Ich möchte einige interessante übersetzte Auszüge aus einem
Interview des Portals InoSMI.Ru mit Alexei Puschkow veröffentlichen, dem Professor des MGIMO (Moskauer Staatsuniversität für Internationale Beziehungen), dem Buchautor und Moderator der wöchentlichen politischen Sendung "Postscriptum" im russischen Fernsehen sowie dem Präsidiumsmitglied des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik. Das Portal InoSMI.Ru ist bekannt für seine Übersetzungen der westlichen Presse ins Russische; ihm war in diesem Blog bereits der Artikel
Monolog der Kulturen gewidmet. InoSMI und Puschkow diskutieren über die Ost-West-Beziehungen, das Image Russlands und die Gebräuche der Medienwelt. (Ein interessantes Webcast mit Alexei Pushkov in Davos 2008 kann man übrigens
hier sehen).
Wie frei ist die westliche Presse? Wie haben westliche Journalisten auf Ihren Vorschlag reagiert, sowohl in der Financial Times, als auch in Ihrer Sendung Postscriptum eine Polemik durchzuführen?
Puschkow: Die westlichen Journalisten sind in mancher Beziehung weniger selbstständig, als wir. Und das ist ein Phänomen, das ich wiederholt beobachte. Ich erinnere mich, wie einmal in Deutschland ein Journalist aus einer renommierten deutschen Zeitung mir erzählte, dass er einen Artikel gegen den Kosovo-Krieg publizieren wollte. Man sagte ihm: Entschuldigung, das ist nicht die Linie unserer Redaktion. Als er darauf bestand, sagte man ihm, dass er sich in diesem Fall einen anderen Job suchen müsste. In den Vereinigten Staaten war es für einen normalsterblichen Journalisten oder Analytiker äußerst schwierig, Material gegen die Bombardierungen Jugoslawiens zu veröffentlichen. Das erlaubte sich nur Henry Kissinger. Aber dafür muss eben ein Henry Kissinger sein.
Ich denke, dass bei uns das Diskussionsspektrum bezüglich der Politik deutlich breiter ist, als in Amerika. Den Irakkrieg fing man dort beispielsweise erst dann zu diskutieren an, als die USA begannen, ihn zu verlieren. Davor waren jedoch so gut wie alle für den Krieg. Und die, die heute George Bush kritisieren und alle seine Fehler aufzählen - das sind Ratten, die das sinkende Schiff verlassen. Bush ist zumindest ein Kapitän, der mit dem Schiff des Irakkriegs versinken wird. Er schreit "Wir werden den Krieg gewinnen". Diese Position ist vielleicht nicht sehr klug, aber zumindest konsequent. In Amerika gab es sehr viele Journalisten, die die Kriegsidee bis zuletzt unterstützten und heute behaupten, dass Bush alles falsch gemacht hat. In Amerika ist alles Wellenbewegungen unterworfen und wir beobachten einen großen Konformismus in der Presse.
Dort gibt es eine eigene Zensur und Selbstzensur. Als ich der Financial Times einen derartigen Tausch vorschlug, wusste ich, wovon ich rede. Aber für den Koluminsten Quentin Peel war das ein echtes Problem. Ich kann mit ihm ein seriöses Interview machen und es in meiner Sendung ausstrahlen. Er muss dagegen seinen Hauptredakteur überzeugen, dass solch ein Dialog mit einem bekannten russischen TV-Moderator und Politologen notwendig ist. Wie der Hauptredakteur reagiert würde, ist unklar. Deswegen beschränkte sich Peels Anwort bei der Diskussion bei RIA Novosti auf abstraktes "Alexei, wir wären froh, Sie in London zu sehen".
Letzte Woche war ich in London und traf mich mit Quentin Peel. Wir hatten eine gute Diskussion und das Interview, das ich mit ihm machte, wird nächste Woche in meiner Sendung ausgestrahlt. Doch ein Gegenvorschlag, auf Seiten der Financial Times aufzutreten, kam nicht. Warum? Weil in der Financial Times eine redaktionelle Linie existiert, dass der Löwenanteil des Materials über Russland einen scharf kritischen Charakter haben muss. Das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Womit ist die Verstärkung der negativen Beziehung zu Russland verbunden?
Puschkow: Die negative Beziehung geht auf die Tätigkeit der westlichen Propagandamaschine zurück. Als Professor der Moskauer Universität für Internationale Beziehungen komme ich oft dazu, vor westlichen Auditorien aufzutreten. Und ich kann Ihnen sagen, dass sich die Beziehung zu Russland sofort verändert, sobald man auf reale Menschen trifft und nicht auf professionelle Propagandisten und Politiker. Russland wird ganz anders wahrgenommen, nämlich als ein wichtiger Staat, mit dem man kooperieren muss, das natürlich seine Schwächen hat und keine vollendete Demokratie ist, aber bestimmt nicht all jene Todsünden begeht, die ihm die westliche Propagandamaschine zuschreibt.
Und dieser Abstand zur offiziell verbeiteten Meinung ist enorm. Ich glaube, dass wir mehr mit der öffentlichen Meinung des Westens arbeiten müssen. Wir müssen unsere Energie weniger darauf verwenden, professionelle Politiker und "Ritter des Kalten Krieges" zu überzeugen, deren Karrieren auf anti-russischen Positionen aufgebaut sind. Sie zu überzeugen ist sinnlos und bedeutet Verschwendung der Kraft und der Mittel. Viel gerechtfertigter ist die Arbeit mit der Zivilgesellschaft, mit westlichen NGOs und Parteien, kurz gesagt mit der Öffentlichkeit, die zu einem nüchternen Blick auf Russland bereit ist. Allein in diesem Jahr hatte ich Auftritte in Dänemark, Großbritannien, der Schweiz und Tschechien. Aus der Kommunikation mit den Menschen habe ich diese Einstellung gewonnen.
Edward Lucas, der Koluminst der einflussreichen Zeitschrift The Economist, charakterisierte die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen als einen neuen Kalten Krieg. Sind Sie mit dieser Meinung einverstanden?
Puschkow: In Wirklichkeit gibt es keinen Kalten Krieg. Dies ist im Wesentlichen eine Erfindung jener westlicher Politiker, die äußerst anti-russische Positionen vertreten und nicht die Veränderungen sehen wollen, die seit der Auflösung der Sowjetunion geschehen sind. Sie brauchen einen Kalten Krieg, um die Arbeit ihres Rüstungskomplexes ideologisch zu nähren, sie machen Karriere durch die Wiederbelebung des Geistes des Kalten Krieges. Dazu gehören auch manche britische Journalisten, die Bücher veröffentlichen, in denen Russland beinahe mit Hitlerdeutschland verglichen und sonstiger Unsinn erzählt wird, der mit großem Vergnügen von einem Teil der westlichen Öffentlichkeit verschlungen wird, die sich ohne einen Feind langweilt.
Schauen Sie: in den Neunziger Jahren hatte selbst James Bond niemanden zum Bekämpfen! Als der Feind noch die Russen waren, gab es zumindest noch einen würdigen Gegner. Seitdem kamen irgendwelche manischen Weltzerstörer, irgendwelches Nordkorea - das ist alles unseriös. Es gibt eine Nachfrage nach dem Feindbild Russland, das den Westen mobilisieren und einigen soll.
Diese Einheit steht nämlich unter großem Fragezeichen. Als der Irakkrieg begann, zerfiel sie. Die Hälfte der Nato hat die USA nicht unterstützt. Das russische Feindbild ist heute ein sehr bequemer Faktor für die Wiedervereinigung des Westens unter dem Schirm der USA und für deren fortgesetzte Präsenz in Europa. Der Schatten eines bedrohlichen Russlands ist sehr karrierefördernd und wird noch lange gebraucht werden. Vor kurzem bei Debatten in London ist einer von solcher "Nachtigallen des Kalten Krieges" schon vor dem Ende des Diskussion losgestürmt, um seine Bücher zu signieren. Er hatte Angst, dass die Menschen auseinandergehen, ohne dass er ihre Bücher unterschreibt. Es war ihm sehr wichtig, auf der Welle der kritischen Beziehung zu Russland maximal Punkte zu sammeln. Das heißt, das ist ein Spiel, das Menschen vollkommen bewußt führen, ihren Erfolg darauf aufbauen, sich Geld und einen Namen machen. In diesem Kontext ist der Kalte Krieg eine absurde virtuelle Realität, die zweifellos existiert, aber eben als etwas Erfundenes.
- Edward Lucas nennt westliche Politiker und Geschäftsleute, die mit Russland zusammenarbeiten, "Speichellecker des Kremls"...
Puschkow: Dieser Mann erzählt in letzter Zeit so viel Unsinn, dass es kaum wert ist, darüber zu diskutieren. Lucas arbeitet weiterhin in der Dimension des Kalten Krieges. Und je schärfer seine Töne sind, desto gefragter ist er. Seine Äußerungen haben keinen analytischen und politologischen Wert, dafür sind für manche Kreise im Westen seine propagandistischen Übungen sehr wertvoll. Doch die westliche Geschäftswelt, darunter auch die britische, orientiert sich bestimmt nicht an Leuten wie Lucas.
Hat das Image Russlands in der Welt in den letzten Jahren mehr gelitten oder profitiert?
Puschkow: Wir neigen immer dazu, das Image Russland aus der Perspektive des Westens zu betrachten. Ich halte das für einen großen Irrtum. Wir sollten nicht die ganze Welt mit dem Westen gleichsetzen. Der Westen zwingt allen diese Sicht auf, wenn von der Meinung der Weltöffentlichkeit die Rede ist. Wenn im Westen das Wort Weltöffentlichkeit fällt, meint man damit die 25 Nato-Staaten oder die 27 EU-Staaten. Aber das ist lachhaft. Es gibt keine solche Weltöffentlichkeit, die sich auf 27 Staaten beschränkt. Es gibt eine Weltöffentlichkeit, die sich aus über 200 Staaten zusammensetzt. Wenn wir auf das Bild Russland im Westen schauen, so gibt es dort in der Tat besorgniserregende Tendenzen. Dies liegt daran, dass manche daran interessiert sind, Russland ein Schuldkomplex aufzubürden, um es ihren Interessen unterzuordnen, in eine schwierige Lage zu bringen und es zu nötigen, westliche bzw. amerikanische Bedingungen zu akzeptieren.
Wenn wir jedoch auf die Beziehung zu Russland in anderen Teilen der Welt schauen, werden wir feststellen, dass sie dort weitaus positiver ist. China, Indien, Brasilien, Mexiko, die absolute Mehrheit der Erdenbürger schätzt Russland als einen positiven Faktor ein. Diese Beobachtung machte ich während meiner jahrelangen Tätigkeit und weiß es aus meiner Erfahrung als Politologe.