Sonntag, 30. März 2008

Über lupenreine Demokratien und Demokraten

Seit Gerhard Schröder in einem Interview Vladimir Putin einen lupenreinen Demokraten nannte, der sein Land modernisieren wolle, ist er zu einem Objekt von Hohn und Spott geworden, während dieser Spruch seitdem in den deutschen Medien ironisch an Putin kleben bleibt. Bei Putins Presskonferenzen oder Interviews mit westlichen Journalisten regnet es denn auch immer wieder solche überaus geistreichen wie entwaffnenden Fragen wie "Herr Putin, sind Sie ein lupenreiner Demokrat?". In einem Interview mit dem SPIEGEL konnte es sich Putin nicht verkneifen, die Dummheit des Fragenden aufs Korn zu nehmen: "Ja, ich bin der einzige lupenreine Demokrat weltweit und langweile mich, seit Mahatma Gandhi tot ist. Man hat niemanden mehr zum Reden".

Was für eine Antwort verdient auch jemand, der absolut unrealistische Maßstäbe anlegt? Wie es um die lupenreine Demokratie im Westen bestellt ist, sieht man an vielen Ecken. Ständig stößt man auf Entscheidungen, die am Volk vorbei getroffen werden, weil man Angst hat, es zu fragen. In diese Rubrik kann man die EU-Osterweiterung, die EU-Verfassung oder zahlreiche andere Punkte einordnen. Ganz interessant ist in diesem Zusammenhang auch diese Abbildung, die zeigt, dass obwohl ca. 90% der Briten gegen den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak waren, ihre Regierung dennoch Soldaten an die vorderste Front schickte. Doch Proteste nützen natürlich nichts, denn was im Washingtoner Politbüro entschieden wurde, ist ungeachtet der Volksmeinung weltweit Gesetz für Lakaienregierungen.

Ähnliches sieht man auch in der Frage der Raketenabwehr in Polen und Tschechien. Obwohl Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung in den beiden Ländern die Installation der Raketen auf ihrem Boden ablehnt, schalten die Behörden auf stur. Da können die einfachen Menschen noch so viel protestieren: auf ihre Meinung wird gepfiffen und das Projekt durchgeboxt. Charakteristisch ist auch die im Westen als demokratisch hochgepriesene Ukraine. Das Land wird von der Regierung und von den Amerikanern mit Gewalt in die NATO gezerrt, obwohl gerade 19% der Bevölkerung dies befürwortet.

All das zusammenfassend, kann man durchaus die Sicht vertreten, dass Russland heute ein demokratischeres Land ist, als die genannten "Musterdemokratien", die sich in die Brust klopfen und mit Schaum vor dem Mund ihr demokratisches Wesen beteuern. Denn es ist mir nichts bekannt, was in Russland gegen die Meinung der Bevölkerungsmehrheit durchgeboxt wird. Und dies ist so ziemlich das Hauptkriterium einer Demokratie. In westlichen Ländern ist das Ignorieren des Volkes dagegen an der Tagesordnung und kann mit vollem Recht als "Diktatur auf Zeit" bezeichnet werden. Dennoch bleibt der demokratische Heiligenschein in der medialen Selbstdarstellung dieser Länder unangekratzt. Man kann den Medien in diesem Zusammenhang zu ihrem hohen Professionalismus und Kunstfertigkeit im Propagandageschäft nur gratulieren. Sie machen das scheinbar Unmögliche wahr: am Ende wird jeder ja doch ruhig gewiegelt und kommt erst gar nicht auf den Gedanken, sein ignoriertes Lemmingdasein aus der Vogelperspektive zu betrachten sowie über die herrschenden Realien grundlegende Schlüsse zu ziehen.

Mittwoch, 12. März 2008

Kritik am Spiegelbild

Angetan hat's mir zuletzt ein langes Interview des ARD-Korrespondenten Horst Kläuser, das im Krusenstern-Blog veröffentlicht wurde. Der dramatische Titel "Manchmal kann man an Russland verzweifeln" ließ schon gleich ein Sahnestück geistig verkrusteter Propaganda-Klagelieder nach gutmenschlicher Altherrenart vermuten. Schließlich ist es nicht allzu lange her, seit Kläuser eine demonstrative wie verlogene geistige Anstrengung unternahm, auch nur eine positive Story an Russland zu finden, um es dann enttäuscht aufzugeben und gleichzeitig einen der moralischen Tiefpunkte der bisherigen medialen Russlandhetze zu markieren.

Originelle Stilblüten antizipierend, widmen wir uns also dem Interview. Später wird es uns tatsächlich belohnen. Anfangs darf sich Kläuser auf primitive russische Journalisten einschießen: "Natürlich gibt es hier keine gewachsene Journalisten-Kultur wie bei uns". Danach wird dem heutigen Deutschland ein "selbstbewusster, unabhängiger Journalismus" bescheinigt, der Russland in der Entwicklung um Jahrzehnte voraus sei. Aha..

Dann macht's Kläuser konkreter: die russischen Kollegen haben alle ein eklatantes Mißverständnis, was journalistische Arbeit angeht. Sie glauben, dass man nur in jemands Auftrag arbeiten kann und erklären sich so die antirussische Haltung der Westmedien. In Wahrheit ist er, Horst Kläuser, aber über solche Sachen 100% erhaben und schreibt völlig frei über das, was er sieht. So weit, so schlecht.

Und plötzlich ein Paar Zeilen später - man traut seinen Augen nicht - überkommt Kläuser ein Anflug bemerkenswerter Offenheit: "In den deutschen, englischen und amerikanischen Redaktionen gibt es natürlich auch eine gewisse Vorprägung in Bezug auf die Nachrichten, die aus Russland erwartet werden. Themen wie die fehlende Demokratie, bedrohte Pressefreiheit, marodes Militär, Grossmachtansprüche, Erpressung durch Energie - mit all diesen Sachen landen sie sofort in den Programmen und in den Zeitungen". Themen, die Russland besser aussehen ließen, "passen nicht in die Wahrnehmung vieler Kollegen in den Redaktionen". Unter solchen Themen versteht Kläuser selbst allerdings eventuelle Erfolge der Opposition. Was kann man dann erst über die Chancen von Meldungen sagen, die für die Mehrheit der Russen aktuell wirklich positiv sind: steigende Renten, Modernisierung des Gesunheitswesens, Vernetzung der Schulen, Erneuerung bei der Armee, die gelungene Aufhaltung des Brain Drains. Solche Berichte werden wir auch in den nächsten 30 Jahren sicherlich nicht zu Gesicht bekommen, denn das passt ins gewünschte Bild von Russland noch weniger.

Dies alles ist an sich nicht erstaunlich, sind wir schließlich schon gewohnt. Erstaunlich ist vielmehr, wie all das im Kopf Kläusers zusammen Platz findet. Denn der Widerspruch der in ein und demselben Interview gemachten Aussagen ist eklatant. Dass ein Journalist, dessen positive Storys mit großer Wahrscheinlichkeit im Mülleimer der Redaktion landen, sich mit der Zeit keine unnötige Mühe mehr macht und, um des beruflichen Erfolges willen, nur noch stereotypenkonforme und generallinientreue Ware abliefert, dürfte klar sein. Schließlich ist er ja schnell austauschbar. Das heißt also, ein Korrespondent tut unter diesen Umständen in der Praxis nichts anderes, als in einem tendenziösen Auftrag von irgendjemand zu handeln, während freie Berichterstattung ein Mythos ist. Und dies ist genau das, was Kläuser weiter oben empört abstreitet...

Dieses System garantiert verläßlich, dass die westlichen Medien, zumindest in Bezug auf Russland, keineswegs pluralistischer sind, als die russischen, nur mit anderem Vorzeichen. Was hier journalistischen Vorbildcharakter tragen soll, ist die große Frage, denn die beiden Systeme gleichen sich wie zwei Tropfen Wasser und dienen jeweils dem eigenen politischen Zweck. Ein Unterschied besteht allenfalls darin, dass die Vertreter der russischen Medienwelt dabei weniger überheblich und moralapostelisch daherkommen.

Dass in Bezug auf die Berichterstattung aus Russland eine mächtige Selektion stattfindet, ahnten und spürten wir irgendwie alle schon immer. Im Kern wurde also kein Amerika neu entdeckt. Bemerkenswert und neu ist jedoch, wie ein Vertreter einer zentralen öffentlich-rechtlichen deutschen Sendeanstalt dies Schwarz auf Weiß zugibt. Wie er es wagte, den uns alles so heiligen demorkratischen Journalismus so zu "verleumden", ist mir nachwievor ein Rätsel. Vielleicht, weil er das Vertrauen des 0815-Zuschauers in sich und seinesgleichen für unumstößlich hält, egal was komme...

Dienstag, 4. März 2008

Russlands Wahlzeit Quirings Mahlzeit

Die Wahlen in Russland sind vorbei und als nächster Präsident wurde erwartungsgemäß Dmitrij Medvedev gewählt. Dass Wahlen gemeinhin ein Aufflackern der medialen Aufmerksamkeit für ein Land bedeuten, ist eher natürlich, natürlich ist im Falle Russlands aber auch eine traditionelle Portion Dreck. Und obwohl die russischen Wahlen objektiv von den Wahlen in westeuropäischen Ländern abweichen (wenn man diese denn als Koordinatenursprung nimmt), so waren die Kommentare dennoch zu unausgewogen und oft geradezu ungezügelt.

Konstant wurde versucht, die Wahl als eine Farce darzustellen, als ob eine gesellschaftliche Willenserklärung nur dann als demokratisch gelten dürfte, wenn es ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen gibt. Die Russen wählten Medvedev, der die Fortsetzung des Kurses von Putin repräsentiert, weil ihnen dieser Kurs überwiegend gefällt und andere politische Kräfte nicht Besseres und Glaubwürdiges aufbieten konnten. Die Russen haben gute Gründe so zu wählen, wie sie es taten, auch wenn so mancher erboster SPIEGEL-Kommentator, der sich nicht die Mühe einer tieferen Analyse macht, sie als willenloses "Stimmvieh" verunglimpft. In erster Linie spüren die Russen den Aufschwung an Ihrem Geldbeutel, während das viel zitierte staatliche Fernsehen alleine nur bedingt für die Verbesserung des Kreml-Images geeignet wäre. Wie schlecht muss man Russland kennen und wie sehr die Russen verachten, um ernsthaft zu behaupten, dass ihre Sympathien schlicht vom Ausmaß der regierungslobenden Fernsehbilder abhängen. Da macht es sich jemand mächtig einfach.

Das Fehlen ernsthafter Kandidaten ergibt sich aus der parteipolitischen Landschaft Russlands. Die Kommunisten und die LDPR vereinigen auf sich ca. 30% des Wähler, die entweder aus ewig gestrigen Senioren bestehen oder aus Spaßwählern, denen die Show-Einlagen eines Schirinowski gefallen. Diese Nischen sind in festen Händen von Witzfiguren, die sich per Definition nicht reformieren und auch nicht gewinnen können. Ergeben hat sich das lange vor Putin und er trägt keine Schuld daran.

Was bleibt, ist die liberale Strömung. Theoretisch hätte sie ein Potenzial von 20 bis 40%, wenn sie zu drei notwendigen internen Reformschritten imstande wäre: ihre chronische Zersplitterung inmitten von kleinlichem Gezänk zu überwinden, mit ihren umstrittenen Führungsfiguren aus den 90er Jahren zu brechen sowie einen radikalen Image-Wechsel von der abgehobenen fünften Kolonne des Auslands hin zu Patrioten des Landes zu vollführen. In diesem Fall könnten die Liberalen einen starken Zulauf aus der wachsenden Mittelschicht junger energischer Menschen bekommen, erst recht, wenn ihnen eine charismatische und glaubwürdige Person vorstehen würde. Provokateure wie Kasparov oder dubiose Figuren wie Kasjanov, Nemzov oder Tschubais eignen sich definitiv nicht dazu. Jeder Blinde erkennt, dass hier eine Wahlblamage vorprogrammiert ist, weshalb es auch nicht der Staatsmacht zuzuschreiben ist, dass die meisten bei den aktuellen Wahlen vorzeitig aus dem Rennen ausstiegen. Nemzov und Kasparov zogen die Notbremse, um mit standesgemäßen Meckern gegen den Kreml noch halbwegs das Gesicht zu wahren. Besonders kreativ war dabei Kasparov, der als Erklärung die Behauptung vortrug, ihm sei es nicht gelungen, rechtzeitig Räumlichkeiten für eine Parteiversammlung zu mieten. Die Primitivität dieses Märchens lag nicht nur darin, dass genügend Mietflächen im Besitz liberaler SPS-Oligarchen sind, die im Clinch mit der Staatsmacht liegen, sondern auch darin, wie halbherzig es vorgetragen wurde, bevor der sonst streitlustige Kasparov sich für mehrere Monate zurückzog.

Im Grunde heißt das Ganze, dass die russische Wählerlandschaft normal und gesund ist und spannende Wahlen durchaus möglich wären. Ein charismatisches Aushängeschild der Liberalen, der die oben genannten Bedingungen erfüllt, könnte es gegen den Kreml-Kandidaten potenziell in eine Stichwahl schaffen, in der dann im Falle einer Unzufriedenheit mit dem Kreml mit den Stimmen aller möglicher Protestwähler alles möglich wäre. Davon ist die derzeitige Opposition jedoch noch meilenweit enfernt. Und zwar in erster Linie aus eigener Schuld und nicht wegen den Machenschaften des Kremls.

Mache westliche "Russlandkenner" wie Manfred Quiring von Die Welt schufteten sich am Wahltag regelrecht ab, um im Stundentakt immer neue abwertende Russland-Artikel hervorzuwürgen. Dabei durfte kein noch so marginales und von wem auch immer in die Welt gesetztes Gerücht fehlen, dass irgendwo in dem 145-Millionen-Land irgendwas nicht regelkonform lief. Was Handfestes präsentiert der alternde "Star der investigativen Journalistik" Manfred Quiring ja ohnehin so gut wie nie, denn schon morgen interessiert ihn sein Geschwätz vom Vortag kaum noch und Verantwortung für seine Schlammwürfe muss er sowieso nicht tragen. So auch diesmal, als alles was er aus sich herauspresste, um die Wahl als manipuliert zu porträtieren, mit den Worten anfing wie "es heißt, dass", "man erzählt" oder "es soll zu .. gekommen sein". Eine Bildunterschrift sagt's direkt: Medvedev und Putin haben zweifelhafte Legitimation. Beleidigt wird die Intelligenz des Lesers unter anderem mit Gerüchten über den Zwang, Medvedev zu wählen. Wie letztlich überprüft werden soll, wer was auf dem Wahlzettel angekreuzt hat, erklärt Quiring nicht. Wenn er die Behauptung anstellen will, dass die Geheimwahlen in Russland abgeschafft wurden, dann sollte er das auch im Klartext schreiben. Er bevorzugt jedoch kleinliches, zu nichts verpflichtendes Wuseln.

Wie ein Schlag ins Gesicht dürfte nach all seinen Bemühungen jedoch die Umfrage gewesen sein, die viele seine Artikel zierte. Dort wurden die Leser aufgerufen, die Regierungszeit Vladimir Putins zu bewerten. Etwa 2/3 der über 1000 Teilnehmer gaben ihm ungeachtet des stetigen Propaganda-Trommelfeuers die Noten von 1 bis 3.