Dienstag, 5. Juni 2007

Zum russisch-amerikanischen Raketenstreit

Eines der heißesten Themen beim kommenden G8-Gipfel in Heiligendamm soll laut Medienberichten der russisch-amerikanische Streit über den geplanten Aufbau amerikanischer Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien sein. Der deutsche mediale Ton ist überwiegend so, dass die erklärten amerikanischen Ziele, die Anlagen gegen "Schurkenstaaten" wie den Iran einzusetzen, weitgehend nicht in Frage gestellt werden. Obwohl die Mehrheit in Deutschland durchaus der Meinung ist, dass diese Systeme in erster Linie gegen Russland gebaut werden, wird man in den Artikeln und den Berichten führender Medien vergeblich Worte wie "angeblich" suchen, die bei der Wiedergabe offizieller russischer Standpunkte oft genug auftauchen.

Häufig bekommt man stattdessen von diversen "Kommentatoren" die ungeschminkte Vermittlung des offiziellen Standpunkts des Weißen Hauses als letzte Wahrheit. Dazu gehören etwa die Argumente wie dass 10 Raketen sowieso nichts gegen das russische Atomarsenal ausrichten könnten, dass die Raketen rein defensiver Natur sein werden und sich generell nicht gegen Russland richten. Viele machen sogar wieder Russland zum Schuldigen, denn es teste ja neuartige Atomraketen und initiiere damit eine neue Runde des Rüstungswettlaufs. Die Krone dieser Argumentation ist der Verweis auf die vermeintliche Kooperationsbereitschaft der Amerikaner: sie bieten ja den Russen an, sich am Projekt zu beteiligen und wenn Putin nicht darauf eingeht, kann das nur innenpolitisch-populistische Gründe haben.

Natürlich ist dies alles nur oberflächlich überzeugend. In Wahrheit (und die findet man in den Medien nur selten) können Abwehrraketen relativ leicht mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet werden und somit zu Offensivwaffen umgerüstet werden. Zum anderen kann niemand sicher sein oder ernsthaft kontrollieren, dass es bei lediglich 10 Raketen bleiben wird. In dieser Phase geht es den Amerikanern lediglich darum, die Stützpunkte für sich zu gewinnen, daher sind ihre Ankündigungen noch so bescheiden und friedfertig. Nachdem sie jedoch den Fuss in die Türschwelle bekommen haben, kann niemand ausschließen, dass weitere Hunderte Raketen unbemerkt von der Öffentlichkeit nach Osteuropa eingeführt werden. Wer soll das alles kontrollieren? Sogar eventuelle Kontrollvereinbarungen sind jederzeit suspendierbar, wenn es hart auf hart kommt. Die Amerikaner schaffen heute Tatsachen und wollen, dass sich andere auf ihr Wort verlassen. Globale Sicherheitsmechanismen funktionieren jedoch nicht auf diese Weise.

Die bisherigen amerikanischen Kooperationsangebote sind nur Scheinangebote, die nur unwesentliches Entgegenkommen beinhalten und sich von vornherein der russischen Ablehnung bewußt sind, um sie später als destruktive Haltung Moskaus zu präsentieren. Russland sorgt derweil vor und testet neuartige Raketen. Es wäre falsch, diese Aktionen Moskaus als größere Schritte in Richtung Rüstungswettlauf zu verstehen, als den "defensiven" amerikanischen Raketenschirm. Schließlich zielen die russischen Anstrengungen nicht auf eine Veränderung des Status Quo hin, der uns viele Jahrzehnte Stabilität beschert hat, sondern bemühen sich gerade um seine Erhaltung. Und auch die Ankündigungen der Russen, dass ihre Raketen imstande sein werden, die amerikanischen Systeme zu überwinden, sollten nicht als Drohung verstanden werden.

Die amerikanische Argumentation überzeugt zwar die meisten Menschen nicht, doch gewisse politische Eliten klammern sich an sie mit einer bemerkenswerten Zähigkeit. Vor allem ist dies in Polen und Tschechien der Fall, in denen die Regierung einer breiten Skepsis der Bevölkerung gegenübersteht. Im Grunde demonstrieren die Machthabenden in diesen Ländern ihre völlige Verachtung der Demokratie. Auf welch absurdem und servilem Niveau sich die grenzenlose Befürwortung der amerikanischen Waffen in Osteuropa mittlerweile bewegt, zeigt das selbstgemachte Lied der tschechischen Verteidigungsministerin Parkanova: "Guten Tag, Flagge mit Sternen und Streifen. Du hast dich über uns schon entrollt... Guten Tag, Radar, einfach Welcome! Endlich haben wir dich erlebt (...) Guten Tag Radar, ich applaudiere dir".

5 Kommentare:

PeWi hat gesagt…

Schon 1 Rakete kann ein Desaster in der Welt auslösen. Für mich ist das die Fortsetzung des Star-Wars-Gedanken. Die Entwicklung in Polen und der Tschechei ist sehr bedenklich. Und Amerikaner haben immer im Angriff Verteidigung gesehen. Das verheißt alles nichts Gutes.

Autor hat gesagt…

Auch wenn ich Deinen Ausführungen (wie meistens) im großen und ganzen zustimme, so muß ich doch bei einem Satz Vorbehalte anmelden:
"In Wahrheit [...] können Abwehrraketen relativ leicht mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet werden und somit zu Offensivwaffen umgerüstet werden."
Also, mit Verlaub, relativ leicht ist dies sicher nicht möglich; dazumal bisher auch alle praktischen Tests der Raketenabwehr gescheitert sind (was in Deutschland gern und oft vergessen wird) und die Raketen kaum dazu befähigt sind, ihrem eigentlichen Zweck zu dienen.

der unbequeme hat gesagt…

aber es war immer davon die rede, dass die amerikaner den abrüstungsvertrag austricksen wollen, der die reduzierung der aktiven nuklearen sprengköpfe vorsieht, indem sie sie nicht vernichten, sondern lagern, um sie im fall der fälle wieder einzusetzen. putin hat während seiner berühmten münchen-rede den außenminister gates öffentlich aufgefordert, die vernichtung seiner sprengköpfe anzukündigen, der hat die situation weggelächelt. es ist wirklich ein leichtes, die sprengköpfe auf die raketen zurückzumontieren, und wer soll außerdem kontrollieren, was für und wie viele raketen die amis in ihren silos parken? eine großstadt zu treffen ist außerdem um einiges leichter, als eine rakete in der luft abzufangen.

Autor hat gesagt…

Nur zur Präzisierung: Die Lang- und Mittelstreckenraketen und Sprengköpfe (bzw. die Abrüstungsverträge darüber) einerseits und die Raketenabwehr andererseits sind zwei technisch getrennte Komplexe, die nur sicherheitspolitisch miteinander verbunden sind.
Mit der Verifikationsfrage (wer kontrolliert die Anlagen in PL und CZ?) hast Du allerdings ganz recht.

Anonym hat gesagt…

Hallo Ihr,

wegen des Raketenschildes, es gibt verschieden Arten Atomrakten abzufangen. Eine davon ist die Züdung eines Nuklearsprengkopfes (Fission oder Fussion, beides ist möglich), um durch den dadurch enstehenden Elekttromagnetischenpuls, die Druckwelle und die Hitze, anfliegende Raketen zu zerstören. Jede Abfangrakete ab der Mittelstreckenklasse ist in der Lage einen Nuklearsprengkopf zu tragen. Ausserdem "forschen" die US-Amerikanischen Experten schon länger an sogenannten mininukes.
Das US-Amerikanische Raketen eine sehr niedrige Zuverlässigkeit haben liegt meiner Meinung nach nicht technischen unvermögen sonder eher daran, dass die Rüstungs-Wirtschaft eher an Masse als an Klasse Interessiert sein kann.
Das die Russen gleich wieder neue Raketen testeten ist wohl auch alles andere als überlegt gewesen, da es wohl nur wieder dazu führt, dass die Falken im Pentagon und im Weißen Haus ihre Propaganda Maschinen wieder mit neuen Horroszenarien füttern können.

Danke für den Blog an den Unbequemen.

pulle