Sonntag, 17. Januar 2010

Orange gibt's nur noch in Holland

Der erste Wahlgang in der Ukraine ist vorbei. Die vorläufigen Ergebnisse sehen Viktor Janukowitsch mit ca. 10% Vorsprung vor seiner Rivalin Julia Timoschenko. Der nationalistische Präsident Juschtschenko, einst von den Westmedien als strahlender Held gefeiert, landet weit abgeschlagen auf Rang sechs mit ca. 5% der Wählerstimmen.

So ist auch der Ausgang der aktuellen Wahl für die Westmedien eine eher unbequeme Angelegenheit. Nur schwer lässt es sich der eigenen Öffentlichkeit erklären wie sehr die ideologisch gefärbte Berichterstattung von damals daneben lag, die jeden zum heldenhaften Demokraten hochstilisierte, der Russopobie durchblicken ließ.

Die fünf Jahre an der Macht nutzte der inkompetente Mann auch dazu, die nationalistischen Gebetsmühlen zu drehen, anstatt die wahren Probleme des Landes anzupacken. Während die Wirtschaftswachstum nach seiner Wahl von 12% unter Janukowitsch rapide fiel, kümmerte sich Juschtschenko ausschließlich um die posthume Verleihung von Heldenorden an SS-Hauptmänner wie Roman Schuchewytsch oder die propagandistische Ausschlachtung der stalin'schen Hungersnot von 1933 gegen das heutige Russland. Zu den anderen Lieblingsbeschäftigungen gehörte die Anfachung von Gaskonflikten mit Russland und das Zerren eines Landes in die NATO, dass laut Umfragen zu bis zu 80% dagegen ist. Mit dem von Juschtschenko verkauften Raketenwerfern lancierte sein Herzensfreund Saakaschwili einen Angriff auf die schlafenden Zivilisten Südossetiens. Die allermeiste Zeit verbrachte Juschtschenko allerdings im Dauerstreit um die Macht mit seiner ehemaligen Revolutionsgefährtin, die er gegen Ende seiner Amtszeit sogar als Pennerin oder Tod mit Zopf beleidigte.

Währenddessen passierte rein gar nichts, was die ideologischen Pfeiler der damaligen Orangenen Revolution hätte bestätigen können, um die Beschuldigten endgültig zu erledigen. Gemeint sind mythischen Legenden, wie die sogenannte Vergiftung Juschtschenkos, die "massive russische Einmischung" und die angebliche Wahlfälschung. Obwohl der Präsident dazu in den fünf Jahren an der Macht alle Möglichkeiten hatte, wurde weder das eine noch das andere aufgeklärt oder bewiesen. Die einzige Legitimation für die fünf Jahre Juschtschenko an der Macht bleibt eine undurchsichtige Entscheidung eines Gerichts, dem Juschtschenko wenig später bei den Parlamentswahlen selbst nicht mehr vertraute.

Am Ende seiner Präsidentschaft stellt der Held des Westens vor dem Scherbenhaufen seiner Politik. Er stellte übrigens einen weltweiten historischen Anti-Rekord auf, denn noch nie ist es einem amtierenden Präsidenten gelungen, auf 5% Vertrauen abzusacken. Eine Quittung für Inkompetenz und die Mißachtung realer Probleme eines Landes, das sich im freien Fall befindet. Erst vor kurzem unterschritt die Bevölkerungszahl der Ukraine infolge horrender Sterblichkeit und Auswanderung die 46-Millionen-Marke. Beim Zerfall der UdSSR waren es noch 52 Millionen. Eine beispiellose Entvölkerung, während die Machthabenden es vorziehen, sich auf die Historie zu konzentrieren. Das BIP/Kopf der Ukraine beträgt weniger als die Hälfte des russischen und ca. 70% des weißrussischen. Die Einkommen der Bevölkerung befinden sich auf einem erschreckenden Niveau.

Eine Quittung aber auch für die antirussische Politik. Auch dem Westen dämmert es, dass Juschtschenko nicht infolge der russischen Einmischung, sondern der realen Wahl des ukrainischen Volkes gestürzt wurde. Erst jetzt kommt die Erkenntnis, dass das ukrainische Volk einen NATO-Beitritt wirklich nicht will und das Umfragen, die zeigen, dass sich 80% der Ukrainer für gute Beziehung zu Russland aussprechen, einen nicht zu vernachlässigenden Hintergrund haben. Generell ist die Beobachtung der Ereignisse in der Ukraine in den Westmedien ein wehmütiger Kampf zwischen Wunschvorstellung und Realität. In Warschau, London, Washington würden viele nur zu gerne die Fortsetzung der antirussischen Politik Juschtschenkos sehen. Die Kommentare räumen Fehler ein, die nicht zu leugnen sind. Zu tölpelhaft seien die Revolutionäre zur Sache gegangen, man hätte es vorsichtiger und cleverer machen sollen. Die Fehler werden in der Taktik eingeräumt, nicht jedoch in der Strategie. Während Warschau 2004 noch lautstark die sofortige Aufnahme der Ukraine in die NATO und EU forderte, erkennt man nun die Chancenlosigkeit einer derartigen Radikalität, lässt die Ziele aber nicht wirklich fallen. So richtet man sich nun auf die Frage ein: wie kann man mit dem Verlust Juschtschenkos dennoch die antirussische Ukraine beibehalten?

Wer von den beiden Kandidaten das Präsidentenamt erobern will, muss sich die Stimmen des "Königmachers" Sergei Tigipko sichern, der auf ein Ergebnis von 13% gekommen ist. Die Chancen des dämonisierten Viktor Janukowitsch stehen jedoch leicht besser. Der Westen steht somit vor einem selbstverursachten Dilemma: er wird womöglich einem Mann zu tun haben müssen, den er selbst vorschnell zum Aussetzigen stilisiert hat.