Montag, 13. Juli 2009

Nabucco: Der Dumme zahlt zweimal

In Ankara wurde heute ein Abkommen über den Bau der Nabucco-Pipeline unterzeichnet, die Erdas aus dem kaspischen Raum via Türkei und Balkan nach Mitteleuropa bringen soll. Erklärter Zweck der Pipeline ist, die "Abhängigkeit von Russland zu reduzieren", indem Gasmengen aus anderen Quellen und vorbei am Russland importiert werden. Während die europäischen Medien dummfröhlich feiern, dass Russland ein "Schnippchen geschlagen" wurde, will niemand so recht das Eigentor merken, das mit den Geldern zahlender Steuerschäfchen geschossen wird. Trotz der Begeisterungsstürme im europäischen Medienzirkus wird Nabucco mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Totgeburt sein, sollte die Pipeline überhaupt jemals gebaut werden. Was heute gefeiert wurde, ist die Verpflichtung zu Kosten, während der Gewinn genauso nebulös bleibt, wie vorher.

Die Probleme beginnen schon mit der einfachsten Frage: "woher soll das Gas kommen?". Im kaspischen Raum kommen dafür nur drei Staaten in Frage, die über nennenswerte Gasreserven verfügen: Iran, Turkmenistan und Aserbaidschan. Die ursprüngliche Idee Nabuccos aus dem Jahr 2002, als das Projekt noch nicht so politisiert war, war denn auch der wirtschaftliche Gewinn aus dem Verkauf iranischen Gases in Europa. Dann aber kam im Iran Ahmadinedschad an die Macht und machte das Land im Westen verpönnt, vor allem aber in den USA, die ja ein inoffizielles Vetorecht auf europäische Handlungen besitzen. Das iranische Atomprogramm und das jüngste Vorgehen gegen die Opposition lassen den Iran aus politischen Gründen als Option für Nabucco wegfallen.

Turkmenistan, das zweitreichste Land an Erdgas in der Region, ist von seinem diktatorischem Aufbau her zwar kaum besser als der Iran, hat aber keine direkten Probleme mit dem Westen, der dementsprechend auch gern über die Steinzeit-Diktatur im Land hinwegsieht. Der Präsident Turkmenistans mit dem wohlklingenden Namen Gurbanguly Berdymuhammedow liebäugelt ebenso mit Europa als Handelspartner und macht fröhlich Zusagen... allerdings nicht nur Europa, sondern in alle Himmelsrichtungen: China, Russland, Indien und Pakistan. Experten haben mittlerweile ernste Zweifel daran, dass Turkmenistans Reserven überhaupt für all die Versprechungen reichen, die der Präsident des Landes schon getätigt hat. Vielmehr möchte sich Turkmenistan wohl alle Optionen offenhalten, um den Preis für das doch begrenzte Gas hochzutreiben. Darüberhinaus besteht beim turkmenischen Gas für Europa ein weiteres Problem: um es in Nabucco einspeisen zu können, müsste es über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan gebracht werden. Dafür wäre eine Pipeline nötig, die nicht nur aufgrund des ungünstigen Meeresprofils extrem teuer würde, sondern auch am bisher ungeregelten Status des Kaspischen Meeres und der Aufteilung seiner Gewässer noch lange die Zähne ausbeißen würde. Bei den bereits langjährigen Verhandlungen der Anrainer über diese Fragen sitzen auch Russland und der Iran mit am Tisch...

Und ausgerechnet das dritte Land, Aserbaidschan, das anfangs als sicherer Lieferant für Nabucco schien, machte kurz vor der Unterzeichnung des Nabucco-Abkommens dem Projekt einen Strich durch die Rechnung. Erst am 29. Juni sicherte Aserbaidschan Russland das Gas aus dem größten Gasfeld des Landes Shah-Deniz zu. Damit kann es nach Einschätzung der Experten aus seinen Restreserven bestenfalls nur noch 4 Milliarden Kubikmeter Gas von 31 Milliarden Kubikmeter bereitstellen, auf die Nabucco ausgelegt ist.

Als sei nichts geschehen, wurde in der Türkei die länger geplante Unterzeichnung mit großem Pomp inszeniert. Dabei wurde vorübergehend ausgeblendet, dass die Türken selbst mit das Problem Nabuccos sind. Immer wieder drohte Präsident Erdogan damit, dass Nabucco "gefährdet" sei, falls die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei nicht zügig vorankommen sollten. Auch bei der Aufteilung des transportierten Gases haben die Türken eigene Vorstellungen: 15% des Gases will das Land für sich selbst, für die Europäer bisland keine akzeptable Bedingung.

Trotz all der erdrückenden Probleme, von ökologischen Bedenken ganz zu schweigen, klammert sich die EU verzweifelt an das immer mehr politisierte Nabucco-Projekt. Die russisch-ukrainischen Gaskonflikte 2006 und 2009 haben bei gewissen Teilen der EU Panikreflexe geweckt, die nun im blinden Aktionismus münden. Groß war das pauschalisierte Geschrei von "Russlands Würgegriff", dem man sich schnellstens entziehen müsste. An vorderster Front sind vor allem senile Kalte Krieger, die sich keine große Mühe zur Analyse der Konflikte mit der Ukraine machen und stattdessen lieber auf so "verlässliche" Staaten setzen wollen, wie Türkei und Turkmenistan. Die "Abhängigkeit von Russland" ist eine oberflächliche Mär, die dem näheren Hinschauen nicht standhält. Russland ist auf die Einnahmen aus dem Gasverkauf genauso stark angewiesen und kann Lieferunterbrechungen und Rufschädigungen schlecht gebrauchen. Vielmehr sind es unsichere Transitstaaten, die sich der falschen politischen Unterstützung des Westens bewusst sind, wenn sie Sonderbedingungen für sich fordern und Rechnungen nicht bezahlen, um sich notfalls einfach aus fremdem Gas zu bedienen. Pragmatischere Kräfte der EU haben das Problem erkannt und bauen mit Russland zusammen Pipelines, die Parasiten an der russisch-europäischen Symbiose fernhalten: deutsche Konzerne bauen an der Nordstream-Pipeline mit, während die italienische ENI zusammen mit Gazprom die South Stream-Pipeline vorantreibt.

Aus russischer Sicht kann der Bau Nabuccos ruhig erfolgen. Vladimir Putin sagte einmal, dass er nichts dagegen habe, "wenn Europäer ihr Geld unbedingt in Sand setzen wollen". Durch fehlende Garantien der Rentabilität muss die Finanzierung auch immer mehr auf Staatskassen verlegt werden, da private Investoren verständlicherweise einen immer größeren Bogen um das Projekt machen. Wenn sich Europa erst die Finger mit einem Fiasko-Projekt verbrennen muss, um zu verstehen, was es an Russland als Lieferanten hat und wie verfehlt seine Energie-Außenpolitik ist, dann muss es eben so sein... Bis dahin kann es Nabucco, wie der österreichische Politologe Gerhard Mangott es ausdrückte, aber immerhin als "Showcase" gebrauchen.