, das weder Freund noch Feind, sondern einfach nur selbstbewusst und unabhängig geworden ist.

Mehrere im vergangenen Jahr unterzeichnete Pipeline-Projekte im Kaspischen Raum und auf dem Balkan stärkten die strategische Position Russlands gegenüber Mitbewerbern. Auf dem Balkan und im Nahen Osten registrierten die Medien eine zunehmende "Rückkehr Russlands" als einen der maßgeblichen regionalen Akteure. Erfolgreich verlief das Jahr für die russische Rüstungsindustrie, die mit 7,8 Milliarden US-Dollar einen neuen Export-Rekord aufstellte. Nach großen konsolidierenden Reformen und den erfolgten finanziellen Spritzen könnte jetzt auch die zivile Luftfahrt sowie der Schiffsbau zu neuem Leben erwachen.

Zu den Höhepunkten des Jahres gehörten die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2014 nach Soči, die arktische Expedition zum Nordpol und die Qualifikation für die Fußball-EM, nicht zuletzt dank eines Willenssieges über England, das nun zuhause bleibt. Von richtigen Tiefpunkten wie Terroranschlägen, Naturkatastrophen oder rufschädigenden Morden blieb das Land 2007 verschont, was ebenfalls sehr viel wert und nicht selbstverständlich ist. In Erinnerung bleiben wird der Konflikt mit Estland rund um die Entweihung von Soldatengräbern und die diplomatische Krise mit Großbritannien.

Zu den prominenten Personen, die die russische Gesellschaft im Jahr 2007 verloren hat, gehörten der Cellist Mstislav Rostropovič, die Schauspieler Kirill Lavrov und Michail Uljanov, der Komponist Tichon Chrennikov und der erste Präsident Russlands Boris Jelzin.

* Auf dem Bild: Roman Pavljučenko nach dem entscheidenden 2:1 gegen England