Freitag, 16. März 2007

Die estnischen Leichenfledderer

In Estland läuft schon seit vielen Monaten das traurige Schauspiel um die im Zentrum von Tallinn liegende Begräbnisstätte sowjetischer Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg bei Kämpfen in Estland ihr Leben verloren. Die herrschenden Parteien wollen auf populistische Art und Weise ein Gesetz durchdrücken, durch das die sterblichen Überreste gefallener Soldaten ausgebuddelt und an eine unbedeutende Stelle abtransportiert werden sollen. Außerdem soll das Denkmal des "Bronzenen Soldaten" abgerissen werden.

Dieser Ausfall ist die neueste aus der Reihe baltischer Ideen, wie man Russland gegen das Schienbein treten kann. Warum die Balten immer wieder solche Skandale brauchen, ist klar: eine Radikalisierung der Beziehungen mit Russland sowie erhoffte Überreaktionen von der russischen Seite sollen dem Westen als Beweis der "russischen Bedrohung" dienen und ihn zu mehr materieller und geistiger Unterstützung Estlands animieren.

Besonders zynisch erscheinen die estnischen Aktionen vor dem Hintergrund dessen, dass die Gedenkstätte ausschließlich den Gefallenen gewidmet ist. Soldatengräber werden in allen europäischen Ländern geehrt, egal welcher Seite sie gehören. Erst recht, da unter den Befreiern Tallinns am Ende des Zweiten Weltkrieges und den Gefallenen auch Esten waren. Weder glorifiziert die Gedenkstätte die Sowjetunion, noch wird der Anschluß Estlands an sie verherrlicht. Das Monument des Bronzenen Soldaten zeigt nicht etwa einen Eroberer, der mit aufgerichtetem Maschinengewehr zähneknirschend richtung Feind marschiert, wie es bei Denkmälern für SS-Angehörige der Fall ist, die im EU-Land Estland in letzter Zeit wie Pilze aus dem Boden sprießen. Das Monument zeigt einen von stiller Trauer und Schmerz erfüllten Soldaten, der mit gesenktem Haupt und geschlossenen Augen seine gefallenen Kameraden gedenkt.

Die Esten machen einen gravierenden moralischen und ethischen Fehler, indem sie nicht zwischen dem in der Tat grausamen Sowjetregime und dem einfachen Soldaten differenzieren wollen, der im Glauben an das Gute kämpfte und der davon überzeugt war, die Länder Osteuropas von der faschistischen Tyrannei zu befreien. Auch für die Esten war in der Endsiegwelt der Nazis kein viel besseres Schicksal, als für die "slawischen Untermenschen" vorgesehen, egal wie sehr sich viele Esten bei den Nazis anbiederten und die übelste Drecksarbeit vor allem bei Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung übernahmen.

Das richtig tragische an dieser Geschichte ist, dass derartige Provokationen nicht bloß die zwischenstaatlichen Beziehungen belasten, denn diese sind ohnehin kaum noch weiter abzukühlen. Vielmehr säen solche Aktionen tiefgehende und lang anhaltende zwischenethnische Abneigungen bei einfachen Menschen, die der Politik eigentlich fern sind. Der Angriff auf das Heilige lässt viele aus ihrer politischen Indifferenz aufwachen und dieser Schaden, der sich auch auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene niederschlägt, wird für Estland noch eine lange Zeit nicht gutzumachen sein. Estland muss noch vieles tun, um das wirkliche Recht zu bekommen, sich ein zivilisiertes europäisches Land zu nennen.