Mittwoch, 23. Mai 2007

Hetze und Belehrungen als Volkssport

Im letzten Jahr war eine Verschärfung der medialen Attacken gegen Russland nicht zu übersehen. Es ist schwer, ihren Anfang an einem konkreten Ereignis festzumachen. Vielmehr ist es wohl der Ausdruck der endgültig eingetretenen Desillusionierung amerikanischer Eliten, dass Russland doch noch als willfähriger Befehlsempfänger á la Polen zu gewinnen wäre. Die Hoffnungen darauf wollten seit der schmackhaften Jelzin-Zeit nicht so richtig vergehen. Russland wagt den Eigensinn und das reizt. Und wenn die Hetze in den USA anzieht, tut sie dies automatisch in den deutschen Springer-Medien, deren transatlantische Orientierung im Unternehmensstatut verankert ist, sowie in allen anderen Medien, die von ihnen abschreiben.

In den letzten Wochen gab es besonders viel Anlass für Putin und Russland, in die westlichen Schlagzeilen zu kommen. Da wäre der Austritt aus dem KSE-Vertrag, die Märsche Kasparows, die Ereignisse in Estland, der Streit um die Raketenabwehr, der EU-Russland-Gipfel und der Besuch Putins in Österreich. Die meisten Medien beziehen eindeutig anti-russische Positionen und fordern vor allem bei Treffen der westlichen Politiker mit Putin lautstark "deutliche Worte" und Einigkeit gegen die russische "Diktatur". Und die Politiker müssen sich oft genug dem Druck und der Stimmungsmache beugen.

Die Pauschalkritik an Putin ist zu einem eigenen medialen Genre geworden. Man versteht sie mittlerweile als etwas selbstverständliches und obligatorisches, sie gehört dazu, wie Butter in den Brei. Putins Verdienste als Politiker, gesunde Gewichtungen? Nicht doch, unzweckmäßig. Ohne die dominierenden oberlehrerhaften Floskeln ist die Putin-Berichterstattung undenkbar. Und notfalls saugt man etwas aus dem Finger, wie zum Beispiel Reportagen über den längst abgeklungenen Tschetschenien-Krieg, die das österreichische Fernsehen ORF unbedingt vor dem Putin Besuch ausstrahlen wollte. In Deutschland tun sich vor allem erzkonservative transatlantische CDU-Schnösel mit Kritik an jedweder Annäherung mit Russland hervor. Nur selten kriegt man in der gleichgeschalteten Meinungslandschaft zur Abwechslung auch mal vernünftige Stimmen zu hören.

Die sonst profillosen Politiker wie Angela Merkel nutzen die Chance, sich billige Popularität zu sichern, indem sie den hysterischen Medienchor mit harten Worten zu Gast bei Putin befriedigen, was dann als "gute Außenpolitik" gilt. Sie können selbständig denkende Beobachter jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie wenig sie doch zu etwas Konstruktivem in der Außenpolitik fähig sind. Initiativen und Visionen hat vielmehr Putin, der als Politiker von einem Maßstab ist, der das Niveau eines Barroso oder der meisten Kritiker mit verbauten Blick für die komplexe Realtität Russlands, bei weitem übersteigt. Doch Putins Visionen der Zusammenarbeit zerschellen immer wieder an der kriegerischen Feindseligkeit im Westen. Es ist schon ziemlich anmaßend, zu einem sorgfältig vorbereiteten Gipfel zu reisen (wo das beste gemacht wurde, um die von den Osteuropäern vergiftete Atmosphäre wieder zu verbessern) und dort seine obligatorische Belehrungsmasche aufzuziehen, die kaum mehr als Zerstörungspotential in sich trägt. Der Schaden bleibt bisher lediglich durch die russische Selbstbeherrschung beschränkt. Russland ist bei weitem nicht undemokratischer, als beispielsweise Südkorea, Türkei oder andere Länder. Doch ausgerechnet in Bezug auf Russland hat es sich der Westen zur Pflicht gemacht, Demokratiemängel zu entlarven, mit der unendlichen eigenen Kompetenzvermutung. Die Motive dieser Doppelmoral sind jedoch unschwer zu erkennen: Russland soll moralisch niedergehalten und zu geopolitischen Zugeständnissen gedrängt werden.

Putin reagiert auf die Kritik mittlerweile gelassen und cool. Ganz zu Recht zeigt er jedoch jedesmal die Parallelen zu westlichen Vorkommnissen auf, wie beispielsweise bei seinen treffenden Hinweisen auf die G8-Razzien in Deutschland oder auf westliche gesetzgeberische Mängel. Auch hat er unbestritten Recht, wenn er sagt, dass keine Demokratie in der Welt vollkommen sei und es auch keine Universalrezepte für eine Demokratie gebe. Putins ruhige und sachliche Antworten lassen zumindest die meisten Russen deutlich spüren, wie lächerlich und aggressiv die ständigen einseitigen Versuche des Westens sind, sich zur moralischen "letzten Instanz" aufzuspielen und die Tagespolitik mit immer neuen Vorwürfen zu vermischen.

Donnerstag, 17. Mai 2007

Das Alte Europa vor dem Scheideweg

Kurz vor dem EU-Russland-Gipfel in der russischen Stadt Samara ist man sich in der westlichen Presse quer durch die Bank darüber einig, dass die Beziehungen zwischen den beiden Seiten sehr kühl und angespannt sind. Die meisten geben dafür reflexartig Russland die Alleinschuld. Und es liege auch allein an Russland, die derzeitige Situation zu korrigieren. So schreibt beispielsweise Ulrich Speck im Weblog von "Die Zeit", Putins fehlende Zugeständnisse seien ein Zeichen dafür, dass er kein Interesse an einer Annäherung mit der EU habe. Der Journalist Paul Schulmeister vermutet in "Die Presse", Putin nütze die äußere Anspannung innenpolitisch. Keiner scheint auf die Idee zu kommen, dass auch die EU zur Entspannung beitragen könnte, indem sie ihren Teil des Störpotenzials abbaut.

Drei der wichtigsten derzeitigen Reibungspunkte bestehen in der europäischen Unterstützung der pietätlosen estnischen Totengräber und ihrer Unterdrückungspolitik gegenüber der russischen Minderheit, im polnischen Gammelfleisch, das mit gefälschten Papieren nach Russland abgeschoben wurde und in der europäischen Hysterie rund um russische Energielieferungen. Eine Hysterie, die seit den kurzzeitigen russischen Konflikten mit der Ukraine und Weißrussland Wellen schlägt, als ob sie gezielt nicht sehen wollte, dass hier Sonderfälle der postsowjetischen Wirtschaftsbeziehungen begraben wurden und die Entkopplung des Transits von den bilateralen Liefervereinbarungen gerade den Europäern zugute kam. Seitdem bläst Europa verstärkt ins Horn der Diversifikation und sorgt bei den Russen für Vertrauensverlust, dessen Ausdrücke wie der stärkere Blick nach Ostasien, in Europa wie eine selbsterfüllende Prophezeiung in Bestätigungen russland-skeptischer Sichtweisen uminterpretiert werden.

Beim genauen Hinschauen erweisen sich die Streitpunkte jedoch weniger als west-, als vielmehr osteuropäisch verursacht. Der revanchistische und unreife Umgang der Neu-Europäer mit der Geschichte, die sie zum Hauptinhalt ihrer Russland-Politik machen, steht im deutlichen Kontrast mit dem ausgewogenen Verhalten der etablierteren europäischen Nationen. So könnten sich beispielweise die Esten eine Scheibe Weisheit abschneiden, wenn sie ins benachbarte Bruderland Finnland schauen würden. Das betrifft sowohl die Trennung der Tagespolitik von der dort ebenfalls schwierigen gemeinsamen Geschichte mit der Sowjetunion, als auch den Umgang mit Minderheiten und sprachpolitischen Fragen. Die Polen könnten ebenfalls aufhören, Russland unentwegt zu dämonisieren und anfangen, westeuropäische Modelle der historischen Aussöhung und Vorteile, die sich daraus ergeben, genauer zu studieren. Auch sollten sie ihre primitive, doch unterbewusst sehr zähe, goebbels'isch anmutende Anschauung aufgeben, dass Menschen umso hoffnungs- und wertloser sind, je weiter sie im Osten leben, weshalb man ihnen auch problemlos Gammelfleisch unterschieben kann, das man selbst verabscheut. Auch in den Fragen der Energiepolitik sind es die "neuen Europäer", die am Lautesten über eine Bedrohung durch Russland schreien. Die Polen und die Balten versuchen nach Kräften, den Bau der geplante Ostsee-Pipeline zu torpedieren und alternative Routen zu konzipieren, was ihnen bisher allerdings nicht gelingt. Man hat jedoch den Eindruck, dass je erfolgloser sie in ihren Unterfangen sind, desto schärfer sie ihre russland-feindliche Haltungen in die europäische Energiepolitik einbringen.

Der Fehler der Westeuropäer liegt indes darin, dieses zügellose und unkluge Verhalten zu tolerieren. Erst langsam dämmert es einigen Politikern, welch einen Bärendienst sie sich erwiesen haben, als diese destruktiv eingestellten Geringpotenzialländer in die EU aufgenommen und mit politischem Gewicht ausgestattet wurden. Dieses Gewicht wird heute in erster Linie zur Blockade langjähriger europäischer Russland-Politik eingesetzt. Bisher praktiziert das "Alte Europa" noch eine falsch vestandene Solidartität mit der unreifen Politik der neuen Mitglieder. Doch es wird sich mit der Zeit immer deutlicher die Frage stellen, ob es das wert ist, die lebenswichtigen Beziehungen zu Russland von ihnen manipulieren zu lassen. Europa muss seine Interessen abwägen und eine historische Wahl treffen. In der einen Waagschale liegt das fortgesetzte Geiseldasein in der Hand der Osteuropäer und ihrer amerikanischen Mentoren, und in der anderen eine deutliche Zurechtweisung und Disziplinierung destruktiver Kräfte zugunsten einer freien und profitablen Außenpolitik.

Samstag, 12. Mai 2007

Der Krieg der Bilder

Es fällt immer wieder ins Auge, dass sehr oft, wenn es in den deutschen Medien um politische Ereignisse auf dem GUS-Gebiet geht, die Artikel durch Bilder Putins mit einem aggressiv verzerrten Gesicht ergänzt sind. Bekanntermaßen haben Bilder auf der unterbewußten Ebene eine weitaus stärkere Überzeugungskraft, als Worte. Deshalb werden dem Leser überproportional oft ein Paar wiederkehrende und aus dem Zusammenhang gerissene Bilder vor die Nase gesetzt, die in den vergangenen sieben Jahren von Putins Präsidentschaft in den Redaktionen gesammelt worden sind.

Geht es in der Meldung zum Beispiel um eine neue Pipeline, die Russland zusammen mit Kasachstan und Turkmenistan vereinbart hat, gibt es unbedingt ein Foto mit einem böse und aggressiv dreinschauenden Putin, als wenn es sich bei ihm um eine Mischung des nach der Weltherrschaft strebenden Dr. Evil und des brutalen Schlächters Hannibal Lecter handelt.

So wird das Image eines unberechenbaren Autokraten eingeimpft, der meilenweit vom "zivilisierten" europäischen Politikerverhalten entfernt ist. Mit solch einem Gesichtsausdruck scheint er vor allem von der Schädigung Europas besessen und fortwährend nur mit dem Poltern und Drohen beschäftigt zu sein. Kurzum, ein Bösewicht wie in einem schlechten Hollywood-Film. Dass eine solche Darstellung bei Durchschnitts-Amerikanern oft ausreichend ist, um ihre Sympathien zu steuern, ist schon seit längerem bekannt. Dass solche Methoden auch immer mehr in Europa eingesetzt werden, ist traurig und zeigt, dass die Autoren hierzulande ihre Leserschaft für immer dümmer halten...

Unten findet sich eine kleine Ausstellung beliebtester Putin-Bilder in bundesdeutschen Systemmedien:





Dienstag, 8. Mai 2007

Ein Exkurs in die polnische Psyche

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Polen heute als "neue Europäer" in der ersten Phalanx jener Staaten sind, die Russland, um es ganz vorsichtig auszudrücken, kritisch gegenüberstehen. Das ist allerdings noch keine erschöpfende Information. Wer die polnische Presse studiert, wird feststellen, dass die Polen von Russland regelrecht besessen sind. Kaum eine Ausgabe von Wprost, Gazeta Wyborcza oder Rzeczpospolita kommt ohne einen großen Artikel über Russland aus, kaum findet man in den aktuellen Artikeln der Internet-Ausgaben kein politisch korrektes Kommentar, warum und wie man diese oder jene russische Aktion zu verurteilen hat. Dabei fühlen sich die Polen jedoch richtig in ihren Gefühlen verletzt, wenn sie feststellen, dass man sie auf der anderen Seite kaum bemerkt...

Man muss die Polen (gemeint ist wohl eher ihre Elite) verstehen. Heute schöpfen sie ihre nationale Identität aus der Spezialisierung auf die Opferrolle, die sie immer gern mal Richtung des östlichen, mal Richtung des westlichen Nachbarn unterstreichen. Doch es wäre falsch, auf diese Spielchen von ihnen einzugehen. Denn beim näheren Hinschauen entpuppen sich viele ihrer historischen Klagelieder als Spiegelbilder dessen, was sie in der jeweiligen Epoche selbst mit Vergnügen praktizierten. Was Russland anbetrifft, betreiben die Polen heute eine ausschließlich von den Schatten der Vergangenheit bestimmte Politik. Und es haben sich eine Reihe von standardisierten Eckpfeilern ihres chronischen Beleidigtseins herauskristallisiert. Zum einen sind die Polen bis heute noch wütend, dass ihr Land im Jahr 1939 zwischen Russland und Deutschland aufgeteilt wurde. Doch erinnern wir uns: erst ein Jahr zuvor, 1938, nahm Polen fröhlich an der Aufteilung der zerschlagenen Tschechoslowakei teil und ergatterte sich das Teschener Gebiet. Es mag etwas kleiner sein, als die von der Sowjetunion 1939 annektierten Gebiete, doch dies lag lediglich an den bescheideneren Möglichkeiten des damaligen Polens und keineswegs an größeren moralischen Skrupeln. Denn die ethische Komponente solcher Taten ist nicht Quadratkilometer-abhängig. Auf die Erinnerung an 1938 hin, sagen die Polen immer, dass das Teschener Gebiet ja überwiegend polnisch und kaum tschechisch besiedelt war. Doch auch "Ostpolen" war überwiegend ukrainisch und weißrussisch besiedelt. Im Grunde demonstrierte Polen 1938 seine Bereitschaft, nach dem Großer-Fisch-schluckt-kleinen-Fisch-Prinzip mitzuspielen und war dann ziemlich überrascht, als sich dieses Prinzip gegen Polen selbst wendete.

Eine andere beliebte ideologische Keule gegen Russland ist Katyn. In diesem Dorf bei Smolensk wurden 1940 ca. 20.000 polnische Offiziere vom NKWD ermordet. Diese gelten in Polen heute nicht zu unrecht als Märtyrer. Doch was gern verdrängt und geleugnet wird, ist die weitaus größere Anzahl sowjetischer Gefangener, die nach dem polnisch-sowjetischen Krieg 1920 in polnischen Konzentrationslager an katastrophalen Umständen umgekommen sind, die oftmals gezielt so geschaffen und aufrechterhalten wurden. Während sich Russland für Katyn unter Jelzin bereits offiziell entschuldigte und dort eine Gedenkstätte unterhält, fehlt in Polen gänzlich der Aufarbeitungswillen, was Todeslager in Tuchol, Strzalkowo oder Pulawy angeht. Kein Wunder, würde so etwas doch gewaltig am polnischen Opfermythos kratzen.

Vielfach gehört wurde auch die Mär vom zynischen und gezielten Nicht-Eingreifen der an der Weichsel stehenden sowjetischen Truppen während des Warschauer Aufstands 1944. Auf eine wundersame Weise wird dabei völlig unterschlagen, dass der Warschauer Aufstand ja gerade dazu durchgeführt wurde, um den Sowjets zuvorzukommen und nicht unter ihre Herrschaft zu geraten. Er wurde von der polnischen Exilregierung in London angeordnet und die sowjetische Armeeführung wurde über ihn nicht mal informiert, geschweige denn um Hilfe gebeten. Zwar war das ein gutes Recht der Polen, sich selbst zu befreien, doch dann sollte man schon so konsequent sein und den Sowjets nicht vorwerfen, dass sie nicht an einem de-facto anti-sowjetischen Aufstand teilnahmen. Zumal jeder Militärhistoriker bestätigen wird, dass zum Zeitpunkt des Aufstands gerade erst die schnellsten Voraustruppen an der Weichsel standen, während der Großteil der sowjetischen Armee nach dem fast 1000 km langen Vormarsch im Zuge der Operation Bagration erst im Nachziehen war. Eine Erstürmung der Stadt ohne Konsolidierung der Kräfte und vorhergehenden Artilleriebeschuss hätte sinnloses Sterben von Zehntausenden Soldaten bedeutet...

Und natürlich sind die Polen böse wegen der 45 Jahre dauernden kommunistischen Herrschaft. Und sie war in der Tat erniedrigend und wirtschaftlich ruinös. Doch abgesehen davon, dass dafür die Westmächte, die dies zusammen mit Stalin in Jalta und Potsdam gemeinsam beschlossen und abgesegnet haben, die gleiche Verantwortung tragen, wäre hier noch eine andere Frage von Interesse. Wie würde Polen im Jahr 1989 wohl aussehen, wenn die Russen es nicht von der Nazi-Herrschaft befreit hätten? Ausgehend von Hitlers Visionen und Programmen wie Generalplan Ost darf bezweifelt werden, dass es Polen heute überhaupt als eine politische und kulturelle Einheit auf diese Erde geben würde. Die Aufzählung der wahnwitzigen Vorhaben der Nazis mit Polen möchte ich mir hier ersparen. Fakt ist, dass vier Jahrzehnte Sozialismus dagegen eine relativ harmlose Periode waren und in dieser Zeit die polnische Nation sogar um 15 Millionen Menschen gewachsen ist, während sie unter der Nazi-Herrschaft 6 Millionen Menschen verloren hat. Es gibt heute Polen als Staat und als Kultur. Und das verdanken sie nur dem russischen Soldaten. Diese zentrale Tatsache bleibt für immer bestehen, ohne dass sie je von irgendwas überwogen werden könnte. Egal wie sehr sie heute zahlreiche konjunkturtreue Heuchler totzuschweigen und zu vergessen versuchen.

Die polnische Opferrolle ist eine relativ neue Erfindung. Sie ist nicht viel älter als 200 Jahre. Davor war Polen Jahrhunderte lang ein mächtiges Reich, das vor allem in Richtung Osten eine kaltblütige und gewalttätige Eroberungspolitik betrieb. Jahrhunderte lang beherrschte Polen weite Gebiete der Ukraine und Weißrusslands und hielt sie geschickt nieder, nachdem es einst von der Verwüstung der Kiewer Rus durch die Mongolen profitierte. Ausufernde Raubzüge der Krimtataren in die Ukraine und Weißrussland wurden sogar oft begrüßt, weil sie der Schwächung dieser versklavten Völker dienten. Denn die ukrainischen Kosaken rebellierten als Reaktion auf die allgegenwärtige soziale Benachteiligung der Orthodoxen viel zu häufig und es war für den polnischen Adel immer mit viel Mühe verbunden, sie in blutigen Strafaktionen niederzuschlagen. Fast hätte man ihnen (die die Mehrheit darstellten) sogar das Recht zugestehen müssen, als dritte Staatsnation neben Polen und Litauern im Reich zu gelten... Unerhört.


Ganz problematisch war aber vor allem der unabhängige Nachbar im Osten. Er stammelte etwas Unverständliches von seiner Mission zur Vereinigung der Ostslawen und inspirierte lästigerweise das ukrainische "Bydło" (polnisch: Vieh; damals gängige Bezeichnung für die Ukrainer) zum Ungehorsam. Er war noch nicht mal katholisch und deswegen war es völlig in Ordnung, mit päpstlichem Segen und unter Ausnutzung jeweiliger interner Wirren "zivilisierende" Eroberungskriege gegen ihn zu führen. Und diese wilden und undankbaren Moskowiter, deren Bezug zu anderen Rus-Gebieten von den Polen sorgfältig geleugnet wurde, wagten es dann auch noch, die segensbringenden Polen 1612 aus dem Kreml rauszuschmeißen und ihre Marionetten abzusetzen. Dies wird heute von den Polen oft als Beleg für die unverbesserliche russische "Fortschrittsfeindlichkeit" dargestellt. Wen kümmert's da schon, dass die Polen völlig enthemmt gebrandschatzt oder etwa das Oberhaupt der russischen Kirche, den Patriarchen Hermogenes zu Tode gefoltert hatten..

Das anschließende Erstarken Russlands (das im 17. Jahrhundert noch halb so viel Bevölkerung aufwies, als die polnisch-dominierte "Republik beider Nationen") und das Überführen des polnischen Reiches "von Meer zu Meer" auf den Müllhaufen der Geschichte, kann die nach Osten hin immer arrogant auftretende polnische Szlachta-Seele bis heute nicht verdauen. Sie waren es doch, denen es vom Schicksal bestimmt war, ein Imperium zu werden, und nicht diese unzivilisierten Kreaturen aus dem Wald... Wie kann es sein, dass sich deren autokratisches System als lebensfähiger erwies, als die polnische Adelsdemokratie, bei der jeder einzelne Magnat mit seinem Veto den ganzen Staat blockieren konnte?

Die tiefsitzende Russophobie der Polen hat lange historische Wurzeln, die weit in die Rivalität früherer Jahrhunderte zurückreichen und daher sollte man sich heute über die bedingunslose Anbiederung Polens bei den Amerikanern sowie über die regelmäßige Produktion führender Ideologen der Russophobie (z.B. Zbigniew Brzezinski) nicht wundern. Man sollte sich klar machen, dass der abgrundtiefe Hass der erzkatholischen polnischen Eliten auf Russland nicht etwa in den polnischen Teilungen seinen Anfang nimmt, sondern im jahrhundertealten feudal-missionarischen Drang nach Osten und der Verbitterung über seinen "widernatürlichen" historischen Misserfolg. Die polnischen Teilungen basierten wiederum zum großen Teil auf historischen Erfahrungen der Russen mit der polnischen Feindseligkeit, die ein starkes Bestreben weckten, den ewigen Unsicherheitsfaktor an der Westgrenze loszuwerden, der inzwischen zwar merklich zahnloser geworden war, doch seiner Natur nach mit jedem Feind gegen Russland paktieren würde. Diese Gedanken sind in vielen Briefen und Tagebüchern Katharina der Großen nachzulesen...

Sic transit gloria mundi... Heute müssen sich die Polen damit begnügen, ein ohnmächtiges und belächeltes Land zu sein, das auf seine Opferdarstellung angewiesen ist und mangels der "für Außenpolitik verantwortlichen Hirnzellen" (Zitat W. Churchill) nichts besseres zu tun weiß, als Europa traditionell mit Russland-Schauermärchen zu verängstigen und eine Zusammenarbeit der EU mit Russland möglichst zu sabotieren. Polen bräuchte heute eine vergangenheitsbefreite pragmatische und reife Ostpolitik. Doch diese ist utopisch, solange es Russland psychologisch unbedingt als Gegenpol braucht, um die eigene zerbrechliche und kaum selbstgenügsame nationale Identität zu definieren. Polen möchte sich gern wieder ein bisschen stark und als zivilisatorisches Bollwerk Europas gegen Russland fühlen, ist jedoch stets mit der frustrierenden Realität konfrontiert, weder in Ost noch in West ernstgenommen zu werden.

http://www.youtube.com/watch?v=rniL3uN-i34

Mittwoch, 2. Mai 2007

"Die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts"

Wann immer uns ein Autor in einem Kommentar vom bösartigen und reaktionären Wesen Wladimir Putins überzeugen will, findet sich neben anderen standardmäßigen Anschuldigungen und Betonungen gewisser biographischer Aspekte auch obligatorisch ein putin'sches Zitat, das er einst während einer Pressekonferenz gemacht hat: "Der Zusammenbruch der Sowjetunion war die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts". Fortan wurde diese Aussage zur "reaktionären Visitenkarte" Putins in den Artikeln immer gleicher Leitpropagandisten auf den Seiten von Washington Post oder Wall Street Journal, von wo aus auch deutsche Medien fleißig die Marschroute abschauen.

Doch was war mit dieser Aussage wirklich gemeint, und ist Wladimir Putin in der Tat so verlogen, dass er auf der einen Seite von der unumkehrbaren Wahl Russlands zugunsten der Demokratie redet und sich zu Ostern neben dem Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche beim Kerzenaufstellen bekreuzigt und auf der anderen Seite dem verkrusteten kommunistischen Zeitalter nachtrauert?

Um zu verstehen, was hier gemeint war, sollte man das Wort Katastrophe überdenken. Katastrophe hat sprachlich gesehen auch eine spezifischere, engere Bedeutung, als die plumpe, die uns die Medien einreden wollen, wenn sie von Putins Nostalgie nach dem Sowjetregime erzählen. Katastrophe ist ein Synonym für Crash, Zusammenbruch. So wie Schiffs-Katastrophe. Es ist eine Beschreibung eines sachlichen Vorgangs, mehr oder weniger werturteilsfrei. Putin meinte damit das Stranden des "Sowjetschiffs", den Zusammenbruch aller seiner internen Strukturen, der Wirtschaft, des Wertesystems. Etwas anderes konnte er auch nicht gemeint haben, denn in der ersten, banaleren Variante des Wortes Katastrophe, würde er zum Beispiel den Zweiten Weltkrieg hinten anstellen, was in Russland, wo 20 bis 27 Millionen Menschen umgekommen sind, gelinde gesagt, totaler Nonsense wäre.

Deswegen ist es für mich immer mindestens die mangelnde Verstädnisfähigkeit, wahrscheinlicher jedoch bewußte Verdrehung, wenn jemand versucht, in diese Worte Putins eine Nostalgie hineinzuinterpretieren. Natürlich kann man mit dem Wort Katastrophe keine positiven Emotionen verbinden. Was Putin meinte, war die persönliche Tragödie von Millionen von Menschen, die nach 1991 in die totale Verelendung abstürzten. Auch meinte er die damit verbundene Kriminalisierung und Alkoholisierung der Gesellschaft, fallende Geburten- und steigende Todes- und Selbstmordraten und viele andere schwere Effekte des Übergangsschocks, durch den die Gesellschaft ging. Die Pleiten und die Zerstörung riesiger Unternehmen, der Abbruch zahlreicher großer Projekte, denen viele Menschen ihre ganzen Leben widmeten. Der fast bis zur vollständigen Handlungsunfähigkeit vorangeschrittene Zusammenbruch der staalichen Strukturen ist ebenfalls Teil dieses Systemkrachs, sprich -katastrophe. Ebenso wie der blutige Tschetschenienkrieg, der aus der Auflösung der Sowjetunion resultierte. Also all jene Tragödien, die der Westen kaum betroffen aus der sicheren Entfernung beobachtete und nicht nachempfinden kann. Solche Sachen kann man natürlich nicht als neutral empfinden und sicherlich klingt da auch bei Putin, wie bei jedem anderen Russen, ein großes Bedauern heraus. Doch die Sache so umzudrehen, dass Putin als verkappter Kommunist und KGB-ler die Sowjetunion lobpreist, dass er immer noch im Wertesystem des Politbüros verweilt oder sich die Unterdrückung Mittel- und Osteuropas zurückersehnt, ist ein böser rhetorischer Missbrauch und darüberhinaus eine Missachtung der Gefühle und persönlichen Schicksale vieler Russen.