Mittwoch, 30. April 2014

"Vorsicht, Russen!"

Ukrainische Intellektuelle und Journalisten, die auch von der deutschen Mainstream-Presse gern als Gastschreiber ausgewählt werden, stellen oftmals ein und dieselbe Frage: Wo gibt es in der Ukraine Faschisten? Wer hat sie gesehen? Ukrainische Faschisten sind ein Mythos der russischen Propaganda, behaupten sie auch in den deutschen Medien. Sie hätten das ganze Leben in der Ukraine verbracht und noch keine ukrainische Faschisten gesehen.

Sie sehen keinen Faschismus in den Fackelzügen der "Swoboda"-Anhänger, die zu Tausenden die Hand zum Nazi-Gruß erheben und "Ukraina ponad use!" (Ukraine über alles!) grölen. Sie sehen ihn nicht in den bewaffneten Kämpfern des "Rechten Sektors" mit Wolfsangeln an den Ärmeln. Sie sehen ihn nicht in der gewaltsamen und totalen Ukrainisierung der Bevölkerung und auch nicht im medialen und ideologischen Totalitarismus.

Die ukranische Intelligenzija möchte den Faschismus in der Ukraine einfach nicht erkennen. Nun gut, falls ihr solche Ausprägungen nicht als Faschismus gelten, sollte sie vielleicht die Präsentationen des sogenannten kulturologischen Projekts "Ukrainische kulturelle Front" besuchen. Es wird von mehreren Kiewer Künstlervereinigungen und Verlagen organisiert und ist gerade auf die feine ukrainische Intellektuellenschicht als Zielgruppe ausgelegt.

Diejenigen, die am 24. April die "interaktive Installation" der Ukrainischen kulturellen Front unter dem Namen "Vorsicht, Russen!" nicht besuchten, haben viel verpasst. Nach der Idee der Künstler sollte sie das ganze widerliche Wesen des Russen und des russischen Volkes darstellen.

Für diesen Zweck wurden Individuen mit Sankt-Georgs-Bändern in Metallkäfige gesteckt, die, mitten im Dreck sitzend, nach Kräften versuchten, degenerierte Untermenschen darzustellen. Sie hatten Wodka, russische Fahnen, Waffen und Putin-Portraits dabei. An den Metallkäfigen hingen Schilder wie "Bitte nicht füttern", "Bitte nicht zu nah herantreten". Offenbar wollten die ukrainischen Künstler auf diese Weise das primitive, animalische und gefährliche Wesen der Russen darstellen.

Ähnliche "Performances" hat seinerzeit die Propaganda des Dritten Reichs organisiert. Das Nazi-Regime wollte wie die heutigen ukrainischen "Kulturträger" seinen Bürgern die unmenschliche, animalische Natur der Russen zeigen, was nach Ansicht der Machthaber, den Deutschen die Augen öffnen und die Behandlung der russischen "Untermenschen" wie Tiere psychologisch erleichtern sollte.

Frage an die feine ukrainische Intelligenzija: wie kann man diese küstlerische Ausstellung mitten in Kiew qualifizieren, wenn nicht als Ausprägung des ukrainischen Faschismus? Kann man den russischsprachigen Regionen wirklich verübeln, dass sie von diesem neofaschistischen Regime das Weite suchen?


Sonntag, 27. April 2014

Ein Kalter Krieg 2.0 kommt dem Westen nicht ungelegen

Infolge des Maidan-Umsturzes haben sich die Beziehungen des Westens und Russlands beinahe auf das Niveau des Kalten Krieges abgekühlt. Fast täglich ist von neuen Sanktionsdrohungen gegen Russland zu hören, begleitet von schamloser Schuldumkehr in den Medien. Obwohl bislang keine stichhaltigen Beweise für die russische Beteiligung am Aufstand in der Ostukraine vorgelegt wurden (die "Beweisfotos", die bis jetzt veröffentlicht wurden, waren an Lächerlichkeit kaum zu überbieten), soll Russland trotzdem wie ein Schulbube bestraft und an der Eskalationsschraube weitergedreht werden.
US-Vize Joe Biden fühlt sich im Sitz des ukr. Premiers wohl

Dabei ist nichts davon bekannt, dass Russland die Rebellen mit Milliardensummen unterstützt, wie es etwa US-Politikerin und Maidanpilgerin Victoria Nuland in Bezug auf die Oppositionsparteien und NGOs zugegeben hat, die hinter dem Maidan-Umsturz standen. Kein Politiker der Russischen Föderation fuhr zu den Barrikaden in Donezk und Slawjansk und rief die Aufständischen zu verstärktem Kampf auf, obwohl es im Grunde um die Angehörigen desselben Volkes und den Kampf um ihre Rechte handelt. Die Amerikaner interessieren sich weder für Fakten, noch dafür, dass die Bewohner der Ostukraine auch ohne Russland ausreichend eigene Gründe und Motivation haben, die Zentralregierung abzulehnen.

Russland soll nach Darstellung der Amerikaner für die Nicht-Umsetzung der Vereinbarungen von Genf bestraft werden, während die Nicht-Umsetzung seitens der Kiewer Regierung entweder völlig ignoriert wird oder unter fadenscheinigen Begründungen heruntergespielt wird. So erklärte etwa Sprecherin der US-Regierung Jennifer Psaki, die Maidan-Besetzer von Gebäuden in Kiew hätten dazu eine Lizenz. Der bewaffnete ultranationalistische Rechte Sektor gehört nach Ansicht der USA und der Kiewer Junta nicht mehr zu den illegal bewaffneten Gruppierungen, da er in den letzten Wochen hastig als neue Nationalgarde umfirmiert wurde. Dass dieser Trick aus der Sicht der russischsprachigen Ostukrainer, die Angst um ihre Sicherheit haben, überhaupt keinen Unterschied ausmacht und sie deswegen die Waffen nicht ablegen werden, ist den Falken in Washington und Brüssel völlig schnurz. Sie sind nicht an tragbaren und fairen Lösungen, sondern an der bedingungslosen Aufgabe des Gegners, alternativ aber auch an der Eskalation interessiert.

Das Recht, für die eigenen Interessen und Freiheit einzustehen, das bei den Maidanisten in Kiew unterstrichen wurde, soll offenbar nicht im selben Maße für die Ostukrainer gelten. Dabei gingen diese monatelang friedlich auf die Straße, um für eine Föderalisierung des Landes und die Gleichberechtigung der russischen Sprache zu protestieren. Auf der bedingungslosen Unterstützung des Westens bauend, haben jedoch die neuen Machthaber von Kiew jeglichen Dialog mit diesen Menschen verweigert und trugen maßgeblich zur Radikalisierung bestimmter Schichten in der Ostukraine bei. Dabei setzt sich auch heute die große Mehrheit noch nicht für eine Abspaltung, sondern für eine legitime Föderalisierung ein. Ohne einen Dialog und mit zunehmender Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage riskiert Kiew jedoch eine weitere Verschärfung der Proteste und der Forderungen. Die USA denken aber nicht daran, Kiew zu einer konstruktiven Lösung zu drängen, und glänzen stattdessen durch Doppelmoral, wenn sie heute von einem Recht auf Gewalt durch den Staat sprechen, das sie Janukowitsch zuvor strikt absprachen.

Die EU lässt sich im geopolitischen Spiel der USA gegen Russland willfährig vor den Karren spannen. Dabei übersieht man jedoch, dass das gleichzeitig ein Spiel der USA gegen Europa ist. Gegen die langsam zur Neige gehende Vormachtstellug ankämpfend, setzen die USA mit dem Maidan-Putsch und der verbalen Aufrüstung einen ausgeklügelten Keil zwischen Russland und Europa an, um beide Seiten gleichzeitig zu schwächen. Dabei haben sie selbst kaum etwas zu verlieren, denn ihr eigenes Handelsvolumen mit Russland umfasst lediglich 26 Milliarden US-Dollar. Im Gegesatz dazu beträgt das Handelsvolumen zwischen der EU und Russland 370 Milliarden US-Dollar. Wirtschaftliche Sanktionen und ein politischer Winter zwischen Europa und Russland würden vor allem diese beiden Akteure schwächen, während die USA ihre Vormachtstellung in Europa festigen könnten.

Der einzige Vorteil für die europäischen Eliten aus dem neuen Kalten Krieg mit Russland ist eine vorübergehende politische Rekonsolidierung der krisengeplagten Europäischen Union und eine Reanimation der europäischen Einheitsrhetorik. Die handfesten Einbußen durch eine neue politische Spaltung des Kontinents sind jedoch in Wirklichkeit schwerwiegender. Dass die USA mit all ihren Waffenlobbyisten den Kalten Krieg 2.0 vorantreiben, ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist jedoch, dass sich die europäische politische Elite wie amerikanische Statthalter aufführt, anstatt an das langfristige Wohl ihrer Völker zu denken.

Freitag, 18. April 2014

Die Totgeburt von Genf

Großspurig verkündeten die Medien am Donnerstag, dass Russland beim Krisentreffen in Genf der Entwaffnung der Separatisten zugestimmt habe. Damit wurde suggeriert, dass Russland nun sowohl die Verbindung zu den Separatisten zugibt, als auch einen Rückzieher macht. Damit alles plausibel aussieht, wurde noch vage von einer Rücknahme der Sanktionen spekuliert, die Russland angeblich in Aussicht gestellt worden sei.

Wieder mal ist es ein leuchtendes Beispiel für die einseitige Verdrehung von Tatsachen. Im Enddokument von Genf steht nichts von Separatisten, sondern von der Entwaffnung aller illegal bewaffneter Gruppierungen und der Räumung aller besetzter Häuser und Plätze. Damit sind also auch der Rechte Sektor und die verbleibenden Maidan-Besetzer gemeint. Dass aber diese entwaffnet werden ist völlig utopisch. Bereits im Abkommen vom 21. Februar hatte sich die damalige Opposition und die jetzige Regierung verpflichtet, die radikalen Kräfte zu entwaffnen und den Maidan zu räumen, was einen Tag später aber schon wieder Makulatur war.

Die Bewaffnung der Donezker Aufständischen wurde maßgeblich auch durch die Gefahr umherstreunender Nationalisten mitverursacht, die drohten, die Andersdenkenden in der Ostukraine mit Waffengewalt zu "befrieden". Daher ist es nur folgerichtig, wenn die Aufständischen sich weigern, ihre Waffen niederzulegen, bevor die Gefahr seitens der nationalistischen Paramilitärs gebannt ist. Dazu fehlt der Kiewer Regierung aber sowohl der Wille, als auch die Fähigkeit.

Am Status Quo wird sich auch nach Genf nichts ändern. Die Zeit arbeitet aber gnadenlos gegen die Kiewer Putschisten. Der Staat steht vor der Zahlungsunfähigkeit und dem totalen wirtschaftlichen Kollaps. Die russische Stütze wurde verantwortungslos verspielt und der Westen wird ebenfalls kaum Milliarden locker machen. Der Westen verspürt gegenüber den Ukrainern keine bruderschaftlichen Gefühle, er will sein Geld immer zurückhaben. Und er wird sie nicht in ein schwarzes Loch an unzuverlässige Gestalten pumpen, die bislang noch nicht einmal das Diktat des Maidans abschütteln konnten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das verarmte Volk und der unterbezahlte Staatsapparat gegen die Putschisten wendet und sie fortjagt. Ob die Ukraine dann in ihren jetzigen Grenzen überhaupt noch zusammenzuhalten ist, steht dann in den Sternen.

Freitag, 11. April 2014

"Putins Drohungen" oder wie man Fakten auf den Kopf stellt

Die deutschen Medien holen wieder den Klassiker raus: Panikmache mit dem Szenario, dass der böse Diktator Putin dem Westen "kurzerhand" den Gas-Hahn zudreht.

Den unmittelbaren Anlass dazu bildete der Brief, den der russische Präsident am Donnerstag an mehrere Staaschefs Europas verschickte. Er enthielt eine Warnung davor, dass die wirtschaftliche Krise in der Ukraine den Gastransit nach Europa beeinträchtigen könnte. Danach hagelte es empörte Schlagzeilen über "Putins Erpressung", "Putins Drohungen" und "Gas als politische Waffe", verbunden mit neuen Forderungen nach Verringerung der Energieabhängigkeit von Russland.

Entweder handelt es sich um unterirdischen Journalismus oder aber um gezielte Propaganda und Faktenverdrehung. Die Fakten sehen so aus, dass die Ukraine durch chronische Nichtbezahlung riesige Schulden bei Russland angehäuft hat, trotz diverser Rabatte, die in den letzten Jahren gewährt wurden. Seit April hat Russland jedoch jegliche Rabatte wegen Wegfall ihrer Grundlagen* gestrichen und besteht auf einem Preis von 485 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter, was die sogenannte Regierung in Kiew strikt ablehnt und als politische Bestrafung bezeichnet. Dabei resultiert dieser Preis aus dem Vertrag, den die jetzige Heldin Julia Timoschenko 2009 in Moskau abschloss und für den sie unter Janukowitsch wegen Staatsschädigung ins Gefängnis musste. Das ist nicht der einzige Widerspruch in der Position der heutigen Putschisten.

Zwar wird Ergdas weiterhin an die Ukraine geliefert, doch Russland wird dem steigenden Schuldenberg der Ukraine nicht mehr lange tatenlos zusehen. Denn es handelt sich de facto um Milliardentransfers, die die russophobe Junta stützen, während der Westen nur leere Absichtserklärungen zur Unterstützung der Ukraine abgibt und harte soziale Einschnitte fordert. Da die preisliche Vertragseinhaltung durch Kiew sowie seine Schuldentilgung unwahrscheinlich sind, wird Russland nun mit großer Sicherheit demnächst seine Lieferungen an die Ukraine einstellen, wie es jeder Energieversorger bei säumigen Kunden ebenfalls tut.

Das ist jedoch nicht automatisch gleichbedeutend mit dem Lieferstopp an Europa, denn es handelt sich eigentlich um unterschiedliche Leitungen. Das Problem kommt erst dadurch zustande, dass die Ukraine in solchen Fällen immer illegal die Transitleitung anzapft, um ihren Gasbedarf zu decken. Genau das ist die Gefahr, vor der Putin die europäischen Staatschefs nun warnt.

Es dürfte einleuchten, dass Russland ein vitales Interesse an der Kontinuität der Lieferungen und der Deviseneinnahmen hat und nicht am primitiven Dem-Westen-Eins-Auswischen. Ein Lieferstopp über die Nordstream-Pipeline stand nie zur Debatte. Das Problem betrifft nur den ukrainischen Transit und das ukrainische Verhalten, bei dem europäische Kunden quasi als Geiseln der Zahlungsunfähigkeit dieses Landes genommen werden. Doch der Westen befeuert das Problem sogar noch weiter, indem er aus geopolitischem Blockdenken heraus den Druck nicht auf den Wegelagerer, sondern auf Russland ausübt. Zudem wird das problemverursachende Land durch Unterstützung des illegalen Umsturzes weiter politisch und ökonomisch destabilisiert. Und wenn Russland im Endeffekt das tut, was nach allen marktwirtschaftlichen und rechtlichen Kriterien die natürliche Konsequenz ist, heißt es, Mr. Evil aus dem Kreml will uns das Gas abdrehen.

Bei einer solchen verfehlten Politik Europas, die die Versorgungsgrundlage zerstört, in absurder Erwartungshaltung, dass Russland weiterhin den Kiewer Drift nach Westen finanziert, kann man sich nur fragen, wessen Interessen Europas Politiker hier verteidigen. Es sind ganz klar nicht die wahren europäischen Interessen, sondern die Interessen äußerer Mächte, die eine russisch-europäische Annäherung und Zusammenarbeit torpedieren wollen.


* Ein Rabatt von 100 US-Dollar wurde ab 2010 als Vorauszahlung für die Verlängerung der Nutzung der Schwarzmeerhäfen nach 2017 gewährt. Ein anderer von 117 US-Dollar wurde ab Dezember 2013 quartalsweise gewährt, wenn die Ukraine rechtzeitig ihre Rechnungen zahlt, was jedoch sofort wieder verletzt wurde.

Sonntag, 6. April 2014

Wie weiter mit der Ukraine-Krise?

Prorussische Proteste in Donezk
In den vergangenen Wochen ist es in den deutschen Medien etwas ruhiger um die Ukraine geworden, doch das Problem ist keineswegs vom Tisch. Die Zeitbombe tickt weiter, die wirtschaftliche Situation verschlechtert sich immer mehr und die politischen Widersprüche innerhalb der Ukraine sind keineswegs gelöst. Die chauvinistisch-nationalistische Linie der neuen Machthaber verfolgt das Ziel einer ethnisch und kulturell homogenen Ukraine, trotz der Tatsache, dass das Land historisch aus völlig unterschiedlichen Regionen und Bevölkerungsgruppen zusammengesetzt wurde, die deutliche Differenzen in Sprache, Religion, wirtschaftlicher Struktur und historischem Bewusstsein haben.

Die Kiewer Junta will von einer Föderalisierung des Landes nichts hören, obwohl gerade ein solcher Staatsaufbau die Spannungen auffangen und die auseinanderfallende Ukraine in den heutigen Grenzen retten könnte. Jeder, der die Worte Föderalisierung oder Dezentralisierung in den Mund nimmt, wird als Separatist und Verräter gebrandmarkt oder sogar strafverfolgt. In den ukrainischen Medien hat sich eine harte Zensur eingestellt, gegen die die mediale Situation unter Janukowitsch wie ein Eldorado der Freiheit aussieht. Alles, was gegen die Maidan-Bewegung und die neuen Machthaber spricht, wird entweder ausgeblendet oder dämonisiert. Die Kabelnetzbetreiber wurden gezwungen, die eigentlich ziemlich populären russischen Sender aus dem Angebot zu nehmen, damit keine alternative Sichtweise auf die Vorgänge möglich ist. Die Krim wird gegen jegliche Realität als ein Hort der Gewalt gegen die dortigen Bewohner dargestellt, es wird eine diffuse Kriegsangst geschürt.

Oligarch und Präsidentschaftskandidat Petro Poroschenko
Die Situation führt dazu, dass die Protestbewegung im Süden und Osten des Landes immer weiter zunimmt. Die russischsprachige Mehrheit des Südostens will kein Kiewer Diktat in wirtschaftlichen und kulturellen Fragen, außerdem sollen Einschüchterungen und Verhaftungen der Aktivisten aufhören. Nicht zuletzt seit Timoschenkos mitgeschnittenen Haßtiraden weiß man, was die neuen Machthaber in Kiew mit dem Südosten vorhaben. Die für den 25. Mai geplanten Präsidentenschaftswahlen werden im Südosten mit äußerster Skepsis gesehen, da an ihren fairen Ablauf angesichts der aktuellen De-facto-Diktatur stark gezweifelt wird. Den wenigen prorussischen Kandidaten, vor allem dem von der Partei der Regionen aufgestellten Michail Dobkin traut man nach seiner Einschüchterung seitens der Nationalisten nicht über den Weg. Er wird als ein marionettenhafter Statist wahrgenommen, der den Wahlen einen fairen Anstrich verleihen soll. Vielfach sind daher Aufrufe zum Boykott der anstehenden Wahlfarce zu hören.

Der Westen scheut indes eine seriöse und verantwortungsvolle Diskussion über die Zukunft der Ukraine und feilt stattdessen an der Konfrontationsrhetorik gegenüber Russland. Das vewundert kaum, denn das neue alte Feindbild eignet sich gut für die so nötige innere Konsolidierung und die Ablenkung von wirtschaftlichen Problemen. Doch die Welt hat sich weitergedreht. Weder unterstützt die europäische Bevölkerung einen Anti-Russland-Kurs, noch erlauben es die heutigen wirtschaftlichen Verflechtungen, einen Handelspartner wie Russland zu verlieren. Die im bisherigen hastigen Aktionismus verabschiedeten Sanktiönchen, wie etwa der "Ausschluss" Russlands auf der G8, beschlenigen sogar den Übergang zur globalen Multipolarität, denn anstelle dieses sterbenden Formats wird nun wohl engdültig die G20 treten. In ihr haben die BRICS-Länder eine gewichtige Stimme, die in vielen weltpolitischen Fragen eine ähnliche Position wie Russland haben. So wird die Vormachtstellung des Westens auch institutionell abnehmen, nachdem sein Anteil am globalen BIP von ca. 80% im Jahre 1990 auf etwa 50% heute zusammengeschlozen ist, Tendenz weiter fallend.

Die deutsche Bundeskanzlerin bemüht sich nach Kräften, Russland zu isolieren und unterstellt Putin ein territoriales Denken, das in Europa angeblich längst überwunden wurde. Dabei vergisst sie gern zwei Sachen. Zum einen ist auch das heutige Europa nicht frei von separatistischen Bewegungen, zum anderen dienten als Grundlage für die Beilegung von territorialen Streiten zwischen Staaten die garantierten Minderheitenrechte. So können beispielsweise die Österreicher halbwegs beruhigt auf Südtirol blicken, da die dortigen Bewohner weder sprachlich noch politisch diskriminiert werden. Doch für die Russen im Baltikum (die einen schändlichen Status "Alien / Fremder" innehaben) oder etwa in der südöstlichen Regionen der Ukraine sollen diese Minderheitenrechte nicht gelten. Es ist diese politische Selektivität der Wahrnehmung und des Engagements des Westens, die seine Glaubwürdigkeit als moralische Instanz völlig untergräbt. Solange der Westen aber nicht bereit ist, für die großen diskriminierten russischen Minderheiten an einer würdigen Lösung im Sinne der gesamteuropäischen Praxis mitzuwirken und seine geopolitischen Spielchen gegen Russland zu beenden, wird die Ukraine ein Brandherd bleiben, der die europäisch-russischen Beziehungen jahrelang vergiften und die Sicherheit in Europa untergraben wird. Dass das im Interesse der Vereinigten Staaten liegt, um als dominanter Schutzherr in Europa bleiben zu können, ist unschwer zu erkennen. Doch inwiefern liegt das alles im Interesse der Europäer?