Samstag, 15. Dezember 2007

Ein Gesäß für zwei Stühle

Vor wenigen Wochen besuchte der orangefarbene ukrainische Präsident Juschtschenko Israel und bemühte sich dort, den bizarren Eindruck zu relativieren, den seine unbeirrbare Politik der Heroisierung ehemaliger Nazi-Helfer in der Ukraine aufkommen lässt. In den letzten Jahren hatte Juschtschenko konsequent darauf hingearbeitet, die Kämpfer der nationalistischen UPA zu rehabilitieren und verlieh ihren Veteranen staatliche Ehrungen und Privilegien. Posthum verlieh er 2007 unter anderem Roman Schuchewytsch, einem Anführer der Wehrmachts-Legion "Nachtigall", die laut Simon Wiesenthal Center 1941 an den Ermordungen Zehntausender Juden in der Westukraine teilnahm, den Titel "Held der Ukraine", die höchste Auszeichnung des Landes. Viele UPA-Kämpfer wurden als Kollaborateure und Polizeitruppen der Nazis bei Massenhinrichtungen in der ganzen Ukraine, unter anderem auch beim Massaker von Babi Jar, eingesetzt. Weil sie jedoch gegen die Rote Armee kämpften, werden sie vom Umfeld Juschtschenkos heute als Helden hochgehalten. Kein Wunder, denn der Hauptteil seines zahlenmäßig nur noch bescheidenen Wählerstamms liegt in der nationalistisch geprägten Westukraine.

Parallel zu all diesem Treiben reiste Juschtschenko also nach Israel, um mit trauernder Miene die Holocaust-Gedenkstätte Jad Waschem zu besuchen und sich an der Klagemauer in Jerusalem fotografieren zu lassen. Wer hier nur notwendige Show vermutet, liegt richtig. Denn der eigentliche Zweck seiner Reise lag darin, die Juden als Verbündete in seinem Bestreben zu gewinnen, die Hungersnot in der Ukraine im Jahr 1933 (auch Holodomor genannt) weltweit in den Rang eines Genozids zu erheben. Derartige nationale Märtyrermythen braucht Juschtschenko aus dem oben genannten Grund innenpolitisch.

Doch die Israelis denken nicht daran, andere Tragödien auf die gleichen Stufe mit dem Holocaust zu stellen. Dessen Singularität soll unangetastet bleiben und in diesem Fall wohl auch zurecht. Denn der Holodomor, den Juschtschenko heute für seinen prowestlichen und antirussischen Kurs de-facto als russisches Verbrechen instrumentalisieren will, besitzt (obwohl zweifellos eine immense humanitäre Katastrophe) überhaupt keine Merkmale eines Genozids eines bestimmten Volkes an einem anderen. Die Hungersnot im Jahr 1933 fand in vielen Teilen der Sowjetunion statt, darunter auch in Südrussland, im Wolga-Gebiet und in Kasachstan, was die fehlende national-ethnische Motivation belegt. Diese Tragödie hatte nichts mit dem "Kampf zweier Völker" zu tun, sondern wurde von einer engen Clique im Kreml, die meistens aus unterschiedlichsten Ethnien zusammengesetzt war, angeordnet und von lokalen ukrainischen Kommunisten ausgeführt. Außer dem geographischen Sitz der stalinistischen Führungsclique in Moskau hat der Holodomor in der Ukraine mit Russland und seinen Bewohnern nichts zu tun, außer dass sie selbst auch betroffen waren.

Auf der krampfhaften Suche nach einer eigenen historischen Identität, die sich unbedingt von der russischen abheben soll, ist das Fälschen der Geschichte für Juschtschenko auch an anderen Stellen ein beliebtes Mittel. Im Jahr 2009 jährt sich zum 300-ten Mal die berühmteste Schlacht des Großen Nordischen Krieges, die Schlacht von Poltava. In ihr besiegte der russische Zar Peter der Große entscheidend die schwedische Armee unter König Karl XII., der auf die Einladung des übergelaufenen ukrainischen Kosakenhetmans Maseppa hin in die Ukraine vorrückte. Die meisten Kosaken blieben indes Russland treu und verließen Maseppa, so dass dieser Karl dem XII. nur drei bis vier Tausend Kämpfer an die Seite stellen konnte. Die meisten Ukrainer kämpften unter Hetman Skoropadski auf Seiten der Russen. Doch weder diese Tatsache, noch die schmachvoll verlorene Schlacht kümmert den Nationalisten Juschtschenko allzu sehr. Auf seine Anordnungen hin, werden nach Maseppa und Karl XII. in den ukrainischen Städten Straßen umbenannt, während der Schwedenkönig bald in einer Reihe mit Nazi-Schergen als "Held der Ukraine" stehen soll. Die Absurdität hat noch ihre Steigerung: auf dem Feld der vernichtenden Niederlage soll ihm ein Denkmal eröffnet werden und das kurzfristige "ukrainisch-schwedische Bündnis" als frühe Etappe der "europäischen Integration" gelobt werden (Originalton Juschtschenko).

Derartige Schleimer und Heuchler spülen also die von den Amerikanern finanzierten bunten Revolutionen an die Macht. Die Europäer freuten sich zunächst wie Kinder über die "demokratischen" Umbrüche in der Ukraine, doch über fast alles Peinliche, was seitdem geschieht, schweigt sich die sogenannte freie Presse kleinlaut aus. Sie weiß warum.

Montag, 10. Dezember 2007

And the President is...

Mehrere Jahre lang schien für viele die Frage, wer Putin als Präsident Russlands beerben wird, als eine der spannendsten Fragen der russischen Politik überhaupt. Heute ist sie wohl gelöst worden und zwar so unspektakulär und deeskalierend, wie kaum jemand angesichts ihrer dauerhaften Brisanz vermutet hätte. Auch dies dürfte bis auf weiteres der Haben-Seite von Putin angerechnet werden, nennt er doch die Stabilität und die Bewahrung des Landes vor Erschütterungen als wichtige Ziele seiner Präsidentschaft. Der Machtwechsel im Kreml galt vielen als kritisches Moment und heute ist der erste Stein für seinen entschärften und ausgeglichenen Verlauf gelegt worden.

Der Vize-Premier und Gazprom-Aufsichtsratvorsitzende Dmitri Medvedev ist, so scheint es, eine Person, mit der letztlich alle leben können. Für die Mehrheit der Russen ist er der Fortsetzer des stetigen Aufbaukurses von Putin und auch der geschätzte "nationale Führer" wird dabei wohl irgendwo in der Nähe bleiben sowie angesichts der vermeintlichen charakterlichen Milde von Medvedev seinen Beitrag in die Tagespolitik einfließen lassen können. Zudem steht Medvedev aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit für die sozialen Seiten des Staates.

Für die verschiedenen Spektren und Gruppierungen im Kreml ist Medvedev ebenfalls eine akzeptable Kompromissfigur. Auf eine bemerkenswerte Weise ist er liberal genug für Liberale und konservativ genug für Konservative. Damit könnte Russland der Bulldoggenkampf unter dem Teppich wahrscheinlich erspart bleiben.

Für die radikale Opposition um Kasparov wird Medvedev zwar ein "Mann des Regimes" sein, doch wird ihr die Mobilisierung des ohnehin kleinen Rebellenkontingents sowie seine Dämonisierung in den Westmedien deutlich schwerer fallen als gegenüber Putin: Medvedev hat bisher noch nicht mal subjektiv ein erwähnenswertes Sündenregister vorzuweisen und wirkt generell irgendwie so gar nicht autoritär.

Für die Vertreter der nationalen und ausländischen Wirtschaft dürfte Medvedev als wirtschaftsliberaler Mann von Welt ein Segen sein. Zum einen, weil er als Mitglied des Gazprom-Aufsichtsrats solide Erfahrung und Kenntnisse in Wirtschaftsfragen mitbringt. Zum anderen, weil er als Davos-Reisender und Koordinator internationaler Wirtschaftsprojekte ein repräsentativer, weltoffener Verbesserer des Investitionsklimas sein dürfte. Zugleich ist von ihm ein konsequentes Eintreten für nationale Wirtschaftsinteressen zu erwarten.

Für die westliche Politikwelt ist Medvedev wohl ebenfalls die akzeptablere Variante unter den sonstigen realistischen Möglichkeiten. Er dürfte zugänglicher sein und in manchen Situationen eine kompromissbereitere Position beziehen, als etwa vom anderen potenziellen Kandidaten, Sergei Ivanov, zu erwarten gewesen wäre.

Doch obwohl die westlichen Medien noch nicht wirklich viel Kompromat (Russisch für "kompromittierendes Material") gegen Medvedev haben (weder hat er eine Geheimdienstvergangenheit, noch hatte er je Militäroperationen angeordnet), driftete der Grundton der Berichterstattung schon mal vorsorglich ins Skeptische. Spiegel Online servierte den überaus geistreichen Slogan "Gasprom wird Präsident" und die berüchtigte Britta Hilpert (ZDF) diagnostizierte ihn schon mal mit dem Lieblingswort Vasall. Die meisten Medien deuten an, dass das ganze Vorgehen undemokratisch sei, da angeblich Putin alles alleine wie ein Zar entscheide. Hier irren sie mal wieder, denn das letzte Wort hat immer noch das Volk. Dass Putin jedoch ein derartiges Vertrauen genießt, dass die meisten Russen sich seinen Empfehlungen anzuschließen bereit sind, ist eine andere Sache - nicht selbstverständlich, sondern hart erarbeitet. Geschätzt und gehört zu werden muss eben nicht aus dem Rahmen der Demokratie fallen.

Montag, 3. Dezember 2007

Zu den Parlamentswahlen in Russland

In Russland ist Wahlzeit und im Westen damit automatisch Hochkonjunktur für Russland-Bashing. Es wird alles gemacht, um die unbestreitbare Unterstützung der russischen Mehrheit für Putins Kurs zu verschleiern und zu diskreditieren. Die Wahlen werden pauschal als unfair und undemokratisch abgestempelt, unter anderem, weil angeblich "keine echte Opposition" einen Erfolg verbuchen konnte. Doch was ist dran an den ganzen Anschuldigungen?

Der SPIEGEL desinformiert mal wieder die Leserschaft mit Halbwahrheiten, indem er vom Ausschluß Kasparows durch die Staatsmacht redet. Das bleibt dann so auch stehen und impliziert willkürliches und repressives Vorgehen. Dass dieser Ausschluß auf die russische Verfassung zurückgeht, die nur Parteien und keine Blöcke und Bündnisse zu den Parlamentswahlen erlaubt (erst recht, da sich in diesem Bündnis die verbotene national-bolschewistische Partei Eduard Limonows, analog zur deutschen NPD, befindet), ist dabei wohl ein unwesentliches Detail. Freilich schaut man in anderen Fällen sehr genau hin und fordert die strikte Einhaltung eben dieser Verfassung - wenn es um eine Verlängerung von Putins Präsidentschaft geht.

Sieht man von Kasparow weg, nahmen an den Wahlen 11 Parteien teil, die ein breites Spektrum an Ideologien repräsentierten. Darunter waren pro-westliche Liberale, Kommunisten, Nationalisten und Sozialdemokraten. Sie alle trugen im russischen Fernsehen Rededuelle aus und konnten dem Wähler ihre Programme und Ansichten näherbringen. Vier Parteien konnten am Ende ins Parlament einziehen.

Die Wahl war allerdings in der Tat von einem starken medialen Übergewicht der Putin-Partei "Einiges Russland" geprägt. Trotzdem reicht diese Tatsache alleine nicht aus, um die Wahl als unfair abzustempeln. Eine gewisse Disproportion in der Berichterstattung ist wohl eher natürlich - kann doch nicht radikalen Revolutionärs-Gruppen um Kasparow sowie den im Volk nachweislich kaum Anklang findenden Liberalen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie einer zentristischen Volkspartei. Ein anderes Argument von OSZE-Vertretern (die trotz eines im Vorfeld skandalträchtig angekündigten Rückzugs doch noch bei der Wahl anwesend waren) für die angebliche Ungerechtigkeit der Wahlen, war die große Anzahl von Transparenten für Putin, mitunter an öffentlichen Gebäuden. Nun ja - unerhört! Dies ist in der Tat sehr manipulativ, vor allem wenn man einem Plakat an einem öffentlichen Gebäude eine größere Überzeugungskraft unterstellt, als an irgendeinem anderen Gebäude, was stark zu bezweifeln wäre. Die zweite notwendige Unterstellung wäre, dass die Russen allesamt unmündigen Kindern gleichen, deren Loyalität zu einer Partei proportional zur Größe der Transparente wächst. Berichte, die gar davon sprechen, dass jemand zum Wählen von "Einiges Russland" gezwungen wurde, beleidigen angesichts der in Russland nachwievor herrschenden geheimen Wahlen geradezu die Intelligenz des Lesers.

Die Wahl in Russland war - trotz der Fixierung auf alles Negative im Westen - weitgehend fair und repräsentativ. Vier Parteien haben den Einzug ins Parlament geschafft. Bloß weil darunter keine Revoluzzer á la Kasparow und Limonow sind, die einen Umsturz Putins fordern, heißt es nicht, dass es keine Opposition im Parlament gibt. Zwar hat Putin mit seiner Autorität eine überwältigende Mehrheit für "Einiges Russland" herausgeholt, aber das ist an sich nicht undemokratisch. Eine solche Popularität muss erst erarbeitet werden - und die wird nicht mit großen Plakaten erreicht, sondern mit steigenden Einkommen, der Sicherheit und dem neuen Gefühl nationaler Würde.

Montag, 26. November 2007

Die Magie des Wortes

Wer viele westliche Pressemeldungen und Medienberichte über Russland liest, dem könnte ein verbal-stilistischer Unterschied aufgefallen sein, wie im Grunde analoge Vorgänge und Sachverhalte beschrieben werden, wenn sie im Westen oder in Russland stattfinden.

Sind die USA oder die EU mit irgendeinem Aspekt der russischen Politik nicht zufrieden, wird berichtet, wie sie an Russland Kritik üben oder ihre Besorgnis äußern. Vor allem das Letzte klingt edel und weise. Die Wiedergabe von Putins Kritik am Westen wird dagegen in wesentlich unansehnlichere Vokabeln verpackt: Putin attackiert den Westen (optional: scharf) lautet da die gewöhnliche Schlagzeile. Auch vor Vokabeln wie wettern oder polternder Auftritt schrecken jene Medien oft nicht zurück, die sich als seriöse und führende Nachrichtenquellen verstanden wissen wollen. Die englischsprachigen Medien schreiben bei fast jeder Gelegenheit darüber, dass irgendein Ereignis den Kreml rasend macht (engl. enrages). Dabei weiß jeder, der Putin mal direkt Reden hörte, dass er immer sehr ruhig und sachlich redet und derartige Beschreibungen wohl kaum der Realität entsprechen.

Man stelle sich mal die umgekehrte Meldung vor: Wladimir Putin brachte den USA seine Besorgnis über den geplanten Raketenschirm nahe; das wütende Weiße Haus attackierte Russland scharf wegen XY. Schlecht vorstellbar? In der Tat. Und was lernt man daraus: die Russen haben nie legitime und ernstzunehmende Besorgnisse. Alles, was die Russen da so rüppelhaft von sich geben, ist ihrem ewigen Intrigenhang und dem Wunsch entwachsen, den Westen zu behindern. Der Westen liegt dagegen mit seiner Kritik immer richtig und der Beweis besteht schon mal darin, wie zivilisiert das geschieht... Die unterschwellige Beeinflußung beginnt bereits bei den Formulierungen.

Die Russland-Korrespondentin des ZDF, Britta-Hilpert, flimmert mehrmals wöchentlich über den abendlichen Fernsehbildschirm, um über die neuesten Fehlentwicklungen im Reich Putins zu berichten. Mit ihren Tücke entlarvenden Stimmintonationen vermittelt sie dem einheimischen Nachrichten-Konsumenten ihr enges Bild der russischen Politik. Nicht wirklich überraschend war, als sie beim Sprechen über Putins Kabinett das Wort Vasallen benutzte, ganz so als ob es eine bewußte und freiwillige Identifikation mit Putins derzeitigen Kurs nicht geben kann. Warum die Bush-Administration das Vasallen-Kriterium nicht erfüllt, bleibt unklar, fest steht jedoch, dass man auf derartigen Berichtstil in Bezug auf amerikanische Politik beim ZDF noch lange vergeblich warten kann.

Sogar die ach so gleichgeschalteten und unfreien russischen Staatsmedien würden sich nie derartige ausfallende Rhetorik erlauben, wie die öffentlich-rechtlichen Medien des "zivilisierten" Westens. Im Operieren mit den Klischees des Kalten Krieges ist ihnen der Agitprop des Westens heute deutlich überlegen. Und auch was den Pluralismus anbetrifft, sind die westlichen Medien den russischen kaum noch voraus, findet man doch alternative Standpunkte auch im Westen fast nur noch im Internet, während die großen Nachrichtendienste lieber voneinander politkorrektes Geblubbere abschreiben. Die oben genannten stilistischen Beispiele sind neben der Selektion negativer Sujets ein weiterer Baustein im Manipulieren der Massen. Das ist das Wenige, was mir spontan eingefallen ist. Beim Offenhalten der Augen kann jeder schnell auf eine viel längere Liste kommen.

Mittwoch, 21. November 2007

Der Stein des Anstoßes

Die Russland-Politik entzweit auch weiterhin die deutsche Politikerlandschaft. Nachdem sich die beiden Altkanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder gegen eine künstliche Entfremdung gegenüber Russland aussprachen, schlugen in der sogenannten freien Presse die transatlantisch-politkorrekten Wellen ziemlich hoch. Erst hatte Helmut Schmidt zur differenzierteren Beurteilung von Vladimir Putin aufgerufen und die USA heute als gefährlicher für den Weltfrieden als Russland bezeichnet. Anschließend kritisierte Gerhard Schröder seine Nachfolgerin Angela Merkel und gewisse CDU-Kreise für eine Distanzierungspolitik gegenüber Russland.

Es folgten emotionale Brandreden von Amerika-Fans und wütende Reaktionen von konservativen Außenpolitikern. Die Unbeliebtheit ihrer dienerhaften US-Orientierung beim Volk spürend, brennt den Transatlantikern das Thema Russland und USA derzeigt regelrecht auf den Nägeln und verursacht erhöhten Rechtfertigungs- und Angriffsbedarf. Gabor Steingart (erster Link oben) überrascht mit einer selten simplifizistischen Darstellung, in der der Hinweis darauf, dass die USA "die älteste Demokratie der Welt" seien, bereits als das fast hinreichende Argument für Amerikas Ungefährlichkeit und Liebenswürdigkeit hingestellt wird. Das Wort "Demokratie" ist für manche Kommentatoren anscheinend eine heilige Kuh, mit der axiomatisch kein Militarismus und keine Aggressivität verbunden sein können. Putin gegenüber schallt von Steingart die bisher eindeutig nicht belegbare Kritik, er kenne keine Einschränkungen durch die Verfassung und das Volk. Im Großen und Ganzen propagiert Steingart wieder das Bild vom heldenhaften und gütigen Amerika, das einem dunklen und bedrohlichen Russland gegenübersteht.

Ein Bild aus dem Kalten Krieg, das die meisten Bundesbürger schon als überholt hinter sich ließen. Denn es ist bemerkenswert, zu beobachten, wie weit die Schere zwischen offiziellen Medien und der Meinung einfacher Menschen in außenpolitischen Fragen mittlerweile ist. Nach der berühmten Rede Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 ergab beispielsweise eine Umfrage von EMNID, dass beinahe 70% der Bundesbürger die Thesen dieser Rede (Amerikas Streben nach einer monopolaren Welt) unterstützen. Derartige Proportionen konnte man dem weitgehend empörten offiziellen Medienchor unmittelbar nach der Rede nicht entnehmen. Ebenso zeigten Umfragen eine Diskrepanz zwischen der Meinung der Menschen zu dem geplanten amerikanischen Raketenschild in Europa und den Angaben der offiziellen Medien, die meistens Amerikas mündliche Beteuerungen nachsprechen, der Raketenschild richte sich nicht gegen Russland. Wie weit entfernt sich die transatlantischen Führungskasten in Europa von den Wünschen und Sorgen der Bevölkerung mittlerweile bewegen, zeigt auch ihre Ignoranz der weitgehenden Ablehnung für US-Militärinstallationen bei osteuropäischen Bevölkerungen.

Ein besonders beliebtes Angriffsziel der transatlantischen Presse- und Politikersymbionten in Deutschland ist jedoch der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Henryk M. Broder wirft ihm beispielsweise den Verrat deutscher Interessen zugunster russischer und privater Interessen vor. So, als ob dies die deutschen Interessen automatisch ausschließen würde. Wenn jemandem die deutsch-russische Zusammenarbeit in der Energiesphäre mißfallen könnte, dann wären das höchstens die USA, denn die dadurch geförderte Stärkung und vor allem die wachsenden Verbindungen der beiden Pole Europa und Russland können geopolitisch nur auf Kosten der USA gehen. Wer also gegen die Tätigkeit Schröders wettert, sollte sich fragen, ob er nicht vor allem selbst gegen die deutschen Interessen eintritt.

Schröders Schuss gegen Merkel ist mehr als berechtigt: die Außenpolitik Merkels ist bisher fast ausschließlich von wachsweichem politkorrektem Geblubbere und so gut wie keinen handfesten Ergebnissen zum Wohle Deutschlands geprägt. Den Vorschlag Putins, Deutschland zu einem gesamteuropäischen Distributions-Knotenpunkt für russisches Erdgas zu machen, schlug Merkel mit Rücksicht auf Washington aus. Stattdessen betreibt sie eine künstliche Distanzierung von Russland und schmälert damit das reichlich vorhandene Kooperationspotenzial. Ihre "wertegebundene Politik" (klingt toll, hat aber ein an den Haaren herbeigezogenes Fundament) lässt sie lieber mit kapriziösen und komplexbeladenen Ländern wie Polen liebäugeln, die Deutschland ungeachtet dessen weiterhin als Feind wahrnehmen.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach erklärt die Kritik Schröders an Merkel mit dessen "grandiosem Versagen" in der Innenpolitik und dem jetzt eintretenden Neid. Solche Statement verursachen mehr als Verwunderung. Seit zwei Jahren hat Angela Merkel kaum etwas gemacht, außer sich in den Langzeit-Effekten der Reformpolitik Schröders (z.B. Agenda 2010) zu sonnen. Schröder war im Gegensatz zu ihr jemand, der in schwierigen Zeiten anpacken konnte, auch wenn die politischen Dividenden nun andere absahnen. Deswegen kann man dem aktuellen Treiben der ihn verhöhnenden Meute nur verachtend entgegenblicken.

Donnerstag, 15. November 2007

Die Balkan-Falle

Es nähert sich der Showdown rund um das Kosovo und mit ihm ein unausweichlicher neuer Höhepunkt der Spannungen zwischen dem Westen und Russland. Es kommen nämlich die willkürlichen Termine, die den Kosovo-Albanern auf amerikanisches Betreiben für Präsidentschaftswahlen (17.11.) nahegelegt sowie für das Auslaufen der Kosovo-Statusgespräche (10.12.) festgelegt wurden.

Bislang war es nur auf Russland zurückzuführen, dass das Kosovo nicht schon längst aus Serbien herausgerissen wurde. Angesichts der immensen historischen und kulturellen Bedeutung, die das Kosovo für Serbien hat, scheint kein anderes Verb für diesen international beispiellosen Vorgang angebrachter. Mit der Ablehnung des Ahtisaari-Plans (obwohl sich die eine Seite mit Händen und Füssen dagegen wehrte, wurde er in der Westpresse zynisch als "Kompromiss" gelobt) und der Ankündigung eines Vetos im UN-Sicherheitsrat nahm Russland der auf die Zerstückelung eines souveränen Landes abzielenden Politik schon im Vorfeld jede völkerrechtliche Legitimität. Doch die USA kündigten an, die Unabhängigkeit Kosovos in jedem Fall anzuerkennen, notfalls einseitig. Bis dahin sollen noch allenfalls Statusgespräche stattfinden. Da ihnen jedoch von westlicher Seite gar kein anderer Lösungsspielraum mehr eingeräumt wird und das Ergebnis schon feststeht, sind sie im Grunde zur Farce degradiert.

Der Fall Kosovo demonstriert sehr gut, wie wenig es in der heutigen Weltpolitik einheitliche Spielregeln gibt. Im Allgemeinen stehen sich zwei Prinzipien gegenüber - das der Unantastbarkeit der staatlichen Integrität und das des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Bislang gab die Weltgemeinschaft eher dem ersten Prinzip den Vorzug, würde doch die Flut an Separatismus die etablierten Staaten destabilisieren und die globale Sicherheit erschüttern. Doch spätestens seit der Klimapolitik weiß man, dass langfristige Konsequenzen die USA nicht sonderlich interessieren. Wie ein Schulhof-Rowdy, der sich unstrafbar vorkommt, betrachten sich die USA von allgemeinen Regeln unnötig beengt. Ein Land wie die USA benötigt zur eigenen Zielerreichung mehr Flexibilität. Das Land geht primär vom Prinzip der geopolitischen Zweckmäßigkeit aus und legt sich die Moral so zurecht, wie es sie gerade braucht. So wird in einem Fall ein bestimmtes Vorgehen durchgepeitscht, während in vergleichbaren Fällen eine diametral entgegengesetzte Position bezogen wird. Wie kann sonst erklärt werden, warum die Kosovo-Albaner ein Recht auf die Unabhängigkeit haben sollen, und die Serben in der serbischen Entität in Bosnien (Republika Srpska) ebenso wie Abchasen, Südosseten oder Transnistrier - nicht?

Klar ist, dass Russland bei diesem einseitigen Treiben kein gleichgültiger Zuschauer sein kann. Zwar ist Russland heute nicht stark genug, um in der internationalen Politik die Initiative zu erobern. Doch gegen allzu schamloses Vorpreschen der USA besitzt das Land unter Putin genug Reaktionsmöglichkeiten und vor allem Courage. Russland ist zwar nicht an der Zerrüttelung des bestehenden Prinzips der staatlichen Integrität interessiert, doch nach dessen Bruch durch die USA wird es keinen Grund geben, den de-facto unabhängigen Staaten auf dem GUS-Gebiet die Anerkennung zu verweigern. Das wiederum wird die Dämme für weitere Insurrektionen weich werden lassen, zum Beispiel auf der durch und durch russischen Halbinsel Krim.

All dies wird die USA zwangsläufig in Rage bringen und die gegenseitigen Spannungen bis zum Anschlag anheizen. Die geöffnete Pandora-Büchse wird jedoch nicht nur im GUS-Raum, sondern weltweit für Konflikte sorgen, für die die USA als Erstursache die Verantwortung tragen werden. Ob dies im Sinne des Machterhalts der USA mit ihrer derzeitigen Überforderung im Irak und Afghanistan ist, darf bezweifelt werden. In jedem Fall wird das Ergebnis des amerikanisch-russischen Tauziehens mehr als offen sein. Der Schuldige ist jedoch schon ausgemacht und die medialen Propaganda-Geschütze werden schon für die sich abzeichnene große Schlacht in Stellung gebracht.

Das Kosovo ist ein sehr ensthafter und unheilvoller Unterwasserstein der Weltpolitik und gerade als unabhängig denkender Beobachter sollte man genug Durchblick haben, den wahren Brandstifter in diesem Fall zu erkennen. Ein Weltkrieg ist bereits von Balkan ausgegangen. Muss heute für einen zweiten islamischen rückständigen Albanerstaat in Europa wieder ein großer Konflikt riskiert werden?

Donnerstag, 8. November 2007

Verwelkte Rosen folgen vergammelten Orangen

Ausnahmezustand in Georgien. Nach massiven Protesten von über 100.000 Menschen (in Relation zur kleinen Bevölkerung eine gigantische Zahl), die den Rücktritt des immer diktatorischer herrschenden Präsident Saakaschwili forderten, platzten dem letzteren die Nerven. Gewaltsam ließ er die von den Amerikanern ausgerüstete Polizei die Demonstranten mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen auseinander treiben, von Hunderten von Verletzten ist die Rede. Der Oppositionsführer Chaindrawa wurde verhaftet.

Die ganze Entwicklung scheint System zu haben. Ausgerechnet die drei Länder mit den "bunten Revolutionen" - Georgien, Ukraine und Kirgisien - kann man heute getrost als die instabilsten im postsowjetischen Raum bezeichnen. Die über westliche NGO-Netzwerke materiell und taktisch unterstützten und an die Macht gebrachten Machthaber bekamen bereits kurze Zeit später allesamt große Probleme. Die umfangreichen Versprechen der hellen Zukunft durch Korruptionsbekämpfung und Anlehnung an den Westen konnten nicht eingehalten werden und je höher die Wolken waren, in die sich die naiven armen Massen durch eine solche Rhetorik versetzen ließen, desto tiefer musste aus ihnen der Fall angesichts der darauf folgenden Realitäten erfolgen. Die Unfähigkeit, wenn nicht der Unwille, die alten Zustände ernsthaft zu verändern, ist indes kaum überraschend, unterscheiden sich doch die neuen Eliten in ihren Methoden und ihrer Sozialisierung kaum von den alten. Was sie gelernt hatten, ist lediglich, dass sich mit vordergründigen demokratischen Parolen das Volk prima um den Finger wickeln lässt. Danach fand lediglich eine Umverteilung der Macht statt und die gewohnte hastige Selbstbereicherung, solange die Möglichkeit dazu besteht.

Dazu muss ich sagen, dass mir die Georgier weniger leid tun, als die Ukrainer. Während in der Ukraine nur die Hälfte der Bevölkerung hinter dieser neuen Schleife des Elends stand, bekommen die Georgier die Quittung für das, wofür sie 2004 mit 97% (!) gestimmt hatten. Möglicherweise wird ihnen das für die Zukunft eine Lehre sein und sie werden bei Populisten, die sich am Lautesten in die Brust klopfen und als Demokraten bezeichnen, zumindest vorsichtiger sein.

Saakaschwili ließ gestern alle unabhängigen Fernsehsender abschalten und verkündete im Staatsfernsehen, dass hinter den Protesten "dunkle Kräfte aus Russland" stünden. Er habe Beweise für die Verstrickung russischer Geheimdienste in die Situation in Georgien, hat sie jedoch - wie konnte es auch anders sein - nicht näher präsentiert. Vielmehr wurde lang ausgeführt, was für Maßnahmen er bereits unternommen hat (Ausweisungen von Diplomaten, Abbestellen eigener Botschafter usw.) Dabei trafen sich die Oppositionsführer zuvor völlig offen mit dem amerikanischen Botschafter, ohne dass Saakaschwili dies in seine Rhetorik aufzunehmen wagte. Für die Amerikaner, die wahren Herrscher in Georgien, scheinen die Oppositionellen keine undenkbare Alternative zu sein. Doch Saakaschwili muss den Schein der Loyalität wahren, wäre er doch sonst völlig isoliert und dem Untergang geweiht.

Reflexartig bedient er sich des Universalfeinds Russland für seine beim Volk immer unglaubwürdigere Propaganda. Schon die ganzen letzten Jahren versuchte er immer, wenn es im Inland brenzlig war, die Aufmerksamkeit auf vermeintliche Zwischenfälle mit Russland zu lenken, seien es Luftraumverletzungen oder Grenzkonflikte mit russischen Friedenstruppen in Abchasien. Die ständigen unbewiesenen Behauptungen und inszenierten Provokationen wurden sogar der parteiischen OSZE zu lächerlich, so dass sie aufhörte, die Flut von Klagen der georgischen Führung zu untersuchen. Die neueste dreiste Behauptung, die Demonstrationen wären von russischer Seite initiiert worden, wies das russische Außenministerium kurz und prägnant als Hysterie ab.

Klar ist, dass man die eigene Unfähigkeit nicht ewig hinter der Anti-Russland-Propaganda verbergen kann. Irgendwann lassen sich die Menschen damit nicht mehr abspeisen. Das anfangs effektive Konzept der Revolutionäre ist das Konzept von Eintagsfliegen, ohne langzeitliches Potenzial. Enttäuschung, Wut und Proteste der Bevölkerung sind die gesetzmäßige Folge. Und während in der europäischen Ukraine wenigstens die gewaltsamen Lösungen für alle Seiten tabu sind, muss in Regionen wie dem Kaukasus oder Zentralasien ernsthaftes Blutvergießen befürchtet werden.

Nachdem die westlichen Funk- und Printmedien die riesigen Proteste zunächst weitgehend ignorierten, konnte ihre gewaltsame Unterdrückung nun nicht mehr verschwiegen werden. Der Politologe Alexander Rahr bezeichnet die aktuellen Entwicklungen als "große Überraschung" für den Westen, die man nun schwer kommentieren kann. Ungern und unbequemerweise beginnt nun die westliche Welt, sich mit dem Scherbenhaufen auseinanderzusetzen, der zuvor oft genug als Musterdemokratie lobgepriesen wurden. So spricht die französische Le Monde mittlerweile von den verwelkten Rosen von Tiflis. Viele weitere Ernüchterungen werden folgen, eine normale Folge des Lebens in einer Scheinwelt.

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Der Gipfel der Borniertheit

Ein neuer EU-Russland-Gipfel steht bevor und aller Voraussicht nach wird es wieder ein Treffen der kühlen Reserviertheit und der ungenutzten Möglichkeiten, der ergebnislos vorbeigeht und vergessen wird. Auch wenn die beiden Seiten heute in vielen Sphären gut zusammenarbeiten, schwingen im Raum vor allem die vielen Streitthemen: Energiepolitik, Investitionsbeschränkungen, Embargo auf polnisches Fleisch, "Menschenrechtslage" in Russland, russische Minderheit im Baltikum, Raketenabwehr, Kosovo, Iran und und und...

Die russische Energiepolitik ist den Europäern spätestens seit dem russischen Gasstreit mit der Ukraine ein Schreckgespenst. Unentwegt werden seitdem Rufe laut, die Energieabhängigkeit Europas von Russland zu reduzieren. Schreckensszenarien werden an die Wand gemalt, wie ein böser Kremlherrscher Europa "kurzerhand" das Gas zudreht. Das Bild sitzt. Schnell wird vergessen, dass Russland in der Energiesphäre immer ein zuverlässiger Partner für Europa war und dass das Verhältnis in diesem Bereich mindestens von beidseitiger Abhängigkeit geprägt ist. In dem Maße, wie die Europäer russische Ressourcen brauchen, braucht Russland westliches Geld und Technologien. Niemand würde in Russland auf die Idee kommen, den profitablen Ressourcenhandel mit Europa zu stoppen, erst recht nicht, da dazu im Gegensatz zur Ukraine, die vom segensreichen postsowjetischen Tauschhandelprinzip nicht lassen wollte und als Ausgleich "technische Entnahmen" tätigte, nicht mal ansatzweise ökonomisch-juristische Begründungen bestehen. Die Situation rund um die Ukraine haben die europäischen Politiker, die selbst einmal marktwirtschaftliche Preisbildungsprinzipien gepredigt hatten, schon damals höchst heuchlerisch behandelt. Die Ukraine gilt nun einmal als prowestlich = gut, Russland hängt dagegen auch 22 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges das Prädikat böse an.

Dass die Europäer dabei profitierten, indem Transitfragen durch die russische Initiative endgültig von bilateralen russisch-ukrainischen Lieferverhandlungen abgekoppelt wurden, hat der westliche Otto-Normalverbraucher nie erfahren. Es ist ja sowieso fast schon Brauch, dass ihm die wirklich wesentlichen Informationen vorenthalten werden und stattdessen ein emotionaliserter und ideologisierter Brei untergebuttert wird.

Wenn zwei Seiten eine profitable und stabilisierende Symbiose haben, warum fühlt sich dabei eine Seite so unwohl und versucht ständig, Mißtrauen einzustreuen? Wem bindet dieser Zustand zu sehr die Hände und was kann man daraus über die Absichten dieser Seite für Schlüsse ableiten? Wer kann es nicht ertragen, dass Russland als wichtiges Element in der modernen Weltordnung unantastbar wird und gleichberechtigt behandelt werden muss? Einem gewissen Staat und den ihm treu ergebenen Eliten scheint die russisch-europäische Kooperation geopolitisch jedenfalls ein großer Dorn im Auge sein und dieser Staat scheint großen Einfluß auf europäische Medien zu besitzen, da sie ihm ja sogar offen ihre Unterstützung bekunden.

Unter dem Eindruck des stetigen Trommelfeuers gegen die energetische Kooperation mit Russland bemüht sich die steife neue Generation westeuropäischer Politiker im Verbund mit den ohnehin konstant russophoben Osteuropäern längst darum, die potenziellen russischen Investitionen in westliche Energiesektoren gesetzlich zu unterbinden. Obwohl der Einstieg zusätzlicher Akteure den derzeit horrenden Wucher der Energieversorger dämpfen und für mehr Wettbewerb sorgen würde, ist die Nicht-Durchlassung des Russen wie schon 1945 ein heiliges Gebot. All das frühere Gerede über freien Handel ist schnell vergessen und über Bord geworfen. Kein Wunder, dass dies alles bei den Russen Skepsis auslöst und sie erst wirklich zu jener größeren Ausrichtung nach Ostasien bewegt, die die Russlandkritiker immer düster prophezeien.

Die Kritik an der Menschenrechtslage in Russland hat mittlerweile den Zusammenhang zur Realität verloren und führt als traditionelle Rhetorikkeule längst ein Eigenleben. Kaum jemand könnte konkret erzählen, was an den Menschenrechten in Russland heute im Großen und Ganzen nicht stimmt, man weiß aber, dass die Kritik unbedingt dazugehört. Die alte Dame Europa hat sich selbst schon derart eingeredet, eine moralische Autorität und Überlegenheit zu besitzen, dass sie sich eine Beziehung mit anderen Kulturen gar nicht mehr ohne die anmaßende Belehrungshaltung vorstellen kann.

All das ist nur ein kleiner Einblick in die lange Liste künstlich aufgebauschter russisch-europäischer Beziehungsprobleme. Heiter und traurig zugleich ist, wenn sich dann irgendwelche Analytiker zu Wort melden und sich ernsthaft darüber erstaunt zeigen, warum sich denn Russland immer mehr von Europa abwendet und auf sich selbt konzentriert. Traurig ist auch, dass wertvolle Zeit verstreicht, ohne dass wichtige russisch-europäische Projekte in Angriff genommen werden. Die Europäer werden von außen an der Leine gehalten, um eine umfassende Integration des Kontinents zu verhindern. Derjenige, der etwas anderes erwartet hatte, war ein naiver Träumer.

Dienstag, 9. Oktober 2007

Der Monolog der Kulturen

Vladimir Putin wird voraussichtlich auch nach 2008 eine einflußreiche Person in der russischen Politik bleiben, in welchem Amt auch immer. Aus der Sicht der korrekten Mainstream-Kommentatoren im Westen ist das schlecht und undemokratisch. Zugleich ist die Zustimmung in der russischen Bevölkerung zur Politik Putins so hoch, dass sich dies auch in den Westen rumgesprochen hat. Diese Tatsache ist unbequem und konterkariert gewissermaßen die Vorwürfe undemokratischer Zustände. Um das westliche Weltbild stichhaltig zu halten, muss dies dem eigenen Otto-Normalverbraucher möglichst ideologiekonform erklärt werden, doch da fangen die Probleme an.

Der Ansatz der für die Russen typischen unterwürfigen Mentalität bietet nicht sehr viel Spielraum. Man könnte mit geschichtlichen Gegenbeispielen argumentieren, mit unzähligen Aufständen, Revolten, Revolutionen und Putschen gegen die Staatsmacht, deren Anzahl nach Russland die meisten Länder dieser Welt locker abhängt. Doch der Propagandist kann aufatmen: den meisten Westeuropäern, geschweige denn Nordamerikanern, sagen Stichwörter wie Rasin, Pugatschow, Dekabristen oder Narodnaja Wolja genauso wenig wie Kronstädter Matrosen, Weiße Armee, Nowotscherkassk oder Jelzin-Putsch von 1993. Ein anderes Problem macht hier schon eher zu schaffen: bei zu großer Ausführung der Thesen über die Vassalenhaftigkeit des russischen Volkscharakters läuft man schnell die Gefahr, an die rassistischen Töne einer nicht allzu fernen Vergangenheit zu erinnern. Freilich hält auch dies einige journalistische Kettenhunde nicht davon ab, ständige Andeutungen in diese Richtung zu machen.

Ein deutlich verläßlicherer und passenderer Blitzableiter ist dagegen die Behauptung, die Russen seien der allgegenwärtigen Putin'schen Propaganda verfallen. Die fehlende Diversität der Informationsquellen erlaube es den Russen nicht, sich eine objektive Meinung zu bilden. Nach dieser Theorie müssten die Russen nur etwas mehr mit der universellen Weisheit der westlichen Weltanschauung konfrontiert werden und diese würde auf natürliche Weise die Oberhand über die perfide Kreml-Propaganda gewinnen. Eine orangene Revolution wäre dann nur noch eine Frage der Zeit.

Wie naiv dieser Glauben ist, kann man anschaulich an einigen sehr interessanten Portalen im russischen Internet sehen. Es existieren dort einige Projekte, die Artikel führender ausländischer - überwiegend westlicher - Zeitungen und Online-Medien direkt ins Russische übersetzen. Zu ihnen gehören unter anderem Portale wie InoSMI.Ru oder Inopressa.Ru. Beide sind mittlerweile sehr bekannt, haben mehrere Zehntausende Besucher täglich und werden auch in anderen renommierten russischen Print-, Online- und Funkmedien zitiert. Das Besondere an diesen Portalen ist, dass sie sehr interessante Schnittstellen oder Fenster zwischen Kulturen und Anschauungen darstellen, an denen man viel praktisches über die interkulturelle Beziehung und ihre Auswirkungen lernen kann. Die Portale bieten eine Infrastruktur, die behaupten lässt, dass die Russen heute durchaus beide Sichtweisen auf die Dinge kennenlernen können und auch kennen und ihr politischer Standpunkt auf einer Auswahlmöglichkeit basiert, die ihre westliche Nachbarn so nicht haben.

Natürlich sind es nicht allein die Internetmedien, die heute dafür sorgen, dass die Russen besser mit den westlichen Sichtweisen vertraut sind, als es meistens umgekehrt der Fall ist. Viele Russen reisen heute frei in den Westen. Jeder kann sich in Russland eine Satellitenschüssel kaufen und alle möglichen Sender empfangen. Doch was das Internet so interessant macht, ist die Möglichkeit, ein unmittelbares russisches Feedback zu einem Opus aus Washington Post, New York Times, Daily Telegraph, LeMonde, SPIEGEL oder El Pais zu sehen. Zu jedem Artikel haben die Leser nämlich die Möglichkeit, ihre Kommentare zu hinterlassen. Hier wird es zur Wirklichkeit, dieses magische Aufeinandertreffen der Ansichten, das die Russen in der Theorie reihenweise zur Demokratie bekehren und zu Widerständlern gegen das "diktatorische" Regime in ihrem Land machen sollte.

Seltsamerweise ist in den zugehörigen Foren nichts von einer massenhaften Bekehrung zu spüren, obwohl jeder seine Reaktion sofort und ohne Zwischenmoderation hinterlassen kann. Vielmehr hat die Existenz der Portale dazu beigetragen, dass sich in der russischen Gesellschaft die Ernüchterung über die westlichen "Freunde" noch weiter verstärkte, die mit der Bombardierung Serbiens 1999 erstmals richtig einsetzte und die seit der Perestroika-Zeit allgegenwärtige Bewunderung ablöste.

Der üblichen Flut an Negativismus, Scheinheiligkeit und doppelten Standards begegnen die Russen überwiegend mit Humor und Ironie. Eine deutliche Bestärkung der patriotischen Ansichten ist zu spüren und wer der russischen Sprache mächtig ist, kann sich jederzeit überzeugen, dass wohl bis zu 95% der Leser-Reaktionen diese Tonlage äußern. Manche lesen die Seiten nach eigenem Bekunden mittlerweile "zum Amüsieren" und zeigen sich enttäuscht, wenn es zu wenig richtig aggressive westliche Angriffe gibt.

Natürlich haben sich bei der Leserschaft im Laufe der Zeit auch einige Kultfiguren etabliert, deren Ergüsse sich besonderer Popularität erfreuen. Da wäre zum Beispiel der französische "Philosoph" André Glucksmann, der sich regelmäßig in diversen Medien Europas verkünstelt. Seine blumigen und emotionalen Ausführungen über die "tapferen Tschetschenen" und den "menschenfressenden Tyrannen" im Kreml sorgen bei der Leserschaft für ausgezeichnete Stimmung. Für zusätzlichen Humoreffekt sorgt die Tatsache, dass das Wort "Gluck" (глюк) im russischen Slang für Fieberfantasie steht. Der unnachahmliche Philosoph war denn auch dafür verantwortlich, dass die Community eine allgemeine Maßeinheit für die Absurdität eines Artikels eingeführt und ihm zu Ehren 1 Gluck genannt hat.

Ein anderer beliebter Komiker ist der Russland-Reporter des "Focus" Boris Reitschuster. Allerdings muss man einräumen, dass seine durchweg schwarzmalerischen und selektiven Darstellungen, die unübersehbar das Ziel verfolgen, die verborgenen Überlegenheitsgefühle des Otto angenehm zu kitzeln und häufig von der Politik auch ins Alltagsleben wandern, bei vielen auch Ärger auslösen. Einmal nahm Reitschuster sogar an einem Chat mit den Lesern von InoSMI teil, drückte sich jedoch weitgehend um klare Antworten.

Weitere Lieblingsstücke sind Artikel aus der polnischen Presse. Die transatlantische Versteiftheit und nationale Selbstüberschätzung sind dort derart ausgeprägt und in den Augen der Russen so süß, dass dieses sonst unbedeutende Land einen Bonus an Aufmerksamkeit bekommt. Zweifellos hat die Lektüre polnischer Presse das Bild der Polen in Russland nachhaltig verändert.

Alltägliches Hauptbrot sind dagegen die führenden amerikanischen und britischen Zeitungen und ihre Russland-Ergüsse. Sie werden als Leitmedien empfunden, von denen deutsche, französische, spanische Medien die Richtung abschauen. Hier wird mit weniger Humor, dafür mit gnadenlosem Aufzeigen aller Argumentationsschwächen und moralischer Defizite vorgegangen. Und die Einigkeit der Leserschaft ist erstaunlich bzw. so stark wie schon lange nicht. Die Positionen der meisten Angelsachsen gelten den Russen als tückisch, verlogen und scheinheilig und Begriffe wie Demokratie und Menschenrechte als willkürlich einsetzbare Instrumente im geopolitischen Kampf.

Offensichtlich ist die Begegnung mit der feindseligen Umgebung und das Gefühl des Mißverstandenseins ein bedeutender Konsolidierungsfaktor und Patriotismus-Förderer. Das direkte Aufeinanderprallen der Ansichten zeigt: wenn der Westen im Kampf der Weltanschauungen mit Russland erfolgreicher sein will, sollte er die Bekanntschaft der Russen mit seiner Denkweise im Gegensatz zur spontanen Vermutung möglichst klein halten. Und den Meinungsaustausch weiterhin keine Zweibahnstraße sein lassen.

Montag, 24. September 2007

Arktisch kalter Krieg

Als Anfang August Russland mit seinen einzigartigen Tauch-Ubooten erstmals den Meeresgrund am Nordpol erreichte, dort Bodenproben sammelte und eine Fahne aus Titan aufstellte, war die Aufregung im Westen groß. Die spontane Bewunderung für die Pioniertat in 4261 m Tiefe wiech jedoch fast sofort beißender Kritik. Die meisten politkorrekten Kommentatoren zögerten nicht, diese "Provokation" als "irrelevant" und "lächerlich" zu bezeichnen. Hätte man sich damals allein aus westlichen Medien informiert, würde man folgendes Zerrbild bekommen: Gierige Russen lecken sich die Finger nach weiteren Gebieten und Rohstoffen (als ob sie nicht schon genug hätten) und kapern einseitig und mit dubiosen Methoden die zum Gesamterbe der Menschheit gehörende Arktis. Die Message war eindeutig: der russische Bär bedroht uns wieder und muss bekämpft werden. Und die Hysterie-Wellen schlagen bis heute.

Die Geschichte rund um die russische Arktis-Expedition eignet sich wieder vorzüglich zur Demonstration dessen, wie sich mit einseitigen Informationen und der Unterschlagung entscheidender Sachverhalte das Bild um 180° drehen lässt. Nein, offen zu lügen braucht man nicht, so etwas kann schließlich leicht widerlegt werden. Wozu auch, wenn es sich doch wunderbar mit Methoden wie Unterschlagung und Übertreibung hantieren lässt und das gewünschte Ergebnis auf viel ungefährlichere Weise erreicht werden kann? Halbwahrheit ist schließlich keine Lüge.

Ob Spiegel Online, N-TV, Die Welt, FAZ, Tagesschau.de oder Sueddeutsche, allen Artikeln war eines zueigen: nach einer empörten Schlagzeile über eine russische Provokation folgte die Sammlung hämischer Zitate"zivilisierter" Politiker, die Russland das Denken des 15. Jahrhunderts attestierten. Danach folgte die "Aufklärung" über die treibenden Motive hinter der Aktion: schmelzende Arktis, viele Rohstoffe, gierige und ruppige Russen. So werden die meisten Leser abgefertigt und mit dem vorgegaukelten Gefühl, umfassend informiert zu sein, wieder ein Stück mehr ideologisch getrimmt entlassen.

Mehr war in den Artikeln meist nicht zu lesen, so dass nur die wenigen selbständig Recherchierenden an die entscheidenden Informationen kommen konnten. Laut UNO-Gesetzgebung kann ein Land mit vollem Recht Meeresterritorien beanspruchen, wenn sie zu seinem erweiterten Festlandsockel gehören. So gehören beispielsweise Brasilien Gebiete im Atlantik, die weit über die international übliche Küstenzone hinausgehen. Nichts anderes, als einen Anspruch geologisch nachzuweisen und den legalen Weg zu gehen, hatte die russische Expedition vor. Und dass parallel dazu eine Landesflagge aufgestellt wurde, gehört wohl eher zu den normalsten Dingen der Welt, wenn man einen ungewöhnlichen Ort erreicht. Etliche Nationen haben ihre Flaggen schon oberirdisch am Nordpol, am Südpol, auf dem Mount Everest oder auf dem Mond hinterlassen, ohne dass jemand allein schon aus diesem Akt eine Besorgnis über deren Landnahme hergeleitet hätte. Doch gegenüber Russland gelten allgemeine Normen bekanntlich nicht (z.B. Marktpreise für Gas), so dass respektlose Anschuldigungen des Denkens á la 15. Jahrhundert mehr als leicht über die Lippen kommen.

Das Tandem aus Politikern und politkorrekten Kommentatoren ergänzte sich gut und traditionsgemäß waren bei der Kritik die USA ganz vorne mit dabei. Ausgerechnet ein Land, das die UNO und das Völkerrecht zunehmend mißachtet, die Arktiskonvention als einziges nicht unterschrieben hat und von den fünf Anrainerstaaten die geringste Beziehung zur Arktis hat, verurteilte am Lautesten die russischen "Eskapaden". Wäre auch erstaunlich, wenn die USA, die die Welt schon längst als ihr eigen betrachten, ruhig hinnehmen würden, wenn irgendwo irgendwas ohne sie geteilt wird. Mit einiger Sicherheit kann man sagen, dass selbst wenn die UNO nach dem Studium der geologischen Daten den russischen Anspruch als regelkonform bestätigt, die USA diese Entscheidung einfach ignorieren werden, wie sie das schon oft gemacht haben. Spätestens dann werden die letzten sehen, die noch Illusionen haben, dass in der heutigen Welt wie eh und je das Recht des Stärkeren herrscht. Es reicht eben nicht aus, im Recht zu sein, das Recht muss auch durchgesetzt werden. Man darf sich auf einen arktisch kalten Krieg einstellen.

Donnerstag, 19. Juli 2007

Good old enemy

Den neuesten Anlass für westliche Medien, Gift und Galle gegen Russland zu spucken, liefert die Geschichte rund um die Auslieferung des russischen Geschäftsmanns Andrei Lugovoi (Bild), den die Briten zum Hauptverdächtigen im Mordfall Litvinenko ausgerufen haben. Laut russischer Verfassung ist die Auslieferung des eigenen Staatsbürgers ins Ausland, ähnlich wie in vielen westlichen Ländern, nicht möglich. Dies wird jedoch in kaum einer westlichen Meldung explizit und an einer sichtbaren Stelle erwähnt - würde sowas doch die russische Position zumindest juristisch stützen und erklären. Eine noch unwichtigere Rolle spielt die russische Verfassung für den neugebackenen britischen Außenminister Milibrand, der unverblümt ihre Änderung gefordert hat. Folgerichtige Antwort aus Moskau: "wir sind keine Bananenrepublik, die ihr mit kolonialer Arroganz rumkommandieren könnt".

In der Haltung des Westens (da Großbritannien zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus Kontinentaleuropa erhielt, kann man getrost auch dieses Wort wählen) kommt wieder die übliche unsägliche Doppelmoral zum Tragen. Würde Putin die Verfassung ändern, um sich eine dritte Amtszeit zu ermöglichen, wäre das Toben im Westen nicht auszumalen. Wenn es jedoch britische Interessen erfordern, hat die russische Verfassung bei Seite geschoben zu werden.

Trotz oder gerade wegen der Unmöglichkeit der Auslieferung zeigte Russland von Anfang an seine Bereitschaft mit den Briten zu kooperieren. Wenn die Briten den Russen die Beweise übergeben würden, die sie meinen gegen Lugovoi zu haben, dann wäre ein Prozess in Russland gegen ihn möglich. Diese Option schlugen die Briten überheblich aus. Stattdessen taten sie seitdem alles dafür, dass um den Fall möglichst großes Getöse entsteht und man ihn politisch ausnutzen kann. Damit soll wohl ein neuer Feind ins Bewußtsein der Bevölkerung gerückt werden, um von unrühmlichen Irak-Krieg abzulenken, wie der Spiegelfechter in seinem Artikel bemerkt. Demonstrativ wurden wie im Kalten Krieg vier russische Diplomaten des Landes verwiesen. Russland antwortete im gleichen Stil, wobei von einer Symmetrie dennoch nicht die Rede sein kann: würde Russland für jede abgelehnte Auslieferungsanfrage der letzten Jahre an Großbritannien vier Diplomaten ausweisen, müssten das insgesamt über 80 sein. Dabei handelte es sich bei den russischen Anfragen um Personen, die auch in anderen Ländern gesucht werden (beispielsweise Berezovsky in Brasilien oder der Schweiz).

Währenddessen bemühen sich die Medien redlichst darum, nicht die Briten als Aufbauscher des Streits zu porträtieren, sondern die Russen. Russland mobbe, poltere, provoziere einen neuen Kalten Krieg, verhalte sich wie ein pubertierender Jugendlicher, spiele mit Muskeln oder was sonst noch für eine aufsehenerregende Floskel dem jeweiligen Kommentator als Schlagzeile einfällt. Jede noch so plumpe Inszenierung des Intriganten Berezovsky (Bild) findet achtvolles Gehör, um dem Leser ein Gefühl des kalten Schauers über den Rücken angesichts der "brutalen Methoden" der Kremlführung zu ermöglichen. So weit nichts Neues, im Westen...

Samstag, 14. Juli 2007

Man wird doch etwas heucheln dürfen

Wie die Medien heute in fetten Schlagzeilen berichten, sind die NATO und die USA sehr "besorgt" und "enttäuscht", nachdem Russland den KSE-Abrüstungsvertrag eingefroren hat. Und gleich hagelt es von ihnen das, was man in den Atlantiker-Kreisen am Liebsten tut: Kritik an Russland. Währenddesen bereitet die tendenziöse Presse mit ihrem demonstrativen Erschrecken vor einem "herben Rückschlag für die Abrüstung" (SPIEGEL Online) sowohl den Boden für derartige Stimmungen, als auch bietet sich als das Sprachrohr für allerlei Kritiker an.

Unter all den Krokodilstränen, findet sich der Hinweis darauf, dass die NATO-Staaten den KSE-Vertrag bis heute nicht ratifizieren wollten (einige sind ihm sogar gar nicht beigetreten), wenn überhaupt nur ganz hinten. Die NATO knüpft ihre Ratifikation des Vertrags an den russischen Abzug aus Georgien und Moldawien, was jedoch juristisch überhaupt nichts miteinander zu tun hat. Vielmehr wurde diese Verknüpfung einseitig von der NATO beschlossen und war nie Bestandteil des ursprünglichen Regelwerks. Die Erwähnung dieses wichtigen Punktes wird man jedoch in den meisten führenden Medien vergeblich suchen. Die Wahrheit wird eben solange beschnitten, bis sie passend ist. Die bösen Russen zertreten georgische und moldawische Roggenfelder und irgendwie wird das schon was mit dem KSE-Vertrag zu tun haben. In Wahrheit ist der russische Abzug aus Georgien beinahe abgeschlossen, während in Moldawien, genauer genommen Transnistrien (welches sich mit allen Kräften gegen die Kontrolle Chisinaus wehrt), nur noch Bewacher von Munitionsdepots verblieben sind. Doch diese Details interessieren die NATO nicht, denn alles läuft sowieso bestens. Russland erfüllt den Vertrag einseitig, während man ihn selbst durch diese sehr willkommene Ausreden nicht zu erfüllen braucht. Mehr noch, die USA gründen immer neue Basen auf dem Balkan und in Osteuropa.

Und wenn die aktuelle Haarspalterei bezüglich Russland nicht mehr zieht, wird man eben zur nächsten greifen. Wie war das mit den russischen Friedenstruppen in Abchasien und Südossetien? Gehören die nicht ebenfalls zu Georgien? Dort könnten die Russen ebenfalls weg, ganz egal, ob sie von den Abchasen und Südosseten als einzige akzeptiert werden und als einzige ein Blutvergießen verhindern können. Jede noch so unverantwortliche und (zum Glück) unerfüllbare Forderung ist willkommen, wenn sie politische Zweckmäßigkeit dient: Russland weiter hinzuhalten und zu einseitigen Konzessionen in der Rüstungssphäre zu zwingen. Sehr oft erlebten wir übrigens in der letzten Zeit im Westen, wie allgemeine Prinzipien den Schablonen geopolitischer Zweckmäßigkeit weichen müssen, sei das beim russischen Gasstreit mit der Ukraine, wo der Westen vorübergehend vergaß, was Marktwirtschaft ist, oder beim Grabstättenstreit in Talinn, wo man gerne außer Acht ließ, dass Respekt vor Soldatengräbern, egal welcher Seite, in Europa eigentlich Standard ist.

Dass Russland diese hinterhältige Taktik nicht ewig über sich ergehen lässt und dass die aus der Sicht des Westens "goldenen" Jelzin-Jahre vorbei sind, sollte jedoch schon seit ein Paar Jahren auch in Brüssel dämmern. Doch wenn die Russen dann die Reißleine ziehen, dann ist es zwar traurig, lässt sich aber immerhin noch trefflich propagandistisch ausschlachten. Seht her - die wollen Krieg!

Montag, 11. Juni 2007

Sarkozys sofortige Kehrtwende?

Während des Wahlkampfes in Frankreich ließ Sarkozy noch wissen, ihm seien die "demokratischen" USA viel sympathischer als das "autoritäre" Russland und dass er für eine stärkere transatlantische Orientierung eintrete, während man mit Russland deutlich härter reden sollte. Doch auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm bot sich ein völlig umgekehrtes Bild. Die Welt erlebte, wie sich der neue französische Präsident lachend mit Putin unterhält, sich beide kumpanenhaft ein Handy teilen und Sarkozy auf den Pressekonferenzen zur engstmöglichen Zusammenarbeit mit Russland aufruft. Gleichzeitig ist es zwischen Sarkozy und Bush beinah zu einem handfesten Krach gekommen.

Und dann noch das: Sarkozy und Putin haben es zusammen, wie man unten sehen kann, wohl ordentlich krachen lassen (im entgegengesetzten Sinn) und ihre Bekanntschaft abseits langweiliger Merkels gleich richtig mit Alkohol begossen. Ist das der entwaffnende Charme eines ehemaligen KGB-Agenten oder die natürliche Sympathie zwischen zwei professionellen Politikern? Wir werden es sehen. Auf jeden Fall, Glückwunsch zu den haushoch gewonnenen Parlamentswahlen!

Ultimaten einer lahmen Ente

Während des G8-Gipfels in Heiligendamm ließ vor allem Großbritanniens Premierminister Tony Blair scharfe Rhetorik Richtung Russland verlauten. Internationale Unternehmen, tönte er, würden Russland den Rücken kehren, falls es nicht westliche Werte teile. Bereits beim Hören dieser Worte fühlt sich jeder Kenner der üblichen Kapitalismus-Praxis und der Politik internationaler Großkonzerne zum Schmunzeln gezwungen. Noch nie haben sich diese bei der Aussicht auf fette Gewinne um irgendwelche ethisch-moralische Prinzipien gekümmert, erst recht dann, wenn sie auch von Politikern selektiv und willkürlich angewendet werden. Doch richtig Lügen strafte Blair der wenige Tage später angefangene Wirtschaftsforum in Sankt-Petersburg, auf dem sich knapp 9000 Teilnehmer aus 65 Ländern einfanden (darunter die Bosse aller führenden Energieunternehmen) und wo internationale Verträge im Wert von 13,5 Milliarden US-Dollar geschlossen wurden, vor dem Hintergrund des diesjährigen prognostizierten Kapitalzuflusses in Russland von ca. 60 Milliarden US-Dollar.

Warum macht sich Tony Blair also zum Affen? Die Antwort ist schlichter als man denkt: pure Inkompetenz, geistige Trägheit und völliges Fehlen von politischem Gespür. Jemand, der es er so weit gebracht hat, dass sein Name sofort mit dem Wort "Pudel" assoziiert wird, der von der eigenen Partei vorzeitig abgeschossen wird und inmitten von Korruptionsskandalen, von 2/3 der Briten verachtet die politische Bühne räumt, dürfte der letzte sein, der noch irgendwelche drohenden Posen einnehmen sollte. Doch andererseits passt es irgendwie doch ins Bild, wenn ein Tony Blair mal wieder kein Fettnäpfchen zum Reintreten auslässt.

Dienstag, 5. Juni 2007

Zum russisch-amerikanischen Raketenstreit

Eines der heißesten Themen beim kommenden G8-Gipfel in Heiligendamm soll laut Medienberichten der russisch-amerikanische Streit über den geplanten Aufbau amerikanischer Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien sein. Der deutsche mediale Ton ist überwiegend so, dass die erklärten amerikanischen Ziele, die Anlagen gegen "Schurkenstaaten" wie den Iran einzusetzen, weitgehend nicht in Frage gestellt werden. Obwohl die Mehrheit in Deutschland durchaus der Meinung ist, dass diese Systeme in erster Linie gegen Russland gebaut werden, wird man in den Artikeln und den Berichten führender Medien vergeblich Worte wie "angeblich" suchen, die bei der Wiedergabe offizieller russischer Standpunkte oft genug auftauchen.

Häufig bekommt man stattdessen von diversen "Kommentatoren" die ungeschminkte Vermittlung des offiziellen Standpunkts des Weißen Hauses als letzte Wahrheit. Dazu gehören etwa die Argumente wie dass 10 Raketen sowieso nichts gegen das russische Atomarsenal ausrichten könnten, dass die Raketen rein defensiver Natur sein werden und sich generell nicht gegen Russland richten. Viele machen sogar wieder Russland zum Schuldigen, denn es teste ja neuartige Atomraketen und initiiere damit eine neue Runde des Rüstungswettlaufs. Die Krone dieser Argumentation ist der Verweis auf die vermeintliche Kooperationsbereitschaft der Amerikaner: sie bieten ja den Russen an, sich am Projekt zu beteiligen und wenn Putin nicht darauf eingeht, kann das nur innenpolitisch-populistische Gründe haben.

Natürlich ist dies alles nur oberflächlich überzeugend. In Wahrheit (und die findet man in den Medien nur selten) können Abwehrraketen relativ leicht mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet werden und somit zu Offensivwaffen umgerüstet werden. Zum anderen kann niemand sicher sein oder ernsthaft kontrollieren, dass es bei lediglich 10 Raketen bleiben wird. In dieser Phase geht es den Amerikanern lediglich darum, die Stützpunkte für sich zu gewinnen, daher sind ihre Ankündigungen noch so bescheiden und friedfertig. Nachdem sie jedoch den Fuss in die Türschwelle bekommen haben, kann niemand ausschließen, dass weitere Hunderte Raketen unbemerkt von der Öffentlichkeit nach Osteuropa eingeführt werden. Wer soll das alles kontrollieren? Sogar eventuelle Kontrollvereinbarungen sind jederzeit suspendierbar, wenn es hart auf hart kommt. Die Amerikaner schaffen heute Tatsachen und wollen, dass sich andere auf ihr Wort verlassen. Globale Sicherheitsmechanismen funktionieren jedoch nicht auf diese Weise.

Die bisherigen amerikanischen Kooperationsangebote sind nur Scheinangebote, die nur unwesentliches Entgegenkommen beinhalten und sich von vornherein der russischen Ablehnung bewußt sind, um sie später als destruktive Haltung Moskaus zu präsentieren. Russland sorgt derweil vor und testet neuartige Raketen. Es wäre falsch, diese Aktionen Moskaus als größere Schritte in Richtung Rüstungswettlauf zu verstehen, als den "defensiven" amerikanischen Raketenschirm. Schließlich zielen die russischen Anstrengungen nicht auf eine Veränderung des Status Quo hin, der uns viele Jahrzehnte Stabilität beschert hat, sondern bemühen sich gerade um seine Erhaltung. Und auch die Ankündigungen der Russen, dass ihre Raketen imstande sein werden, die amerikanischen Systeme zu überwinden, sollten nicht als Drohung verstanden werden.

Die amerikanische Argumentation überzeugt zwar die meisten Menschen nicht, doch gewisse politische Eliten klammern sich an sie mit einer bemerkenswerten Zähigkeit. Vor allem ist dies in Polen und Tschechien der Fall, in denen die Regierung einer breiten Skepsis der Bevölkerung gegenübersteht. Im Grunde demonstrieren die Machthabenden in diesen Ländern ihre völlige Verachtung der Demokratie. Auf welch absurdem und servilem Niveau sich die grenzenlose Befürwortung der amerikanischen Waffen in Osteuropa mittlerweile bewegt, zeigt das selbstgemachte Lied der tschechischen Verteidigungsministerin Parkanova: "Guten Tag, Flagge mit Sternen und Streifen. Du hast dich über uns schon entrollt... Guten Tag, Radar, einfach Welcome! Endlich haben wir dich erlebt (...) Guten Tag Radar, ich applaudiere dir".

Mittwoch, 23. Mai 2007

Hetze und Belehrungen als Volkssport

Im letzten Jahr war eine Verschärfung der medialen Attacken gegen Russland nicht zu übersehen. Es ist schwer, ihren Anfang an einem konkreten Ereignis festzumachen. Vielmehr ist es wohl der Ausdruck der endgültig eingetretenen Desillusionierung amerikanischer Eliten, dass Russland doch noch als willfähriger Befehlsempfänger á la Polen zu gewinnen wäre. Die Hoffnungen darauf wollten seit der schmackhaften Jelzin-Zeit nicht so richtig vergehen. Russland wagt den Eigensinn und das reizt. Und wenn die Hetze in den USA anzieht, tut sie dies automatisch in den deutschen Springer-Medien, deren transatlantische Orientierung im Unternehmensstatut verankert ist, sowie in allen anderen Medien, die von ihnen abschreiben.

In den letzten Wochen gab es besonders viel Anlass für Putin und Russland, in die westlichen Schlagzeilen zu kommen. Da wäre der Austritt aus dem KSE-Vertrag, die Märsche Kasparows, die Ereignisse in Estland, der Streit um die Raketenabwehr, der EU-Russland-Gipfel und der Besuch Putins in Österreich. Die meisten Medien beziehen eindeutig anti-russische Positionen und fordern vor allem bei Treffen der westlichen Politiker mit Putin lautstark "deutliche Worte" und Einigkeit gegen die russische "Diktatur". Und die Politiker müssen sich oft genug dem Druck und der Stimmungsmache beugen.

Die Pauschalkritik an Putin ist zu einem eigenen medialen Genre geworden. Man versteht sie mittlerweile als etwas selbstverständliches und obligatorisches, sie gehört dazu, wie Butter in den Brei. Putins Verdienste als Politiker, gesunde Gewichtungen? Nicht doch, unzweckmäßig. Ohne die dominierenden oberlehrerhaften Floskeln ist die Putin-Berichterstattung undenkbar. Und notfalls saugt man etwas aus dem Finger, wie zum Beispiel Reportagen über den längst abgeklungenen Tschetschenien-Krieg, die das österreichische Fernsehen ORF unbedingt vor dem Putin Besuch ausstrahlen wollte. In Deutschland tun sich vor allem erzkonservative transatlantische CDU-Schnösel mit Kritik an jedweder Annäherung mit Russland hervor. Nur selten kriegt man in der gleichgeschalteten Meinungslandschaft zur Abwechslung auch mal vernünftige Stimmen zu hören.

Die sonst profillosen Politiker wie Angela Merkel nutzen die Chance, sich billige Popularität zu sichern, indem sie den hysterischen Medienchor mit harten Worten zu Gast bei Putin befriedigen, was dann als "gute Außenpolitik" gilt. Sie können selbständig denkende Beobachter jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie wenig sie doch zu etwas Konstruktivem in der Außenpolitik fähig sind. Initiativen und Visionen hat vielmehr Putin, der als Politiker von einem Maßstab ist, der das Niveau eines Barroso oder der meisten Kritiker mit verbauten Blick für die komplexe Realtität Russlands, bei weitem übersteigt. Doch Putins Visionen der Zusammenarbeit zerschellen immer wieder an der kriegerischen Feindseligkeit im Westen. Es ist schon ziemlich anmaßend, zu einem sorgfältig vorbereiteten Gipfel zu reisen (wo das beste gemacht wurde, um die von den Osteuropäern vergiftete Atmosphäre wieder zu verbessern) und dort seine obligatorische Belehrungsmasche aufzuziehen, die kaum mehr als Zerstörungspotential in sich trägt. Der Schaden bleibt bisher lediglich durch die russische Selbstbeherrschung beschränkt. Russland ist bei weitem nicht undemokratischer, als beispielsweise Südkorea, Türkei oder andere Länder. Doch ausgerechnet in Bezug auf Russland hat es sich der Westen zur Pflicht gemacht, Demokratiemängel zu entlarven, mit der unendlichen eigenen Kompetenzvermutung. Die Motive dieser Doppelmoral sind jedoch unschwer zu erkennen: Russland soll moralisch niedergehalten und zu geopolitischen Zugeständnissen gedrängt werden.

Putin reagiert auf die Kritik mittlerweile gelassen und cool. Ganz zu Recht zeigt er jedoch jedesmal die Parallelen zu westlichen Vorkommnissen auf, wie beispielsweise bei seinen treffenden Hinweisen auf die G8-Razzien in Deutschland oder auf westliche gesetzgeberische Mängel. Auch hat er unbestritten Recht, wenn er sagt, dass keine Demokratie in der Welt vollkommen sei und es auch keine Universalrezepte für eine Demokratie gebe. Putins ruhige und sachliche Antworten lassen zumindest die meisten Russen deutlich spüren, wie lächerlich und aggressiv die ständigen einseitigen Versuche des Westens sind, sich zur moralischen "letzten Instanz" aufzuspielen und die Tagespolitik mit immer neuen Vorwürfen zu vermischen.

Donnerstag, 17. Mai 2007

Das Alte Europa vor dem Scheideweg

Kurz vor dem EU-Russland-Gipfel in der russischen Stadt Samara ist man sich in der westlichen Presse quer durch die Bank darüber einig, dass die Beziehungen zwischen den beiden Seiten sehr kühl und angespannt sind. Die meisten geben dafür reflexartig Russland die Alleinschuld. Und es liege auch allein an Russland, die derzeitige Situation zu korrigieren. So schreibt beispielsweise Ulrich Speck im Weblog von "Die Zeit", Putins fehlende Zugeständnisse seien ein Zeichen dafür, dass er kein Interesse an einer Annäherung mit der EU habe. Der Journalist Paul Schulmeister vermutet in "Die Presse", Putin nütze die äußere Anspannung innenpolitisch. Keiner scheint auf die Idee zu kommen, dass auch die EU zur Entspannung beitragen könnte, indem sie ihren Teil des Störpotenzials abbaut.

Drei der wichtigsten derzeitigen Reibungspunkte bestehen in der europäischen Unterstützung der pietätlosen estnischen Totengräber und ihrer Unterdrückungspolitik gegenüber der russischen Minderheit, im polnischen Gammelfleisch, das mit gefälschten Papieren nach Russland abgeschoben wurde und in der europäischen Hysterie rund um russische Energielieferungen. Eine Hysterie, die seit den kurzzeitigen russischen Konflikten mit der Ukraine und Weißrussland Wellen schlägt, als ob sie gezielt nicht sehen wollte, dass hier Sonderfälle der postsowjetischen Wirtschaftsbeziehungen begraben wurden und die Entkopplung des Transits von den bilateralen Liefervereinbarungen gerade den Europäern zugute kam. Seitdem bläst Europa verstärkt ins Horn der Diversifikation und sorgt bei den Russen für Vertrauensverlust, dessen Ausdrücke wie der stärkere Blick nach Ostasien, in Europa wie eine selbsterfüllende Prophezeiung in Bestätigungen russland-skeptischer Sichtweisen uminterpretiert werden.

Beim genauen Hinschauen erweisen sich die Streitpunkte jedoch weniger als west-, als vielmehr osteuropäisch verursacht. Der revanchistische und unreife Umgang der Neu-Europäer mit der Geschichte, die sie zum Hauptinhalt ihrer Russland-Politik machen, steht im deutlichen Kontrast mit dem ausgewogenen Verhalten der etablierteren europäischen Nationen. So könnten sich beispielweise die Esten eine Scheibe Weisheit abschneiden, wenn sie ins benachbarte Bruderland Finnland schauen würden. Das betrifft sowohl die Trennung der Tagespolitik von der dort ebenfalls schwierigen gemeinsamen Geschichte mit der Sowjetunion, als auch den Umgang mit Minderheiten und sprachpolitischen Fragen. Die Polen könnten ebenfalls aufhören, Russland unentwegt zu dämonisieren und anfangen, westeuropäische Modelle der historischen Aussöhung und Vorteile, die sich daraus ergeben, genauer zu studieren. Auch sollten sie ihre primitive, doch unterbewusst sehr zähe, goebbels'isch anmutende Anschauung aufgeben, dass Menschen umso hoffnungs- und wertloser sind, je weiter sie im Osten leben, weshalb man ihnen auch problemlos Gammelfleisch unterschieben kann, das man selbst verabscheut. Auch in den Fragen der Energiepolitik sind es die "neuen Europäer", die am Lautesten über eine Bedrohung durch Russland schreien. Die Polen und die Balten versuchen nach Kräften, den Bau der geplante Ostsee-Pipeline zu torpedieren und alternative Routen zu konzipieren, was ihnen bisher allerdings nicht gelingt. Man hat jedoch den Eindruck, dass je erfolgloser sie in ihren Unterfangen sind, desto schärfer sie ihre russland-feindliche Haltungen in die europäische Energiepolitik einbringen.

Der Fehler der Westeuropäer liegt indes darin, dieses zügellose und unkluge Verhalten zu tolerieren. Erst langsam dämmert es einigen Politikern, welch einen Bärendienst sie sich erwiesen haben, als diese destruktiv eingestellten Geringpotenzialländer in die EU aufgenommen und mit politischem Gewicht ausgestattet wurden. Dieses Gewicht wird heute in erster Linie zur Blockade langjähriger europäischer Russland-Politik eingesetzt. Bisher praktiziert das "Alte Europa" noch eine falsch vestandene Solidartität mit der unreifen Politik der neuen Mitglieder. Doch es wird sich mit der Zeit immer deutlicher die Frage stellen, ob es das wert ist, die lebenswichtigen Beziehungen zu Russland von ihnen manipulieren zu lassen. Europa muss seine Interessen abwägen und eine historische Wahl treffen. In der einen Waagschale liegt das fortgesetzte Geiseldasein in der Hand der Osteuropäer und ihrer amerikanischen Mentoren, und in der anderen eine deutliche Zurechtweisung und Disziplinierung destruktiver Kräfte zugunsten einer freien und profitablen Außenpolitik.

Samstag, 12. Mai 2007

Der Krieg der Bilder

Es fällt immer wieder ins Auge, dass sehr oft, wenn es in den deutschen Medien um politische Ereignisse auf dem GUS-Gebiet geht, die Artikel durch Bilder Putins mit einem aggressiv verzerrten Gesicht ergänzt sind. Bekanntermaßen haben Bilder auf der unterbewußten Ebene eine weitaus stärkere Überzeugungskraft, als Worte. Deshalb werden dem Leser überproportional oft ein Paar wiederkehrende und aus dem Zusammenhang gerissene Bilder vor die Nase gesetzt, die in den vergangenen sieben Jahren von Putins Präsidentschaft in den Redaktionen gesammelt worden sind.

Geht es in der Meldung zum Beispiel um eine neue Pipeline, die Russland zusammen mit Kasachstan und Turkmenistan vereinbart hat, gibt es unbedingt ein Foto mit einem böse und aggressiv dreinschauenden Putin, als wenn es sich bei ihm um eine Mischung des nach der Weltherrschaft strebenden Dr. Evil und des brutalen Schlächters Hannibal Lecter handelt.

So wird das Image eines unberechenbaren Autokraten eingeimpft, der meilenweit vom "zivilisierten" europäischen Politikerverhalten entfernt ist. Mit solch einem Gesichtsausdruck scheint er vor allem von der Schädigung Europas besessen und fortwährend nur mit dem Poltern und Drohen beschäftigt zu sein. Kurzum, ein Bösewicht wie in einem schlechten Hollywood-Film. Dass eine solche Darstellung bei Durchschnitts-Amerikanern oft ausreichend ist, um ihre Sympathien zu steuern, ist schon seit längerem bekannt. Dass solche Methoden auch immer mehr in Europa eingesetzt werden, ist traurig und zeigt, dass die Autoren hierzulande ihre Leserschaft für immer dümmer halten...

Unten findet sich eine kleine Ausstellung beliebtester Putin-Bilder in bundesdeutschen Systemmedien:





Dienstag, 8. Mai 2007

Ein Exkurs in die polnische Psyche

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Polen heute als "neue Europäer" in der ersten Phalanx jener Staaten sind, die Russland, um es ganz vorsichtig auszudrücken, kritisch gegenüberstehen. Das ist allerdings noch keine erschöpfende Information. Wer die polnische Presse studiert, wird feststellen, dass die Polen von Russland regelrecht besessen sind. Kaum eine Ausgabe von Wprost, Gazeta Wyborcza oder Rzeczpospolita kommt ohne einen großen Artikel über Russland aus, kaum findet man in den aktuellen Artikeln der Internet-Ausgaben kein politisch korrektes Kommentar, warum und wie man diese oder jene russische Aktion zu verurteilen hat. Dabei fühlen sich die Polen jedoch richtig in ihren Gefühlen verletzt, wenn sie feststellen, dass man sie auf der anderen Seite kaum bemerkt...

Man muss die Polen (gemeint ist wohl eher ihre Elite) verstehen. Heute schöpfen sie ihre nationale Identität aus der Spezialisierung auf die Opferrolle, die sie immer gern mal Richtung des östlichen, mal Richtung des westlichen Nachbarn unterstreichen. Doch es wäre falsch, auf diese Spielchen von ihnen einzugehen. Denn beim näheren Hinschauen entpuppen sich viele ihrer historischen Klagelieder als Spiegelbilder dessen, was sie in der jeweiligen Epoche selbst mit Vergnügen praktizierten. Was Russland anbetrifft, betreiben die Polen heute eine ausschließlich von den Schatten der Vergangenheit bestimmte Politik. Und es haben sich eine Reihe von standardisierten Eckpfeilern ihres chronischen Beleidigtseins herauskristallisiert. Zum einen sind die Polen bis heute noch wütend, dass ihr Land im Jahr 1939 zwischen Russland und Deutschland aufgeteilt wurde. Doch erinnern wir uns: erst ein Jahr zuvor, 1938, nahm Polen fröhlich an der Aufteilung der zerschlagenen Tschechoslowakei teil und ergatterte sich das Teschener Gebiet. Es mag etwas kleiner sein, als die von der Sowjetunion 1939 annektierten Gebiete, doch dies lag lediglich an den bescheideneren Möglichkeiten des damaligen Polens und keineswegs an größeren moralischen Skrupeln. Denn die ethische Komponente solcher Taten ist nicht Quadratkilometer-abhängig. Auf die Erinnerung an 1938 hin, sagen die Polen immer, dass das Teschener Gebiet ja überwiegend polnisch und kaum tschechisch besiedelt war. Doch auch "Ostpolen" war überwiegend ukrainisch und weißrussisch besiedelt. Im Grunde demonstrierte Polen 1938 seine Bereitschaft, nach dem Großer-Fisch-schluckt-kleinen-Fisch-Prinzip mitzuspielen und war dann ziemlich überrascht, als sich dieses Prinzip gegen Polen selbst wendete.

Eine andere beliebte ideologische Keule gegen Russland ist Katyn. In diesem Dorf bei Smolensk wurden 1940 ca. 20.000 polnische Offiziere vom NKWD ermordet. Diese gelten in Polen heute nicht zu unrecht als Märtyrer. Doch was gern verdrängt und geleugnet wird, ist die weitaus größere Anzahl sowjetischer Gefangener, die nach dem polnisch-sowjetischen Krieg 1920 in polnischen Konzentrationslager an katastrophalen Umständen umgekommen sind, die oftmals gezielt so geschaffen und aufrechterhalten wurden. Während sich Russland für Katyn unter Jelzin bereits offiziell entschuldigte und dort eine Gedenkstätte unterhält, fehlt in Polen gänzlich der Aufarbeitungswillen, was Todeslager in Tuchol, Strzalkowo oder Pulawy angeht. Kein Wunder, würde so etwas doch gewaltig am polnischen Opfermythos kratzen.

Vielfach gehört wurde auch die Mär vom zynischen und gezielten Nicht-Eingreifen der an der Weichsel stehenden sowjetischen Truppen während des Warschauer Aufstands 1944. Auf eine wundersame Weise wird dabei völlig unterschlagen, dass der Warschauer Aufstand ja gerade dazu durchgeführt wurde, um den Sowjets zuvorzukommen und nicht unter ihre Herrschaft zu geraten. Er wurde von der polnischen Exilregierung in London angeordnet und die sowjetische Armeeführung wurde über ihn nicht mal informiert, geschweige denn um Hilfe gebeten. Zwar war das ein gutes Recht der Polen, sich selbst zu befreien, doch dann sollte man schon so konsequent sein und den Sowjets nicht vorwerfen, dass sie nicht an einem de-facto anti-sowjetischen Aufstand teilnahmen. Zumal jeder Militärhistoriker bestätigen wird, dass zum Zeitpunkt des Aufstands gerade erst die schnellsten Voraustruppen an der Weichsel standen, während der Großteil der sowjetischen Armee nach dem fast 1000 km langen Vormarsch im Zuge der Operation Bagration erst im Nachziehen war. Eine Erstürmung der Stadt ohne Konsolidierung der Kräfte und vorhergehenden Artilleriebeschuss hätte sinnloses Sterben von Zehntausenden Soldaten bedeutet...

Und natürlich sind die Polen böse wegen der 45 Jahre dauernden kommunistischen Herrschaft. Und sie war in der Tat erniedrigend und wirtschaftlich ruinös. Doch abgesehen davon, dass dafür die Westmächte, die dies zusammen mit Stalin in Jalta und Potsdam gemeinsam beschlossen und abgesegnet haben, die gleiche Verantwortung tragen, wäre hier noch eine andere Frage von Interesse. Wie würde Polen im Jahr 1989 wohl aussehen, wenn die Russen es nicht von der Nazi-Herrschaft befreit hätten? Ausgehend von Hitlers Visionen und Programmen wie Generalplan Ost darf bezweifelt werden, dass es Polen heute überhaupt als eine politische und kulturelle Einheit auf diese Erde geben würde. Die Aufzählung der wahnwitzigen Vorhaben der Nazis mit Polen möchte ich mir hier ersparen. Fakt ist, dass vier Jahrzehnte Sozialismus dagegen eine relativ harmlose Periode waren und in dieser Zeit die polnische Nation sogar um 15 Millionen Menschen gewachsen ist, während sie unter der Nazi-Herrschaft 6 Millionen Menschen verloren hat. Es gibt heute Polen als Staat und als Kultur. Und das verdanken sie nur dem russischen Soldaten. Diese zentrale Tatsache bleibt für immer bestehen, ohne dass sie je von irgendwas überwogen werden könnte. Egal wie sehr sie heute zahlreiche konjunkturtreue Heuchler totzuschweigen und zu vergessen versuchen.

Die polnische Opferrolle ist eine relativ neue Erfindung. Sie ist nicht viel älter als 200 Jahre. Davor war Polen Jahrhunderte lang ein mächtiges Reich, das vor allem in Richtung Osten eine kaltblütige und gewalttätige Eroberungspolitik betrieb. Jahrhunderte lang beherrschte Polen weite Gebiete der Ukraine und Weißrusslands und hielt sie geschickt nieder, nachdem es einst von der Verwüstung der Kiewer Rus durch die Mongolen profitierte. Ausufernde Raubzüge der Krimtataren in die Ukraine und Weißrussland wurden sogar oft begrüßt, weil sie der Schwächung dieser versklavten Völker dienten. Denn die ukrainischen Kosaken rebellierten als Reaktion auf die allgegenwärtige soziale Benachteiligung der Orthodoxen viel zu häufig und es war für den polnischen Adel immer mit viel Mühe verbunden, sie in blutigen Strafaktionen niederzuschlagen. Fast hätte man ihnen (die die Mehrheit darstellten) sogar das Recht zugestehen müssen, als dritte Staatsnation neben Polen und Litauern im Reich zu gelten... Unerhört.


Ganz problematisch war aber vor allem der unabhängige Nachbar im Osten. Er stammelte etwas Unverständliches von seiner Mission zur Vereinigung der Ostslawen und inspirierte lästigerweise das ukrainische "Bydło" (polnisch: Vieh; damals gängige Bezeichnung für die Ukrainer) zum Ungehorsam. Er war noch nicht mal katholisch und deswegen war es völlig in Ordnung, mit päpstlichem Segen und unter Ausnutzung jeweiliger interner Wirren "zivilisierende" Eroberungskriege gegen ihn zu führen. Und diese wilden und undankbaren Moskowiter, deren Bezug zu anderen Rus-Gebieten von den Polen sorgfältig geleugnet wurde, wagten es dann auch noch, die segensbringenden Polen 1612 aus dem Kreml rauszuschmeißen und ihre Marionetten abzusetzen. Dies wird heute von den Polen oft als Beleg für die unverbesserliche russische "Fortschrittsfeindlichkeit" dargestellt. Wen kümmert's da schon, dass die Polen völlig enthemmt gebrandschatzt oder etwa das Oberhaupt der russischen Kirche, den Patriarchen Hermogenes zu Tode gefoltert hatten..

Das anschließende Erstarken Russlands (das im 17. Jahrhundert noch halb so viel Bevölkerung aufwies, als die polnisch-dominierte "Republik beider Nationen") und das Überführen des polnischen Reiches "von Meer zu Meer" auf den Müllhaufen der Geschichte, kann die nach Osten hin immer arrogant auftretende polnische Szlachta-Seele bis heute nicht verdauen. Sie waren es doch, denen es vom Schicksal bestimmt war, ein Imperium zu werden, und nicht diese unzivilisierten Kreaturen aus dem Wald... Wie kann es sein, dass sich deren autokratisches System als lebensfähiger erwies, als die polnische Adelsdemokratie, bei der jeder einzelne Magnat mit seinem Veto den ganzen Staat blockieren konnte?

Die tiefsitzende Russophobie der Polen hat lange historische Wurzeln, die weit in die Rivalität früherer Jahrhunderte zurückreichen und daher sollte man sich heute über die bedingunslose Anbiederung Polens bei den Amerikanern sowie über die regelmäßige Produktion führender Ideologen der Russophobie (z.B. Zbigniew Brzezinski) nicht wundern. Man sollte sich klar machen, dass der abgrundtiefe Hass der erzkatholischen polnischen Eliten auf Russland nicht etwa in den polnischen Teilungen seinen Anfang nimmt, sondern im jahrhundertealten feudal-missionarischen Drang nach Osten und der Verbitterung über seinen "widernatürlichen" historischen Misserfolg. Die polnischen Teilungen basierten wiederum zum großen Teil auf historischen Erfahrungen der Russen mit der polnischen Feindseligkeit, die ein starkes Bestreben weckten, den ewigen Unsicherheitsfaktor an der Westgrenze loszuwerden, der inzwischen zwar merklich zahnloser geworden war, doch seiner Natur nach mit jedem Feind gegen Russland paktieren würde. Diese Gedanken sind in vielen Briefen und Tagebüchern Katharina der Großen nachzulesen...

Sic transit gloria mundi... Heute müssen sich die Polen damit begnügen, ein ohnmächtiges und belächeltes Land zu sein, das auf seine Opferdarstellung angewiesen ist und mangels der "für Außenpolitik verantwortlichen Hirnzellen" (Zitat W. Churchill) nichts besseres zu tun weiß, als Europa traditionell mit Russland-Schauermärchen zu verängstigen und eine Zusammenarbeit der EU mit Russland möglichst zu sabotieren. Polen bräuchte heute eine vergangenheitsbefreite pragmatische und reife Ostpolitik. Doch diese ist utopisch, solange es Russland psychologisch unbedingt als Gegenpol braucht, um die eigene zerbrechliche und kaum selbstgenügsame nationale Identität zu definieren. Polen möchte sich gern wieder ein bisschen stark und als zivilisatorisches Bollwerk Europas gegen Russland fühlen, ist jedoch stets mit der frustrierenden Realität konfrontiert, weder in Ost noch in West ernstgenommen zu werden.

http://www.youtube.com/watch?v=rniL3uN-i34

Mittwoch, 2. Mai 2007

"Die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts"

Wann immer uns ein Autor in einem Kommentar vom bösartigen und reaktionären Wesen Wladimir Putins überzeugen will, findet sich neben anderen standardmäßigen Anschuldigungen und Betonungen gewisser biographischer Aspekte auch obligatorisch ein putin'sches Zitat, das er einst während einer Pressekonferenz gemacht hat: "Der Zusammenbruch der Sowjetunion war die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts". Fortan wurde diese Aussage zur "reaktionären Visitenkarte" Putins in den Artikeln immer gleicher Leitpropagandisten auf den Seiten von Washington Post oder Wall Street Journal, von wo aus auch deutsche Medien fleißig die Marschroute abschauen.

Doch was war mit dieser Aussage wirklich gemeint, und ist Wladimir Putin in der Tat so verlogen, dass er auf der einen Seite von der unumkehrbaren Wahl Russlands zugunsten der Demokratie redet und sich zu Ostern neben dem Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche beim Kerzenaufstellen bekreuzigt und auf der anderen Seite dem verkrusteten kommunistischen Zeitalter nachtrauert?

Um zu verstehen, was hier gemeint war, sollte man das Wort Katastrophe überdenken. Katastrophe hat sprachlich gesehen auch eine spezifischere, engere Bedeutung, als die plumpe, die uns die Medien einreden wollen, wenn sie von Putins Nostalgie nach dem Sowjetregime erzählen. Katastrophe ist ein Synonym für Crash, Zusammenbruch. So wie Schiffs-Katastrophe. Es ist eine Beschreibung eines sachlichen Vorgangs, mehr oder weniger werturteilsfrei. Putin meinte damit das Stranden des "Sowjetschiffs", den Zusammenbruch aller seiner internen Strukturen, der Wirtschaft, des Wertesystems. Etwas anderes konnte er auch nicht gemeint haben, denn in der ersten, banaleren Variante des Wortes Katastrophe, würde er zum Beispiel den Zweiten Weltkrieg hinten anstellen, was in Russland, wo 20 bis 27 Millionen Menschen umgekommen sind, gelinde gesagt, totaler Nonsense wäre.

Deswegen ist es für mich immer mindestens die mangelnde Verstädnisfähigkeit, wahrscheinlicher jedoch bewußte Verdrehung, wenn jemand versucht, in diese Worte Putins eine Nostalgie hineinzuinterpretieren. Natürlich kann man mit dem Wort Katastrophe keine positiven Emotionen verbinden. Was Putin meinte, war die persönliche Tragödie von Millionen von Menschen, die nach 1991 in die totale Verelendung abstürzten. Auch meinte er die damit verbundene Kriminalisierung und Alkoholisierung der Gesellschaft, fallende Geburten- und steigende Todes- und Selbstmordraten und viele andere schwere Effekte des Übergangsschocks, durch den die Gesellschaft ging. Die Pleiten und die Zerstörung riesiger Unternehmen, der Abbruch zahlreicher großer Projekte, denen viele Menschen ihre ganzen Leben widmeten. Der fast bis zur vollständigen Handlungsunfähigkeit vorangeschrittene Zusammenbruch der staalichen Strukturen ist ebenfalls Teil dieses Systemkrachs, sprich -katastrophe. Ebenso wie der blutige Tschetschenienkrieg, der aus der Auflösung der Sowjetunion resultierte. Also all jene Tragödien, die der Westen kaum betroffen aus der sicheren Entfernung beobachtete und nicht nachempfinden kann. Solche Sachen kann man natürlich nicht als neutral empfinden und sicherlich klingt da auch bei Putin, wie bei jedem anderen Russen, ein großes Bedauern heraus. Doch die Sache so umzudrehen, dass Putin als verkappter Kommunist und KGB-ler die Sowjetunion lobpreist, dass er immer noch im Wertesystem des Politbüros verweilt oder sich die Unterdrückung Mittel- und Osteuropas zurückersehnt, ist ein böser rhetorischer Missbrauch und darüberhinaus eine Missachtung der Gefühle und persönlichen Schicksale vieler Russen.

Donnerstag, 26. April 2007

Westliche Stimulation des russischen Autoritarismus

In der achten und letzten Rede an die Nation des russischen Präsidenten kam vieles zur Sprache, doch zur richtigen Neuigkeit wurde vor allem ein Thema: das Moratorium Russlands auf den KSE-Vertrag über die Reduzierung konventioneller Rüstung in Europa. Dieses in der NATO immer noch nicht ratifizierte, geschweige denn eingehaltene Abkommen, bereitet in Russland ernsthafte Sorgen. Die Amerikaner, für die heute sowieso kaum noch etwas gilt, bauen neue Stützpunkte in Rumänien und Bulgarien auf, einige NATO-Länder wie die Balten haben den Vertrag noch nicht mal unterzeichnet, was der unbegrenzten Stationierung von Militär auf ihrem Gebiet Tür und Tor lässt. Und zu guter Letzt wird versucht, in Polen und Tschechien ein Raketenabwehrsystem aufzubauen, dessen Nutzen gegen "Iran und Nordkorea" sogar viele Politiker in der NATO nicht überzeugt. Bei einer Online-Umfrage der Tagesschau zeigten sich 70% der Teilnehmer der Meinung, dass dieser Raketenschild gegen Russland gerichtet ist. In Russland kann niemand ernsthaft ausschließen, dass die Amerikaner, nachdem sie erstmal den Fuß in die Türschwelle bekommen, zu ihren anfänglichen 10 Abfangraketen nicht nach und nach weitere Hunderte hinzufügen und diese mit Nuklearsprengköpfen bestücken.

Doch was liest man über all dies in den westlichen Systemmedien? Wenn überhaupt, dann am Rande. Vielmehr habe Putin wieder "gepoltert", "gewettert", "gedroht" und "attackiert". Als ob uns die Schlagzeilen sagen wollten: gegen so einen ist es vielleicht gar nicht so unangebracht, so vorzugehen wie wir vorgehen. Währenddessen zeigen sich westliche Politiker offiziell als "enttäuscht", "überrascht" und überhaupt als Unschuldslamm. Ausgerechnet die Amerikaner forderten sogleich "Vertragstreue". Im Westen ist Putins Image mit freundlicher Hilfe tüchtiger Medien mittlerweile fast schon auf dem Niveau diverser Bösewichte wie Ahmadineschad, Kim Jong Il, Lukaschenko und Chavez angelangt. Und Putin scheint auch in der Tat, nicht mehr viel vom Westen zu halten.

Aber es gab auch andere Zeiten. Kaum jemand erinnert sich noch an seine historische Rede im Deutschen Bundestag im Herbst 2001. Damals erläuterte Putin in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede eine Vision der gemeinsamen Entwicklung, erklärte den Kalten Krieg für unwiderruflich beendet und reichte den Europäern die Hand für eine neue Dimension der Zusammenarbeit auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Diese Rede, die zu einem historischen Meilenstein hätte werden können, geriet jedoch schnell in Vergessenheit. Die europäische Öffentlichkeit war nicht ernsthaft bereit, die Visionen Putins aufzugreifen. Stattdessen sahen die Europäer halb-wohlwollend halb-mitwirkend der geopolitischen Wühlarbeit der Amerikaner zu, mit der diese immer weiter in den Osten des europäischen Kontinents vordrangen. Im Rausch der eigenen Dominanz und in Vorfreude auf das "New American Century" sahen sich die Amerikaner nicht verpflichtet, irgendwelche Beschränkungen zu dulden und auf Länder Rücksichten zu nehmen, die als "Auslaufmodell" klassifiziert wurden.

Das Ergebnis der gekauften "bunten Revolutionen" im postsowjetischen Raum wurde die Machtergreifung radikal-proamerikanischer politischer Kräfte, die zwar jede Menge demokratischer Kampfrhetorik auffahren ließen, ihren Ländern aber kaum mehr echte Demokratie brachten, als ihre Vorgänger. Aufgrund fehlender geopolitischer Zweckmäßigkeit wird man in den westlichen Mainstream-Medien jedoch kaum Berichte über astronomische Wahlergebnisse, dubiose Verhaftungen der Reichen mit Freikaufoption oder unaufhörliche Prozesse gegen die Opposition in Georgien finden. Solange mit aller Kraft in die NATO gezerrt wird, interessiert das kaum jemanden. Doch es waren erst die ukrainischen Ereignisse von 2004, die in Russland eine entscheidende ideologische Kehrtwende in den Beziehungen mit dem Westen und bei den innenpolitischen Methoden einleiteten. Die Ukraine ist etwas Heiliges. Sie ist die historische Wiege Russlands, ein in jeder Hinsicht unendlich eng verflochtenes Bruderland. Sie von Russland wegzureißen wiegt deutlich schwerer, als alles andere zusammen. Hier geht es um Familiengefühle. Deshalb war die Ukraine der letzte fette Tropfen, der das russische Fass zum Überlaufen brauchte. Es wurde offensichtlich, dass der Westen nicht bereit ist, russische Interessen zu respektieren, sondern ungeachtet freundschaftlicher Rhetorik stur seine eigenen Ziele verfolgt.

Es ist in erster Linie dieses Gefühl einer belagerten Festung, um die eine immer engere Schlinge gezogen wird, das in Russland den Ruf nach einer starken Führungshand verstärkt, die den schweren Herausforderungen gerecht wird. Und auch der aufgeschreckte Staat zeigt inzwischen irrationale Überreaktionen auf noch so marginale oppositionelle Aktivitäten. Zwar entspricht die strammere Regierungsweise durchaus den Wünschen und auch den Notwendigkeiten nach den chaotischen Jelzin-Jahren. Doch es ist kaum anzunehmen, dass die Russen ohne den äußeren Druck dem Autoritarismus eine derartige Ausbreitung erlaubt hätten. Auch das von vornherein abwertende, verständnislose und angriffslustige westliche Verhältnis zu Russland blieb und bleibt dort nicht unbemerkt. Dazu sollte man wissen, dass in Russland ein relativ gut ausgebautes Netz existiert, das Artikel der amerikanischen, deutschen, polnischen oder französischen Presse ins Russische übersetzt und den Lesern zur Verfügung stellt. Dies entspricht dem ausgeprägten russischen Interesse für das eigene Bild in der Welt. Üppig besuchte spezialisierte Internet-Portale wie www.inosmi.ru oder www.inopressa.ru vermitteln den Russen das westliche Bild von ihrem Land ebenso, wie abgedruckte Übersetzungen in russischen Zeitungen. Das Ergebnis lässt sich direkt an den Kommentaren ablesen, die im Internet abgegeben werden, oder aber indirekt an den Umfragewerten der Politiker. Einer der Leser brachte es auf den Punkt: "Falls INOSMI ein Projekt der Regierung ist, dann war das ein genialer Schachzug. Denn nichts weckt in uns mehr Patriotismus, als das tägliche Lesen westlicher Vorurteile und Beschimpfungen".