Donnerstag, 19. Juli 2007

Good old enemy

Den neuesten Anlass für westliche Medien, Gift und Galle gegen Russland zu spucken, liefert die Geschichte rund um die Auslieferung des russischen Geschäftsmanns Andrei Lugovoi (Bild), den die Briten zum Hauptverdächtigen im Mordfall Litvinenko ausgerufen haben. Laut russischer Verfassung ist die Auslieferung des eigenen Staatsbürgers ins Ausland, ähnlich wie in vielen westlichen Ländern, nicht möglich. Dies wird jedoch in kaum einer westlichen Meldung explizit und an einer sichtbaren Stelle erwähnt - würde sowas doch die russische Position zumindest juristisch stützen und erklären. Eine noch unwichtigere Rolle spielt die russische Verfassung für den neugebackenen britischen Außenminister Milibrand, der unverblümt ihre Änderung gefordert hat. Folgerichtige Antwort aus Moskau: "wir sind keine Bananenrepublik, die ihr mit kolonialer Arroganz rumkommandieren könnt".

In der Haltung des Westens (da Großbritannien zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus Kontinentaleuropa erhielt, kann man getrost auch dieses Wort wählen) kommt wieder die übliche unsägliche Doppelmoral zum Tragen. Würde Putin die Verfassung ändern, um sich eine dritte Amtszeit zu ermöglichen, wäre das Toben im Westen nicht auszumalen. Wenn es jedoch britische Interessen erfordern, hat die russische Verfassung bei Seite geschoben zu werden.

Trotz oder gerade wegen der Unmöglichkeit der Auslieferung zeigte Russland von Anfang an seine Bereitschaft mit den Briten zu kooperieren. Wenn die Briten den Russen die Beweise übergeben würden, die sie meinen gegen Lugovoi zu haben, dann wäre ein Prozess in Russland gegen ihn möglich. Diese Option schlugen die Briten überheblich aus. Stattdessen taten sie seitdem alles dafür, dass um den Fall möglichst großes Getöse entsteht und man ihn politisch ausnutzen kann. Damit soll wohl ein neuer Feind ins Bewußtsein der Bevölkerung gerückt werden, um von unrühmlichen Irak-Krieg abzulenken, wie der Spiegelfechter in seinem Artikel bemerkt. Demonstrativ wurden wie im Kalten Krieg vier russische Diplomaten des Landes verwiesen. Russland antwortete im gleichen Stil, wobei von einer Symmetrie dennoch nicht die Rede sein kann: würde Russland für jede abgelehnte Auslieferungsanfrage der letzten Jahre an Großbritannien vier Diplomaten ausweisen, müssten das insgesamt über 80 sein. Dabei handelte es sich bei den russischen Anfragen um Personen, die auch in anderen Ländern gesucht werden (beispielsweise Berezovsky in Brasilien oder der Schweiz).

Währenddessen bemühen sich die Medien redlichst darum, nicht die Briten als Aufbauscher des Streits zu porträtieren, sondern die Russen. Russland mobbe, poltere, provoziere einen neuen Kalten Krieg, verhalte sich wie ein pubertierender Jugendlicher, spiele mit Muskeln oder was sonst noch für eine aufsehenerregende Floskel dem jeweiligen Kommentator als Schlagzeile einfällt. Jede noch so plumpe Inszenierung des Intriganten Berezovsky (Bild) findet achtvolles Gehör, um dem Leser ein Gefühl des kalten Schauers über den Rücken angesichts der "brutalen Methoden" der Kremlführung zu ermöglichen. So weit nichts Neues, im Westen...

Samstag, 14. Juli 2007

Man wird doch etwas heucheln dürfen

Wie die Medien heute in fetten Schlagzeilen berichten, sind die NATO und die USA sehr "besorgt" und "enttäuscht", nachdem Russland den KSE-Abrüstungsvertrag eingefroren hat. Und gleich hagelt es von ihnen das, was man in den Atlantiker-Kreisen am Liebsten tut: Kritik an Russland. Währenddesen bereitet die tendenziöse Presse mit ihrem demonstrativen Erschrecken vor einem "herben Rückschlag für die Abrüstung" (SPIEGEL Online) sowohl den Boden für derartige Stimmungen, als auch bietet sich als das Sprachrohr für allerlei Kritiker an.

Unter all den Krokodilstränen, findet sich der Hinweis darauf, dass die NATO-Staaten den KSE-Vertrag bis heute nicht ratifizieren wollten (einige sind ihm sogar gar nicht beigetreten), wenn überhaupt nur ganz hinten. Die NATO knüpft ihre Ratifikation des Vertrags an den russischen Abzug aus Georgien und Moldawien, was jedoch juristisch überhaupt nichts miteinander zu tun hat. Vielmehr wurde diese Verknüpfung einseitig von der NATO beschlossen und war nie Bestandteil des ursprünglichen Regelwerks. Die Erwähnung dieses wichtigen Punktes wird man jedoch in den meisten führenden Medien vergeblich suchen. Die Wahrheit wird eben solange beschnitten, bis sie passend ist. Die bösen Russen zertreten georgische und moldawische Roggenfelder und irgendwie wird das schon was mit dem KSE-Vertrag zu tun haben. In Wahrheit ist der russische Abzug aus Georgien beinahe abgeschlossen, während in Moldawien, genauer genommen Transnistrien (welches sich mit allen Kräften gegen die Kontrolle Chisinaus wehrt), nur noch Bewacher von Munitionsdepots verblieben sind. Doch diese Details interessieren die NATO nicht, denn alles läuft sowieso bestens. Russland erfüllt den Vertrag einseitig, während man ihn selbst durch diese sehr willkommene Ausreden nicht zu erfüllen braucht. Mehr noch, die USA gründen immer neue Basen auf dem Balkan und in Osteuropa.

Und wenn die aktuelle Haarspalterei bezüglich Russland nicht mehr zieht, wird man eben zur nächsten greifen. Wie war das mit den russischen Friedenstruppen in Abchasien und Südossetien? Gehören die nicht ebenfalls zu Georgien? Dort könnten die Russen ebenfalls weg, ganz egal, ob sie von den Abchasen und Südosseten als einzige akzeptiert werden und als einzige ein Blutvergießen verhindern können. Jede noch so unverantwortliche und (zum Glück) unerfüllbare Forderung ist willkommen, wenn sie politische Zweckmäßigkeit dient: Russland weiter hinzuhalten und zu einseitigen Konzessionen in der Rüstungssphäre zu zwingen. Sehr oft erlebten wir übrigens in der letzten Zeit im Westen, wie allgemeine Prinzipien den Schablonen geopolitischer Zweckmäßigkeit weichen müssen, sei das beim russischen Gasstreit mit der Ukraine, wo der Westen vorübergehend vergaß, was Marktwirtschaft ist, oder beim Grabstättenstreit in Talinn, wo man gerne außer Acht ließ, dass Respekt vor Soldatengräbern, egal welcher Seite, in Europa eigentlich Standard ist.

Dass Russland diese hinterhältige Taktik nicht ewig über sich ergehen lässt und dass die aus der Sicht des Westens "goldenen" Jelzin-Jahre vorbei sind, sollte jedoch schon seit ein Paar Jahren auch in Brüssel dämmern. Doch wenn die Russen dann die Reißleine ziehen, dann ist es zwar traurig, lässt sich aber immerhin noch trefflich propagandistisch ausschlachten. Seht her - die wollen Krieg!